652. Felsenverwandeltes Schloß.

[200] Von A. Schöppner. – Sage von Falkendorf unweit Herzogenaurach. C. v. Falkenstein Kaisersagen etc. S. 199.


Es war einmal im Frankenland

Ein Ritter Feigherz wohlbekannt,

Bei Weibern gar ein großer Held,

Bei Männern gab er Fersengeld.


Der schwelgte flott auf seiner Burg

Beraubter Pilger Habe durch,

Doch nur die Schwachen raubt' er aus,

Die Starken schicken ihn nach Haus.


Ein Töchterlein, so schön als jung

Ermahnt' ihn oft zur Besserung,

Doch wie die gute warnt und fleht,

Der alte Sünder widersteht.


Einst zog er Nachts mit seinem Troß

Zu rauben auf ein nahes Schloß;

Dem Tapfern drohte kein Gefahr,

Weil Niemand dort zu Hause war.


Da ward geplündert schlecht und recht,

Der ganze Keller ausgezecht;

Es dämmerte der Morgen schon,

Da schlich die Ritterschaft davon!


Und als der Burgherr kam nach Haus,

Wie sah's in seinem Schlößchen aus!

Die Speisekammern ausgeleert

Und Küch' und Keller ausgekehrt.


»Ha Nachbar Schuft! Das sieht dir gleich,

Doch sei's dein letzter Schurkenstreich,

Du sollst mir baß mit deinem Blut

Bezahlen mein gestohlen Gut!«


Zur Stunde brach mit starkem Hauf

Der zornentbrannte Ritter auf

Und stellte rings um Feiglings Schloß

Zur Schlacht geordnet Mann und Roß.


Das sah mit Grusen und mit Graus

Der Held von seinem Fenster aus;

Verzweifelt rannt' er hin und her,

Ob nirgend ein Entkommen wär'.


»O weh mir Armen, Schmach und Tod!

Wer rettet mich aus solcher Noth!

Mein Hab und Eigen werde sein

Und meine Tochter obendrein!«
[200]

Er ruft's. Da kracht des Hofes Raum

Und aus der Erde wie ein Baum

Erhebt ein ungeheurer Mohr

Mit Feueraugen sich empor.


»Ich bin zu helfen dir bereit!

Noch eh' der Hahn des Morgens schreit,

Soll eine Mauer hoch und fest

Sich thürmen um dein Felsennest.


Doch Hab und Gut und Alles hier,

Was du versprachest, laß ich dir,

Nur deine Tochter, schön und jung

Sei meines Lohnes Forderung.«


»Es sei!« versetzt der Rittersmann,

»Doch die Bedingung stell' ich dann,

Daß mit des Hahnen erstem Schrei

Die Mauer rundum fertig sei.«


Darauf verschwand der Goliath,

Und als die Dämmerung genah't,

Begann ein unsichtbares Bau'n,

Ein Pochen, Hämmern, Steinehau'n.


Der Ritter hört's mit schlechtem Mut,

Es gilt sein allerbestes Gut:

Sein Kind, sein Schatz und Edelstein,

Es soll des Teufels eigen sein.


Und wie der Arme seufzt und zagt

Und seine Noth dem Himmel klagt,

Da tritt ein alter Knecht herein

Und heißt ihn frohen Mutes sein.


»Dem Himmel Dank! ich weiß euch Rath:

Es führt ein unbekannter Pfad'

Aus dieser Burg; – nun folgt geschwind,

So rett' ich euch und euer Kind.«


Da ging es fort in wilder Hast,

Bis man im Freien machte Rast;

Die Nacht entwich, des Morgens Grau

Enthüllte bald den Wunderbau.


Vollendet stand die Riesenwehr,

Nur wenig Steinchen fehlten mehr;

Das sah des Ritters Knecht und schrie

Aus vollem Hals: Kikeriki!


Kikeriki – da dröhnt ein Schlag –

Von allen Bergen dröhnt es nach, –

Zusammen stürzt in jähem Fall

Der ungeheure Mauerwall.


Und bleich vor Schrecken sehn die drei

Sich bald von Feind und Teufel frei

Und preisen Gott zu Dank gerührt,

Der sie des Bösen Macht entführt'.


Und kommst du einst an jenen Ort,

Noch ragen Riesenfelsen dort

Empor und künden deinem Blick

Der Höllenmauer Mißgeschick.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 200-201.
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