Fünfzehntes Kapitel.

Hadumoth.

Die Nacht ging zu Ende. Lang und bang war sie für die gewesen, denen der Walstatt Hut anvertraut worden. Unheimlich Grauen lag über Erde und Menschen. »Der Herr sei ihrer Seele gnädig!« so tönte leiser Ruf des Wächters durch die Stille des Gefildes. »Und erlöse sie von des Fegfeuers Pein, Amen!« antwortete es vom Waldessaum, wo die Gefährten ums Wachfeuer kauerten. Schwere Schatten der Nacht deckten die Erschlagenen, als wolle der Himmel mitleidig verhüllen, was der Menschen Hände da unten geschafft. Dann jagten die Wolken von dannen, als wären sie selber von Grauen getrieben über den Anblick unter ihnen – andere folgten, auch sie zogen fort, Gestalt und Formen wechselnd, verlierend, in neue übergehend ... Alles ist unstet, nur im Tod ewige eherne Ruhe. Die auf dem Blachfeld lagen still, Freund und Feind, wie das Wogen des Streits sie gebettet.

Eine Gestalt sah der Wächter über die Walstatt huschen, wie die eines Kindes. Sie beugte sich nieder und ging weiter und beugte sich abermals und wandelte auf und ab, aber es grauste ihm, sie anzurufen. Er stand wie gebannt. Es wird der Engel sein, der die Stirn der Toten[241] zeichnet mit dem Buchstaben, auf daß man sie erkenne, wann der Geist dereinst ihr Gebein anbläst, daß sie wieder leben und auf den Füßen stehen und ein Heer sind wie ehedem; so dachte er nach dem Bild des Propheten, bekreuzte sich und schwieg. Die Gestalt verschwand aus seinen Augen.

Der Morgen graute, da kamen viel Männer vom Heerbann, die Mönche abzulösen. Die Herzogin sandte sie. Herr Simon Bardo war zwar nicht einverstanden. »Sieg ist nur halber Sieg, so er nicht benutzt wird, wir müssen den Fliehenden nachrücken, bis der Letzte von ihnen getilgt ist«, hatte er gesagt. Aber die Mönche drangen auf Rückkehr, der Ostertage wegen, und die andern sprachen: »Bis wir die mit ihren schnellen Rossen einholen, mögen wir weit ziehen, sie sind gekommen, wir haben sie gehauen, kommen sie wieder, sind neue Hiebe vorrätig – die Arbeit von gestern ist ihrer Ruhe wert.« Da ward beschlossen, die Toten zu begraben vor Anbruch des Osterfestes.

Die Männer trugen Karst und Spaten und schaufelten zwei große Gräber. Es war eine verlassene Kiesgrube seitwärts im Feld, die weiteten sie aus zu geräumigem Ruheplatz. Dorthin trugen sie der Hunnen Leichname. Waffen und Rüstung wurden abgetan und gesammelt, viel Traglasten von Beutestücken. Und sie warfen die Toten in die Grube, sonder Rücksicht, wie sie gebracht wurden – es war ein wild verschlungener Knäuel von Gliedmaßen, Roß und Menschen durcheinander verstrickt, ein Gewühl wie beim Höllensturz der abtrünnigen Engel. Die Tiefe füllte sich. Einer der Schaufelnden kam und brachte ein einzeln Haupt; grimmig schaute es drein, mit so zerspellter Stirn. »Es wird auch zu den Heiden gehören und mag seinen Rumpf suchen!« rief er und schleuderte es zu den Leichen.

Wie das ganze Feld abgesucht und kein hunnischer Mann mehr zu finden war, scharrten sie die Grube zu; es war ein Begräbnis ohne Sang und Klang – nur etliche Flüche tönten als Nachruf hinab und Raben und Raubvögel krächzten heiser drein; die in den Felsspalten[242] des hohen Krähen nisteten, waren herübergeflogen, und die im Tannwald horsteten, auch Moengals Habicht war dabei, sie wollten Einsprache erheben, daß die Beerdigung sie verkürze. Dumpf dröhnten die Erdschollen und Kieselgesteine in das weite Grab. Dann kam der Diakon von Singen mit dem Kessel geweihten Wassers, den Geviertraum schritt er auf und nieder und besprengte ihn zur Bannung der Dämonen und Niederhaltung der fremden Toten in der fremden Erde.

