905. Das Klösterlein zu Graf-Rath an der Ammer.

[439] Mündlich.


Rasso, der heilige Graf von Andechs und Diessen, ein großer und tapferer Rittersmann, Sohn des Grafen Rathold und Enkel des Kaisers Arnulf hauste in den letzten Tagen seines Lebens, nachdem er von seiner Reise nach Jerusalem, die er mit Judith, der Gemahlin des Herzogs Heinrich I. von Bayern gemacht hatte, und von seinen Kriegsthaten auszuruhen beschlossen hatte, auf seinem Schlosse zu Ratzenberg bei Wildenrod. Dieses Schloß ist sehr groß gewesen und die Vorwerke desselben sind bis zu dem Thurme gegangen, der jetzt die Kirche von Höfen ziert, und zu jener Zeit ein Wachthurm gewesen ist. Da wollte denn, um seine Sünden zu sühnen, der heilige Graf Rasso sich ein Kloster bauen, und zwar in dieser Gegend. Eines Tages stand er auf den Zinnen des Schlosses, oder auf dessen Vorwerken, und schaute auf die Insel nieder, welche die Ammer bildete. Da sprach der gottesfürchtige Graf: »Dort, wohin mein[439] Speer fällt, will ich mir ein Klösterlein bauen.« Mit diesen Worten erhob er mit gewaltigen Arme seinen Speer und schleuderte ihn über die Ammer. Der Speer fiel auf dem Platze nieder, wo jetzt noch das Klösterlein und die Kirche zu Grafrath steht. Alsobald begann der heilige Rasso den Bau des Klosters, übergab die Regierung seines Gaues dem Sohne Friedrich, begab sich selbst unter die Zahl der Mönche, und starb im Jahre 954 im Rufe der Heiligkeit.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 439-440.
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