Vierter Akt


[140] Noch grössere Unordnung – umgeworfene Stühle – Papiere und Bücher überall aufm Fussboden. Die Europabündler stürmen in Ueberziehern und Zylindern durch die Türen durch und schreien sich an und sind furchtbar aufgebracht.
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URBAN. Das ist ja gradezu haarsträubend.

HAESER. In der Sprachenfrage ist einfach keine Einigung zu erzielen; wir haben die Dichter gegen uns, und die können am besten reden – die haltens im Geheimen alle mit den Patrioten; die Dichter der verschiedenen Völker wollen, dass man auf dem Kongress ihre Sprache spricht.

URBAN. Das Land, das meine Sprache spricht.

HAESER. Jetzt ist aber keine Zeit, Witze zu machen.

URBAN. Mache ich denn Witze? Ich bin wütend für Sechs – für Sechs Tausend – für Sechs Millionen.

DR. LANGENBECK. Sehen Sie, meine Herren? Die Schwierigkeiten sind schon da. Sie bringen ja nicht einmal einen Kongress zu Stande – und da wollen Sie die vereinigten Staaten von Europa zu Stande bringen? Es ist einfach lächerlich.


Setzt sich mitten an den Tisch und wirft Alles durcheinander.


URBAN. Schweigen Sie, Herr Rechtsanwalt.

DR. LANGENBECK. Ich denke nicht daran – die Aktionäre wollen ihr Geld zurückhaben – und wer an Allem Schuld hat – das sind Sie, Herr Urban.

URBAN. Die Dichter sind Schuld an Allem! Diese verfluchten Dichter! Die zerstören den ganzen Europa-Bund! Ich werde verrückt vor Wut! Dass Jeder nur ja die Werke der guten Dichter lesen kann – dazu sollen die einzelnen Sprachen erhalten werden. Diese Dichter! Der gesamte Lokalpatriotismus ist eben nur Dichterwerk. Wer ist begeistert für sein Vaterland? Wer? Nur der Dichter! Denn der hat immer ein Interesse an der Sprache, in der er seine Werke schreibt. Die andern Leute gehen ihren Dichtern, diesen Leithammeln der Menge, in seliger Dammlichkeit nach und nennen ihre höchst poetische ideale Dammlichkeit – Patriotismus – und merken nicht, dass ihre patriotischen Gefühle nur den Dichtern zu Gute kommen. O du köstliche Komödie des köstlichen Patriotismus. Ich werde verrückt vor Wut.


Er schlägt mit beiden Fäusten so heftig auf den Tisch, dass durch die Erschütterung gleich der Vorhang runterfällt.
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Quelle:
Paul Scheerbart: Gesammelte Arbeiten für das Theater. Band 1, München 1977, S. 140-142.
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