1.

[152] In einem Orte an der Leine hatte ein Bauer eine so reiche Ernte gethan, daß er seine Früchte nicht zu lassen wuste. Da kam der Teufel zu ihm und versprach ihm in einer Nacht, ehe der Hahn krähte, eine große Scheuer zu bauen, wenn er ihm nach zwölf Jahren das geben wolle, was jetzt in seinem Hause noch verborgen wäre. Der Bauer ging darauf ein. Als er nun zu Hause davon erzählte, dachte seine Mutter sogleich daran, daß ihre Schwiegertochter ein Kind unter dem Herzen trug und daß der Teufel dieses gemeint habe. In der nächsten Nacht bauten die Diener des Teufels die Scheuer; die Mutter des Bauern aber blieb die ganze Nacht wach. Als nun die Scheuer ziemlich fertig war, ging sie in den Hühnerstall und scheuchte die Hühner auf, so daß der Hahn vor der Zeit krähte. So wie der Hahn krähte, stand der Bau plötzlich still. Am Morgen zeigte sich, daß in der Scheuer nur noch eine Wand fehlte, was an einem Fuhrmanne gelegen hatte, der mit einem Wagen voll Steine zu langsam gewesen war. Später hat man diesen Wagen auch gefunden; dem Fuhrmanne, wie den Pferden hatte der Teufel aus Verdruß den Hals umgedreht.

Die Scheuer ist heutiges Tages noch zu sehen. Das Holz und die Steine, die dazu verwandt wurden, sind unbehauen. Die Wand, welche noch nicht fertig war, kann nicht eingesetzt werden, und so oft man es auch schon versucht hat, fällt sie doch immer wieder ein. Vor Tage und bei Licht kann nicht darin gearbeitet werden; denn entweder geht das Licht aus, oder es werden Garben von oben herunter geworfen, man weiß nicht, von wem. Die Scheuer wird jetzt auch als Schafstall benutzt; aber jedes Jahr wird das fetteste Schaf todt darin gefunden.

Quelle:
Georg Schambach / Wilhelm Müller: Niedersächsische Sagen und Märchen. Göttingen 1855, S. 152.
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Niedersächsische Sagen und Märchen
Niedersächsische Sagen und Märchen : Aus dem Munde des Volkes gesammelt und mit Anmerkungen und Abhandlungen herausgegeben. Nachdruck 1979 d. Ausgabe Göttingen 1855.