|
[278] Von J. N. Vogl. – Sage der Milsenburg; ob auch in Burgund heimisch, das unser Dichter nennt, ist mir unbekannt. Nach Campanien versetzt sie Jac. a. Voragine leg. aur. c. 204.
Des langen Weges müde
Im heißen Sonnenbrand,
Der heil'ge Gangolf wandert
Durch's ferne Heidenland.
Wie brennen die Sandalen
So schmerzlich ihm am Fuß,
Der Glühwind von der Wüste
Haucht seinen Feuergruß.
Am Gaumen klebt die Zunge
Und jeder Nerv erschlafft,
Sich aufrecht zu erhalten
Hat kaum er noch die Kraft.
Da sieht der Todesmüde
Mit einmal einen Quell
Aus einer Felswand sprudeln,
Wie Silber rein und hell.
Und zu der Stelle schleppt er
Sich hin mit neuem Muth,
Und schöpft vom kühlen Brunnen
Mit seinem Pilgerhut.
Und schlürft und schlürft, als gäbe,
Der Quell den besten Wein,
Und schlürfet Muth und Stärke
Auf's Neu' in sich hinein.
Da tritt aus naher Höhle,
Die er erst jetzt erblickt,
Zu ihm ein finst'rer Heide,
Der höhn'schen Gruß ihm nickt.
»Behagt dir so die Quelle,«
Spricht der, »in Javas Sand,
So kauf' sie dir und bringe
Sie heim in's Christenland.
Ihr sprecht ja doch, des Glaubens
Bedürf's ein Körnlein bloß
Um Berge zu versetzen,
Von ihrem Mutterschooß.«
»So ist es«, spricht der Pilger,
»Ob ihr es gleich verlacht,
Allmächtig ist der Glaube,
Allmächtig Gottes Macht.
Drum nenn' den Preis der Quelle,
Ich geh' den Handel ein;
Was soll ich dir bezahlen,
Sag' an, damit sie mein.«
»So meinst du's, Thor, im Ernste,«
Der Heide d'rauf, »wohlan,
Gib hundert Silberheller,
Und nimm die Quelle dann.
Doch kommst du heim, so ziehe
Die Stirne nicht zu kraus,
Im Fall nicht wohlbehalten
Den Kauf du bringst nach Haus!«
Allein des Hohnes achtet
Der fromme Pilger nicht,
Und reicht ihm dar die Summe
Mit ernstem Angesicht.
D'rauf zieht er wieder weiter,
Des Weges nach Burgund,
Von manchem Spott begleitet
Noch aus des Heiden Mund.
Und zieht wohl manche Monde,
Durchschiffet Meer und Fluß,
Bis in die ferne Heimath
Ihn wieder bringt sein Fuß.
[279]
Doch wie er nun erreichet
Sein Haus, von Moos bedeckt,
Da steht der fromme Pilger
Mit einmal froh erschreckt.
Denn seinen Glauben sieht er
Verwirklicht nun zur Stell',
Zunächst dem Hause sprudelt,
Ein lustig frischer Quell.
Der sprang mit einem Male,
Dort aus des Berges Wand,
Zu selber Zeit, als jener
Versiegt in Javas Sand.
Buchempfehlung
Die 1897 entstandene Komödie ließ Arthur Schnitzler 1900 in einer auf 200 Exemplare begrenzten Privatauflage drucken, das öffentliche Erscheinen hielt er für vorläufig ausgeschlossen. Und in der Tat verursachte die Uraufführung, die 1920 auf Drängen von Max Reinhardt im Berliner Kleinen Schauspielhaus stattfand, den größten Theaterskandal des 20. Jahrhunderts. Es kam zu öffentlichen Krawallen und zum Prozess gegen die Schauspieler. Schnitzler untersagte weitere Aufführungen und erst nach dem Tode seines Sohnes und Erben Heinrich kam das Stück 1982 wieder auf die Bühne. Der Reigen besteht aus zehn aneinander gereihten Dialogen zwischen einer Frau und einem Mann, die jeweils mit ihrer sexuellen Vereinigung schließen. Für den nächsten Dialog wird ein Partner ausgetauscht indem die verbleibende Figur der neuen die Hand reicht. So entsteht ein Reigen durch die gesamte Gesellschaft, der sich schließt als die letzte Figur mit der ersten in Kontakt tritt.
62 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro