Der Knapp

[54] Der Herr vom Rodensteine

Sprach fiebrig und schabab:

»Ungern duld' ich alleine,

Wo steckt mein treuer Knapp?


Ich spür' in Haupt und Magen

Ein Stechen und Geschlapp ...

Diesmal geht mir's an Kragen,

Wo steckt mein treuer Knapp?«


Der Reitersjungen viere

Durchsuchten Weg und Steg:

Der Knapp saß fest beim Biere,

Juhei! im Bremeneck.
[54]

Er trank und sprach mit Trauern:

»Du braver Rodenstein!

Allein ich muß bedauern,

Ich kann nicht bei dir sein!


Ist dir was zugestoßen –

Auch ich hab' was erlebt:

Ich bin mit Rock und Hosen

Hier völlig festgeklebt.«


Die Jungen meld'ten traurig

Dem Kranken, was geschehn,

Da sprach er fieberschaurig:

»O Knapp, das ist nicht schön!


Lässest du dein'n Herren schwitzen

In solcher Not und Plag',

So sollt du übersitzen

Bis an den Jüngsten Tag!«


Er sprach's und starb im Fieber,

Sein letztes Wort traf zu,

Der Knapp sitzt heut noch über,

Es läßt ihm keine Ruh'.


Und nachts wie Sturmgewitter

Jagt's oft straßauf, straßab,

Das ist der alte Ritter,

Er ruft: »Wo steckt mein Knapp?!«

Quelle:
Joseph Viktor von Scheffel: Kritische Ausgabe in 4 Bänden, Band 1, Leipzig/ Wien 1917, S. 54-55.
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