Ein verwittert Felsstück war vorzeiten vom Hohentwieler Berg abgelöst zu Tal gestürzt, das wälzten sie aufs Hunnengrab, dann wandten sie sich schauernd von der Stätte und richteten das zweite Grab. Das sollte die gebliebenen Söhne des Landes empfangen. Für die Erschlagenen geistlichen Standes war die Klosterkirche auf Reichenau zum Ruheplatz bestimmt.

Zur selben Stunde, in der gestrigen Tags der Kampf begonnen, stieg ein düsterer Zug vom hohen Twiel hernieder. Es waren die Männer, so die Schlacht geschlagen. In derselben Ordnung rückten sie an, aber ihr Schritt war langsam und ihre Banner trauerfarben. Auf den Zinnen der Burg war die schwarze Fahne aufgezogen. Auch die Herzogin ritt mit hernieder, streng und ernst kleidete sie der dunkle Mantel. Die toten Mönche trugen sie auf Bahren herzu und stellten sie zu seiten des großen Grabes ab, auf daß auch sie teilnähmen an der letzten Ehre der Kampfgenossen. Wie die Litanei verklungen, trat der Abt Wazmann ans offene Grab, er rief den sechsundneunzig, die blaß und still drin geschichtet lagen, den letzten Gruß und Dank der Überlebenden hinab: »Ihr Gedächtnis sei gesegnet und ihr Gebein grüne an seinem Ort! Ihr Name bleibe in Ewigkeit und die Ehre der heiligen Männer komme auf ihre Kinder!« so sprach er mit den Worten des Predigers, dann tat er den ersten Erdwurf hinunter, die Herzogin nach ihm, dann die andern der Reihe nach. Drauf feierliche Stille. Vom Grab der Brüder hinweg wollten die, so gestern vereint gestritten, auseinandergehen; manch hartes Antlitz ward gerührt, Kuß[243] und Handschlag gewechselt, dann zogen zuerst die von der reichen Au nach ihrem Kloster. Die Bahren ihrer Toten wurden mit ihnen getragen, Brüder mit brennenden Kerzen schritten psalmsingend zur Seite, auch des Alten aus der Heidenhöhle kampfmüden Leichnam führten sie mit sich, gesenkten Hauptes ging das Streitroß des ungekannten Kriegsmannes, mit schwarzem Tuch umhangen, im Zug – es war ein düstrer Anblick, wie das Totengeleite mählich ins Waldesdunkel einbog.

Dann nahmen die vom Heerbann Abschied von der Herzogin. Der dürre Fridinger, den Arm in der Binde, führte eine Schar landabwärts, nur der von Randegg mit etlichen Leuten sollte als Besatzung des hohen Twiel zurückbleiben.

Bewegt schaute Frau Hadwig den Abziehenden nach. Dann ritt sie langsam übers Schlachtfeld. Sie war gestern auf dem Turm der Burg gestanden und gespannten Auges dem Toben des Kampfes gefolgt. Itzt mußte ihr Herr Spazzo noch vieles erklären. Dem kam's auf etliche Übertreibungen nicht an, aber sie war's zufrieden. Mit Ekkehard sprach sie nicht.

