Zurbaran

[321] Der Meister legt den Pinsel aus der Hand;

Noch ist sein liebstes Bild nicht ganz vollendet,

Die Auferstehung, der er unverwandt

Seit Jahren seine ganze Kraft gespendet.

Da sinkt er todesmatt zurück und spricht:

»O Herr, du rufst; nicht beb' ich vor dem Grabe;

Doch willst du gnädig sein, so nimm mich nicht

Hinweg, bis ich dies Bild vollendet habe!«


Umsonst – die Lippen regen sich nicht mehr;

Mit einem Seufzer ist sein Geist geschieden;

Still weinend stehn die Mönche um ihn her,

Und trauernd spricht der Prior: »Ruh in Frieden!«

Bald wird die Leiche in die Gruft hinab

Bei Fackelschein und Psalmgesang getragen,

Und in der Klosterkirche ragt ein Grab,

Ein neues, bei den alten Sarkophagen.


Es kommt die Nacht; die Sakristane knien

Noch betend um die Gruft; im Tempelrunde

Verwehn der Sterbemette Melodien,

Und von dem Turme hallt die zwölfte Stunde.

Da horch! Im Grabe drunten wird es laut;

Aus ihren Fugen springt die Marmorplatte,

Und durch das Dunkel, das den Platz umgraut,

Steigt feierlichen Schritts ein ernster Schatte.
[321]

Der Maler ist es, wie er lebend war;

Mit schwachem Schimmer nur auf seinen Zügen

Scheint, bleiche Streifen werfend, wunderbar

Der Morgenglanz der Ewigkeit zu liegen;

Die Mönche weichen scheu im Bogengang

Und sehn ihn schwebend durch die Kirchenhallen,

Den Kreuzgang und die Chorstuhlreihn entlang,

Zu der Kapelle, die er malte, wallen.


Er tritt hinein und sieht den heil'gen Raum

Vom Glanz der ew'gen Lampe matt umflimmert;

Er nimmt sein Malgerät, und, wenn auch kaum

Ein blasser Schein am Hochaltare schimmert,

Ihn stört die Finsternis der Erde nicht;

Er führt als Meister Pinsel und Palette,

Bis morgens ihn das erste Sonnenlicht

Aufs neue scheucht in seine Ruhestätte.


So steigt er aus dem Grabe Nacht für Nacht,

Das Werk, an dem sein Leben hing, zu malen;

Und als er nun den letzten Zug vollbracht,

Da leuchtet glorreich in des Frühlichts Strahlen

Das Bild ihn an, er sieht im Morgenrot

Den Gottessohn sich aus der Gruft erheben

Und spricht verklärt: »Nun sei willkommen, Tod!

Nun kann ich frei zu andern Räumen schweben!«

Quelle:
Adolf Friedrich von Schack: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 2, Stuttgart 31897, S. 321-322.
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