Der Granit

[13] In unterirdischer Kammer

Sprach grollend der alte Granit:

»Da droben den wäßrigen Jammer

Den mach' ich jetzt länger nicht mit.

Langweilig wälzt das Gewässer

Seine salzige Flut übers Land,

Statt stolzer und schöner und besser

Wird alles voll Schlamm und voll Sand.


Das gäb' eine mitleidwerte

Geologische Leimsiederei,

Wenn die ganze Kruste der Erde

Nur ein sedimentäres Gebräu.

Am End' würd' noch Fabel und Dichtung,

Was ein Berg – was hoch und was tief;

Zum Teufel die Flözung und Schichtung,

Hurra! ich werd' eruptiv!«


Er sprach's, und zum Beistand berief er

Die tapfern Porphyre herbei,

Die kristallinischen Schiefer

Riß höhnisch er mitten entzwei.

Das zischte und lohte und wallte,

Als nahte das Ende der Welt;

Selbst Grauwack, die züchtige Alte,

Hat vor Schreck auf den Kopf sich gestellt.


Auch Steinkohl' und Zechstein und Trias

Entwichen, im Innern gesprengt,

Laut jammert im Jura der Lias,

Daß die Glut ihn von hinten versengt.[13]

Auch die Kalke, die Mergel der Kreiden

Sprachen später mit wichtigem Ton:

»Was erstickte man nicht schon beizeiten

Den Keim dieser Revolution?«


Doch vorwärts, trotz Schichten und Seen,

Drang siegreich der feurige Held,

Bis daß er von sonnigen Höhen

Zu Füßen sich schaute die Welt.

Da sprach er mit Jodeln und Singen:

»Hurra! das wäre geglückt!

Auch unsereins kann's zu was bringen,

Wenn er nur herzhaftiglich drückt!«

Quelle:
Joseph Viktor von Scheffel: Kritische Ausgabe in 4 Bänden, Band 1, Leipzig/ Wien 1917, S. 13-14.
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