... Wie auch sie heimgeritten, war's wieder still und öde auf dem Plan, als wär' nichts geschehen. Nur hufzerstampftes Gras, feucht rötliche Erde und die zwei großen Gräber gaben Zeugnis von der Ernte, die der Tod hier gehalten. Hat nicht lange gedauert, so ist das Blut aufgetrocknet und das Gras neu gewachsen, über die Hügel der Toten hat sich Moos gesponnen und Gestrüpp, Vögel und Wind haben Samenkorn hingetragen und Busch und Bäume sind üppig aufgesprießt – wo Tote so liegen, gedeiht der Pflanzen Wuchs. – Aber unverwischt lebt die Kunde von der Hunnenschlacht in den nachgeborenen Geschlechtern189, den »Heidenbuck« heißt der Mann im Hegau den Hügel, den der Felsblock als Grabplatte deckt, und in der Nacht vom Karfreitag geht keiner dort durchs Tal. Da gehört Erde und Luft den Toten; sie steigen aus dem alten Grab, hier schwärmen die kleinen Rosse wieder, dort rücken im Keil die Streiter zu Fuß an,[244] und der Harnisch blitzt unter verwittertem Mönchsgewand, Waffengelärm und wilder Kampfruf weht durch den Sturm, tosend schwingt sich die Geisterschlacht durch die Lüfte; da kommt plötzlich von der Insel im See einer dreingesaust im güldenen Harnisch auf schwarzem Roß, der jagt sie hinunter in kühle Ruhe – noch will sich der Hunnenführer gegen ihn wehren und schwingt zürnend sein krummes Schwert, da fährt ihm der Streithammer aufs Haupt, auch er muß hinab ... und alles ist still wie zuvor, nur der Birke junges Laub zittert im Winde ...

Ostersonntag ging trüb und ernst vorbei. Des Abends sah Frau Hadwig im Saal mit Ekkehard, Herrn Spazzo, dem Kämmerer, und dem von Randegg. Es ist zu denken, was sie sprachen. Die große Geschichte der letzten Tage klang in aller Reden wider gleich dem Schall am Lurleifelsen: hat er an der einen Wand ausgehallt, so hebt sich ein dumpfes Rollen an der benachbarten, und in ferner Schlucht wiederholt sich's und will nirgend ein Ende nehmen.

Der Abt von der Reichenau hatte einen Boten geschickt, zu vermelden, wie sie das Kloster in mäßiger Verwüstung, doch vom Feuer unzerstört, angetroffen, mit geweihtem Wasser und Umtragung der heiligen Gebeine die hunnischen Spuren getilgt, die Beisetzung ihrer Toten abgehalten.

»Und der zurückgebliebene Bruder?« fragte die Herzogin.

»An dem hat Gott der Herr erwiesen, daß seine Allmacht inmitten von Krieg und Feindesschwert auch einfältiger Gemüter nicht vergißt. An der Schwelle stand er bei unserer Rückkunft, als wär' ihm nichts begegnet. ›Wie haben dir die Hunnen gefallen?‹ rief ihm einer zu. Da sprach er mit dem wohlbekannten Lächeln: ›Eia, sehr gut haben sie mir gefallen. Niemals hab' ich vergnügtere Leute gesehen, und Speise und Trank messen sie ganz menschenfreundlich zu – der Pater Kellermeister hat zeitlebens meinen Durst Durst sein lassen, die gaben mir Wein die Hülle und Fülle – und wenn sie mich auch mit Faustschlag[245] und Backenstreich geschädigt, so haben sie's mit dem Wein wieder gutgemacht – und das tät' keiner von euch. Nur die Disziplin fehlt ihnen, und sich still verhalten in der Kirche haben sie auch nicht ganz gelernt ...‹ Er wisse noch manches zum Preis der fremden Gäste, hat Heribald weiter gesprochen, aber nur im Beichtstuhl werd' er's offenbaren ...«

Frau Hadwig war noch nicht zur Heiterkeit gestimmt. Gnädig entließ sie den Boten. Sie gab ihm das geringelte Panzerhemd und den Schild des erschlagenen Hunnenführers mit, auf daß es in der Klosterkirche aufgehängt werde als ewiges Wahrzeichen. Das Schiedsrichteramt bei Verteilung der Beute war ihr zugewiesen.

Herr Spazzo, dessen Zunge seither nicht müßig war, seine Kriegstaten zu rühmen – und die Zahl der von ihm Erschlagenen wuchs mit jeder neuen Erzählung gleich einer Lawine – sprach würdig: »Ich habe auch noch ein Beutestück – einzuliefern, es ist meiner gnädigen Herrin bestimmt.«

Er schritt hinab zu den untern Kammern, dort lag Cappan, sein Gefangener, auf dem Stroh, seine Wunde war verbunden und nicht gefährlich. »Steh auf, Sohn des Teufels!« rief Herr Spazzo und gab ihm einen unsanften Stoß. Der Hunn' erhob sich und schnitt ein zweifelhaft Gesicht, er schätzte seine Lebensdauer auf keine allzulange Zeit mehr; an einem Krückenstock hinkte er durch die Stube. »Vorwärts!« deutete ihm Herr Spazzo und führte ihn hinauf. Er marschierte in den Saal ein. »Halt!« rief Herr Spazzo. Da stand der Unglückliche still und ließ verwundert seine Augen Umschau halten.

