763. Der Gangolfsbrunnen.

[278] Von J. N. Vogl. – Sage der Milsenburg; ob auch in Burgund heimisch, das unser Dichter nennt, ist mir unbekannt. Nach Campanien versetzt sie Jac. a. Voragine leg. aur. c. 204.


Des langen Weges müde

Im heißen Sonnenbrand,

Der heil'ge Gangolf wandert

Durch's ferne Heidenland.


Wie brennen die Sandalen

So schmerzlich ihm am Fuß,

Der Glühwind von der Wüste

Haucht seinen Feuergruß.


Am Gaumen klebt die Zunge

Und jeder Nerv erschlafft,

Sich aufrecht zu erhalten

Hat kaum er noch die Kraft.


Da sieht der Todesmüde

Mit einmal einen Quell

Aus einer Felswand sprudeln,

Wie Silber rein und hell.


Und zu der Stelle schleppt er

Sich hin mit neuem Muth,

Und schöpft vom kühlen Brunnen

Mit seinem Pilgerhut.


Und schlürft und schlürft, als gäbe,

Der Quell den besten Wein,

Und schlürfet Muth und Stärke

Auf's Neu' in sich hinein.


Da tritt aus naher Höhle,

Die er erst jetzt erblickt,

Zu ihm ein finst'rer Heide,

Der höhn'schen Gruß ihm nickt.


»Behagt dir so die Quelle,«

Spricht der, »in Javas Sand,

So kauf' sie dir und bringe

Sie heim in's Christenland.


Ihr sprecht ja doch, des Glaubens

Bedürf's ein Körnlein bloß

Um Berge zu versetzen,

Von ihrem Mutterschooß.«


»So ist es«, spricht der Pilger,

»Ob ihr es gleich verlacht,

Allmächtig ist der Glaube,

Allmächtig Gottes Macht.


Drum nenn' den Preis der Quelle,

Ich geh' den Handel ein;

Was soll ich dir bezahlen,

Sag' an, damit sie mein.«


»So meinst du's, Thor, im Ernste,«

Der Heide d'rauf, »wohlan,

Gib hundert Silberheller,

Und nimm die Quelle dann.


Doch kommst du heim, so ziehe

Die Stirne nicht zu kraus,

Im Fall nicht wohlbehalten

Den Kauf du bringst nach Haus!«


Allein des Hohnes achtet

Der fromme Pilger nicht,

Und reicht ihm dar die Summe

Mit ernstem Angesicht.


D'rauf zieht er wieder weiter,

Des Weges nach Burgund,

Von manchem Spott begleitet

Noch aus des Heiden Mund.


Und zieht wohl manche Monde,

Durchschiffet Meer und Fluß,

Bis in die ferne Heimath

Ihn wieder bringt sein Fuß.
[279]

Doch wie er nun erreichet

Sein Haus, von Moos bedeckt,

Da steht der fromme Pilger

Mit einmal froh erschreckt.


Denn seinen Glauben sieht er

Verwirklicht nun zur Stell',

Zunächst dem Hause sprudelt,

Ein lustig frischer Quell.


Der sprang mit einem Male,

Dort aus des Berges Wand,

Zu selber Zeit, als jener

Versiegt in Javas Sand.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 278-280.
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