797. Der Teufelsstein.

[319] Von F. Weiß. – Vgl. Sagenbuch I., 334.


1.

Wie lustig regen sich die Hände

Bei Limburgs prächt'gem Klosterbau!

Bald naht er dem ersehnten Ende,

Schon ragt er hoch in's Himmelsblau.


Das große Werk, es ist gelungen,

Die Kuppel wölbt sich stolz und kühn

Und schlank erheben, leicht geschwungen,

Die Thürme sich darüber hin.


Wohl haben Alle unverdrossen,

Dem Werk gewidmet ihre Kraft,

Dem Herrn zu Ehren; der vergossen

Sein Blut für uns am Kreuzesschaft.


Doch unter Allen sah man Einen,

Der unermattet Tag und Nacht

Sich schleppte mit den schwersten Steinen,

Aus weiter Ferne hergebracht.


Vielleicht ein Sünder war's, getrieben,

Zu suchen der Versöhnung Glück?

Wohl war's ein Sünder, doch ihm trüben

Der Reue Thränen nie den Blick.


Der Teufel war's, ihm ward berichtet,

Ein Wirthshaus solle hier ersteh'n,

Drum hatt' er willig sich verpflichtet,

Handlangerdienste zu verseh'n.


2.

Zum Hochamt rufen laut die Glocken,

Von allen Seiten drängt die Schaar

Der Gläubigen sich mit Frohlocken

Zum kerzenhellen Hochaltar.


Des Chores Feiertöne wogen,

Zur Weihe durch das Gotteshaus,

Der Teufel merkt, – er sei betrogen,

Und fährt in wildem Grimm hinaus.


Was soll er thun? Sein ganzes Dichten

Ist nun zur Rache hingewandt;

Nicht säumen will er, schnell vernichten

Will er das Werk der eignen Hand.


Tief stürzet er voll Schadenfreude

Hinab sich in der Erde Schooß,

Und wühlt aus ihrem Eingeweide

Der Felsen fürchterlichsten los.


Und eilet damit zu der Höhe,

Die gegenüber sich erhebt,

Wo Limburgs Tempel in der Nähe

Mit seinen Thürmen aufwärts strebt.


Zertrümmern will er das Gebäude,

Das sich durch seine Kunst gefügt,

Das bald nur Trauer weckt, nicht Freude

Wenn nun des Satans Tücke siegt.


3.

Im Himmel anders ist's beschieden,

Das Kloster steht in seiner Hut;

Nicht stören darf den Gottesfrieden

Des Frevlers unheilvolle Wuth.


Schon hat er sich zum Wurf bereitet,

Da blendet Lichtglanz seinen Blick;

Ein Himmelsbote weiß gekleidet,

Hält ihm die rohe Hand zurück.
[320]

»Was willst du thun?« spricht sanfter Stimme,

In Glanz zerfließend die Gestalt;

Der Teufel flucht in seinem Grimme,

Doch ihm entfällt der Stein alsbald.


Ermattet fühlt er seine Glieder,

Unfähig jetzt zu allem Thun;

Er setzt sich auf den Felsen nieder,

Um Kraft zu sammeln und zu ruh'n.


Doch wie er sitzt, faßt ihn Entsetzen;

Der Stein erweicht sich unter ihm;

Wuth muß ihm nun die Kraft ersetzen,

Er springt empor mit Ungestüm.


Und knirschend will den Stein er schwingen,

Um ihn zu schleudern auf sein Ziel

Umsonst! Es will ihm nicht gelingen,

Er ist der höhern Mächte Spiel.


Stets rollt der Stein aus seinen Händen,

So oft er ihn auch fassen will,

Er kann die Unthat nicht vollenden,

Und fliehet fort mit Wuthgebrüll.


Und wo er saß, steht man die Spuren

Tief in den Felsen eingedrückt,

Und wo hinein die Krallen fuhren,

Da wird der Griffe Mal erblickt.


Noch ruhet auf derselben Stelle,

Ein stummer Zeuge und allein,

Wo er entfiel dem Herrn der Hölle,

Auf hohem Berg der Teufelsstein.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 319-321.
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