Teilnehmend besah Frau Hadwig das fremde Menschenkind. Auch Praxedis war herbeigekommen: »Schön ist Euer Beutestück nicht«, hatte sie zu Herrn Spazzo gesagt, »aber merkwürdig.« Die Herzogin faltete ihre Hände: – »Und vor dieser Nation hat das deutsche Land gezittert!« sprach sie.

»Die Menge schuf den Schreck und ihr Zusammenhalten«, sagte der von Randegg, »sie werden nimmer wiederkommen.«[246]

»Seid Ihr des so gewiß?« sagte sie spitzig.

Der Hunn' verstand nicht viel vom Gespräch. Sein wunder Fuß schmerzte, er wagte nicht, sich niederzulassen. Praxedis sprach ihn griechisch an, er schwieg scheu und schüttelte sein Haupt. Sie begann durch Zeichen und Winke ein Verständnis anzuknüpfen – er ließ sich nicht darauf ein. »Erlaubet«, sprach sie zur Herzogin, »ich weiß doch ein Mittel, ihm ein Lebenszeichen abzugewinnen, in Konstantinopel hab' ich davon erzählen gehört.« Sie huschte aus dem Saal und erschien wieder, einen Becher tragend, spöttisch kredenzte sie den dem stummen Gefangenen.

Es war ein stark Wasser, gebrannt aus Kirschen und Steinobst; der selige Burgkaplan Vincentius hatte manch solches Essenzlein bereitet. Da verklärte sich des Hunnen Antlitz, die stumpfe Nase sog den Duft ein, er leerte den Becher, als ob er's für einen Friedenstrunk ansehe, die Arme über die Brust gekreuzt, warf er sich vor Praxedis nieder und küßte ihren Schuh.

Sie gab ihm ein Zeichen, daß die Huldigung der Herzogin gebühre, da wollte er auch dort seinen Dank wiederholen, Frau Hadwig aber wich zurück und winkte dem Kämmerer, daß er seinen Mann abführe.

»Ihr habt närrische Einfälle«, sprach sie zu Herrn Spazzo, wie er zurückkehrte, – »doch war's artig, daß Ihr in währendem Streite meiner gedachtet.«

Ekkehard saß währenddem stumm am Fenster und schaute ins Land hinaus. Herrn Spazzos Art verdroß ihn. Auch Praxedis hatte ihm weh getan. Uns zu demütigen, dachte er, hat der Herr die Kinder der Wüste herübergesandt, – eine Mahnung zu lernen und in sich zu gehen und auf den Trümmern des Vergänglichen dem sich zuzuwenden, was mit dem Hauch des Ewigen gefeit ist; – noch liegt die Erde frisch auf dem Grab der Gefallenen, und schon treibt das Völklein wieder seine Späße, als wär' alles nur Schaum und Traum gewesen ...

Praxedis war zu ihm herangetreten. »Warum habt Ihr uns nicht auch ein Angedenken aus der Schlacht mitgebracht,[247] Professor?« sprach sie leicht. »Es soll eine sonderbare hunnische Amazone drin herumgetobt haben, so Ihr die gefangen, hätten wir jetzt ein Pärlein.« »Ekkehard hat an Höheres zu denken als an hunnische Frauen«, sprach die Herzogin in bitterm Ton, »und er weiß zu schweigen wie einer, der ein Gelübde getan. Was brauchen wir zu erfahren, wie es ihm in der Schlacht erging?«

