Lob des Leidens

[165] O schmäht des Lebens Leiden nicht!

Seht ihr die Blätter, wenn sie sterben,

Sich in des Herbstes goldnem Licht

Nicht reicher als im Frühling färben?

Was gleicht der Blüte des Vergehns

Im Hauche des Oktoberwehns?


Krystallner als die klarste Flut

Erglänzt des Auges Thränenquelle,
[165]

Tief dunkler flammt die Abendglut

Als hoch am Tag die Sonnenhelle,

Und keiner küßt so heißen Kuß,

Als wer für ewig scheiden muß.

Quelle:
Adolf Friedrich von Schack: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 2, Stuttgart 31897, S. 165-166.
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