Der Pokal

[359] Wär' ich noch der alte Lacher,

Der ich war in jener Zeit,

Da das Glück zu hundertfacher

Lust uns jeden Tag geweiht;


Wär' ich, wie in jenen Bonner

Jahren noch des Frohsinns voll,

Da bald säuselnd, bald wie Donner

Unser Rundgesang erscholl:


Sicher hätt' ich mit dem Danke,

Teure Freunde, nicht gesäumt,

Für den Becher samt dem Tranke,

Der in seinem Kelche schäumt!


Mich vergangner Lust zu mahnen,

Schickt ihr diesen Festpokal,

Jenen gleich, daraus die Ahnen

Sich gelabt beim Freudenmahl.


O fürwahr, der alten Zecher

Ist der mächtig große wert;

Frundsberg hätte solchen Becher

Wohl auf einen Zug geleert.
[359]

Götz auch, dem der Wein nicht kärger

Floß nach Fehde und Gefecht,

Hat vielleicht im Heidelberger

Hirsch aus solchem Maß gezecht.


Doch, Geliebte, draus zu nippen

Muß man froh wie jene sein;

Ich mit meinen blassen Lippen

Würde diesen Kelch entweihn.


Nicht für mich der Kreis der Trinker,

Wenn ums Haupt der Kranz sich schlingt

Und zu Rechter und zu Linker

Becher an den Becher klingt!


Leert' ich doch die letzte Hefe

In dem Wermutkelch des Seins;

O, wie krönt' ich noch die Schläfe

Mit dem frischen Grün des Hains?


Die nicht, die aus grünem Moose,

Aus der Blätter Fülle glänzt,

Mir geziemt die weiße Rose,

Daß sie meine Stirn bekränzt.


Und so mahn' ich, liebe Geber,

Euch in diesem trüben Dank

An die Alten, die auf Gräber

Gossen einen Opfertrank.


Bald an meinem ernsten Male

Türmt der Herbst sein welkes Laub;

Gießt mir dann aus dem Pokale

Eine Spende in den Staub!

Quelle:
Adolf Friedrich von Schack: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 2, Stuttgart 31897, S. 359-360.
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