Die schneidige Rede kränkte den Ernsten. – Scherz zu unrechter Zeit wirkt wie Essig auf Honigseim. Er ging schweigend hinaus, holte Herrn Burkhards Schwert, entblößte es seiner Scheide und warf's unwillig auf den Tisch vor Frau Hadwig. Frischrote Flecken glänzten feucht auf der braven Klinge und junge Scharten waren in den Rand gehauen. »Ob der Schulmeister müßig ging«, sprach er, »mag der da bezeugen! ich hab' meine Zunge nicht zum Herold meiner Tat ernannt.«

Die Herzogin war betroffen. Sie trug noch einen Mißmut auf dem Herzen, es zuckte und drängte, ihm zürnend Luft zu schaffen – aber das Schwert Herrn Burkhards weckte mannigfache Gedanken, sie hielt den Groll an sich und reichte Ekkehard die Hand.

»Ich wollt' Euch nicht kränken«, sprach sie.

Die Milde der Stimme klang ihm vorwurfsvoll, er zögerte, die dargebotene Rechte zu ergreifen. Schier hätt' er um Verzeihung gebeten für seine Rauheit, aber das Wort stockte ihm; – da ging die Türe des Saales auf, es ward ihm alles Weitere erspart.

Hadumoth, das Hirtenkind, trat ein. Schüchtern stand sie am Eingang, übernächtig und verweint das Antlitz; sie getraute sich nicht zu reden.

»Was hast du, arm Kind?« rief Frau Hadwig. »Komm näher!«

Da ging die Hirtin vorwärts. Sie küßte der Herzogin Hand. Dann ersah sie Ekkehard, dessen geistlich Gewand ihr Scheu einflößte, sie nahte sich auch ihm, seine Hand zu küssen, sie wollte reden, Schluchzen hemmte die Stimme.[248]

»Fürcht' dich nicht«, sprach die Herzogin tröstend. Da fand sie Worte.

»Ich kann die Gänse nimmer hüten«, sprach sie, »ich muß fortgehen. Du sollst mir ein Goldstück schenken, so groß du eines hast. Wenn ich wieder heimkomm' will ich zeitlebens dafür schaffen. Ich kann nichts dafür, daß ich fort muß.«

»Warum willst du fort, Kind?« fragte die Herzogin, – »haben sie dir was Leides getan?«

»Er ist nicht mehr heimgekommen.«

»Es sind viele nicht mehr heimgekommen; darum mußt du nicht fort. Die draußen blieben, sind bei Gott im Himmel und sind in einem schönen lustigen Garten und wohlauf und haben's besser denn wir.«

Aber das Hirtenkind schüttelte sein junges Haupt. »Audifax ist nicht bei Gott«, sprach's, »er ist bei den Hunnen. Ich hab' nach ihm geschaut drunten im Feld, er war nicht bei den toten Männern, und des Kohlenbrenners Bub' von Hohenstoffeln, der auch mit den Schützen zog, hat's gesehen, wie ihn einer fing ... Ich muß ihn dort holen, es läßt mir keine Ruh' mehr.«

»Wo willst du ihn holen?«

»Das weiß ich nicht. Ich will gehen, wo die andern hingeritten sind, die Welt ist groß, am Ende find' ich ihn doch, das weiß ich. Das Goldstück, das du mir schenken sollst, will ich den Hunnen geben und sagen: ›Laßt mir den Audifax frei‹; und wenn ich ihn hab', kommen wir beide heim.«

Frau Hadwig hatte ihr Wohlgefallen am Außerordentlichen. »Von diesem Kind mögen wir alle lernen!« sprach sie, hob die scheue Hadumoth zu sich empor und küßte sie auf die Stirn. »Mit dir ist Gott, darum sind deine Gedanken groß und kühn und du weißt nicht darum. Wer hat ein Goldstück von euch bei der Hand?«

Der von Randegg nestelte eines herfür. 's war ein großer Goldtaler, und war der Kaiser Karl daraufgeprägt mit einem grimmen Antlitz und groß offenen Schlitzaugen, und auf der Rückseite war ein gekrönt Frauenbild[249] zu schauen und eine Schrift. »'s ist mein letzter!« sprach der Randegger lachend zu Praxedis. Die Herzogin gab ihn dem Kind: »Zeuch aus im Herrn, es ist eine Fügung.«

Es ward ihnen feierlich zumute, und Ekkehard legte seine Hände auf Hadumoths Haupt wie zum Segen.

