1.

[203] In früherer Zeit, wo Sülbeck noch kein eigenes Backhaus hatte, pflegten die Leute von da nach Stöckheim zu gehn, um dort zu backen. Einst ging wieder am frühen Morgen, als es noch dämmerig war, eine Frau mit ihrem Knechte von Sülbeck nach Stöckheim, um daselbst zu backen. Als sie nun nicht mehr weit von der Leine waren, sahen sie einen grauen Mann (grîsen kërel) gerade auf sich zukommen. Derselbe hatte graue Haare, war weiß angezogen und dem Aussehen nach sehr alt. Da sprach der Knecht zu der Frau, wenn jener zu ihnen komme und nicht guten Morgen sage, dann wolle er ihn necken und ihn – es war gerade sehr kalt – fragen, ob ihm der Mund zugefroren wäre, und dergleichen mehr. Mittlerweile kam ihnen der graue Mann näher und war nur noch wenige Schritte von ihnen entfernt. Da hörten sie mit einem Male ein gewaltiges Sausen und Brausen, und im Nu war die Gestalt an ihnen vorüber und in dem Winkel, welchen die Leine da bildet, spurlos verschwunden. In dem Augenblick aber, wo sie an den beiden vorüberging, vermochten diese kein Wort hervorzubringen, so groß war ihre Angst.

Quelle:
Georg Schambach / Wilhelm Müller: Niedersächsische Sagen und Märchen. Göttingen 1855, S. 203.
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Niedersächsische Sagen und Märchen
Niedersächsische Sagen und Märchen : Aus dem Munde des Volkes gesammelt und mit Anmerkungen und Abhandlungen herausgegeben. Nachdruck 1979 d. Ausgabe Göttingen 1855.