»Ich dank' euch!« sprach sie und wollte gehen. Noch einmal wandte sie sich um: »Wenn sie mir aber den Audifax für das eine Goldstück nicht herausgeben?«

»Dann schenk' ich dir ein zweites«, sagte die Herzogin.

Da ging das Kind zuversichtlich von dannen.

Und Hadumoth zog in die unbekannte Welt hinaus, das Goldstück ins Mieder eingenäht, die Hirtentasche mit Brot gefüllt; – den Stab hatte ihr Audifax einst aus, dunkelgrüner Stechpalme geschnitzt. Ob Weg und Steg ihr unbekannt, ob Speise und Obdach zweifelhaft, darum hatte sie nicht Zeit sich zu kümmern. Die Hunnen sind gegen Sonnenuntergang gezogen und haben ihn mitgenommen, das war ihr einzig Denken, der Lauf des Rheins und der Sonne Untergang ihr Wegweiser, Audifax ihr Ziel.

Mählich ward ihr die Gegend fremd. Ferner und schmäler glänzte der Bodensee vor ihrem Blick, neue Bergrücken schoben sich vor und verdeckten ihr die gewohnten stolzen Formen des heimatlichen Felsens: da schaute sie etliche Male zurück. Noch einmal luegte die Kuppe des hohen Twiel mit Turm und Mauer und Zinnen zu ihr herüber, von blauem Duft umzogen, dann schwand sie.

Ein unbekanntes Tal tat sich auf, weite schwarze Tannwälder zogen sich drüber hin, niedere Hütten mit tief herabhangenden Strohdächern lagen versteckt im Waldesdunkel – unverzagt ging Hadumoth weiter und winkte den Hegauer Bergen den letzten Gruß zu.

Wie die Sonne jenseits der Wälder zur Ruhe gegangen war, hielt sie eine Weile: »Jetzt läuten sie zu Hause den Abendsegen«, sprach sie, »ich will beten.« Und sie kniete in der Bergeinsamkeit und betete, erst für Audifax, dann für die Herzogin, dann für sich – und alles war still ringsum. Sie hörte nur ihr eigen pochend Herz.[250]

»Wie wird's meinen Gänsen ergehen?« dachte sie beim Aufstehen; »jetzt ist die Stunde, sie einzutreiben.« Dann trat wieder Audifax vor ihre Seele, an dessen Seite sie so oft von der Weide zu Berg gefahren, und sie ging schneller.

In den Meierhöfen im Tal rührte sich niemand. Nur vor einer Strohdachhütte saß ein altes Weib. »Du sollst mich heut nacht bei dir behalten, Großmutter«, sprach Hadumoth zutraulich. Die gab ihr keine Antwort, doch ein Zeichen, daß sie bleiben könne. Sie war taub und alleine zurückgeblieben, die Männer fort ins höhere Gebirg', der Hunnen wegen.

Aber vor Tagesgrauen war Hadumoth wieder unterwegs. Und sie ging durch lange, lange Wälder, drin wollte es kein Ende nehmen mit Tannen und war das erste lautlose Weben des Frühlings im Walde, die ersten Blumen streckten ihre Häupter aus dem Moos herfür, die ersten Käfer flogen leise summend drüber, und ein Harzgeruch, kräftig und anmutend, zog wehend herum, als wär' er ein Weihrauch, den die Tannen der Sonne hinaufschickten zum Dank für alles, was sie zu ihren Füßen lustig hervorgetrieben.

Der Hirtin gefiel's nicht. »Hier ist's zu schön«, sprach sie, »hier können die Hunnen nicht sein.«

Sie lenkte ihren Schritt vom Gebirg' abwärts und kam auf einen Platz, da war der Wald licht und weite Umschau. Tief unten in der Ferne floß der Rhein gekrümmt gleich einer Schlange, eingeklemmt zwischen doppelter Strömung trug eine Insel viel stattliche Mauern wie von Kirche und Kloster, der Hirtin scharfes Aug' sah, daß das Mauerwerk geschwärzt und fleckig war und kein Dach mehr trug. Eine blaue Rauchwolke stand unbeweglich drüber.

»Wie ist's hier geheißen?« fragte sie einen Mann, der aus dem Walde kam.

»Schwarzwald!« sagte der Mann.

»Und drüben?«

»Rheinau.«

»Die Hunnen sind drüben gewesen?«[251]

»Vorgestern.«

»Wo jetzt?«

Der Mann hatte sich auf seinen Stab gestemmt und schaute das Kind scharf an. Er deutete rheinabwärts. »Warum?« fragte er.

»Ich will zu ihnen.« – Er hob seinen Stab und ging seines Weges weiter. »Heiliger Fintan, bitt' für uns!« murmelte er im Fortgehen.

Und wiederum schritt Hadumoth unverdrossen weiter. Sie hatte von der Höhe erschaut, daß der Rhein in großem Bogen vorwärts strömte; da ging sie quer über das Gebirg', den Hunnen einen Vorsprung abzugewinnen, und war zwei Tage unterwegs, die Nacht im Walde auf Moos gebettet, und schier keinem Menschen begegnet. Aber viel wilde Talschluchten traf sie und rinnend Gewässer und alte Stämme, die der Sturmwind gefällt; am Platze, wo sie sonst ihre Wipfel hoch gen Himmel gereckt, faulten sie und leuchteten grauweiß unheimlich im Dunkel. Sie ließ den Mut nicht.

Das Gebirg' ward minder steil und flachte sich zu einer Hochebene ab, da strich oft rauher Luftzug drüber und Schnee lag in den Talmulden: sie ging weiter.

Das letzte Stück Brot war verzehrt, da kam sie auf einen Bergrücken und sah wieder den Rhein in der Ferne. Jetzt wollte sie dem entgegen; aber wie ein Riß im Erdreich tat sich eine enge Kluft diesseits des Berges auf, ein Waldstrom schäumte in der Tiefe. Junger Schuß von Stauden und Brombeer und dornigem Gestrüpp hielt den Abhang dicht besetzt; sie bahnte sich einen Weg durch. Es kostete Mühe und Schweiß, die Sonne stand hoch am Himmel, die Dornen rissen am Gewand. Wenn der Fuß unwillig still stehen wollte, sprach sie: »Audifax!« und hob ihn vorwärts.

Jetzt war sie unten, zu Füßen dunkler Felswände. Das Wildwasser hatte sich Bahn durch sie gebrochen und stürzte in klarem Fall drüber weg; die verwitterten Steine glänzten im Wasserduft, rötliches Moos hatte sich dran festgenistet wie eine Vergoldung; die Flut leckte hinauf[252] und brauste wechselnd drüber hin, bis sie wenig Schritte davon in tiefgrün durchsichtigem Becken still hielt und ausruhte, wie ein müder Mann, der sich und seines Lebens Tollheiten klar beschauen will. Üppige Pflanzen mit großen Blättern sprießten auf; der Wasserschaum funkelte in farbigen Tautropfen drin. Blaugeflügelte Libellen flogen auf und ab, als wären sie die Geister verstorbener Elfen.

Träumerisch hallte das einsame Stürzen des Bachs ins Herz des hungernden Kindes. Mit dem Bach sollte sie weitergehen hinab zum Rhein. Alles war verwachsen, wie wenn nie ein Mensch seinen Fuß hieher getragen ... da lachte ein trocken grünes Plätzlein zu Hadumoth herüber, sie legte sich nieder. Es rauschte so kühl und lang', es rauschte sie in Schlummer. Den rechten Arm ausgestreckt, daß das Haupt drauf ruhte, lag sie da, Lächeln auf dem müden Antlitz. Sie träumte. Von wem? – die blauen Wasserjungfern haben nichts verplaudert ...

Ein leichter Wasserguß aus hohler Hand scheuchte sie aus ihrem Traum. Wie sie langsam die Augen aufschlug, stund ein Mann vor ihr mit langem Bart, in grobzwilchenem TschobenA1, die Füße nackt bis übers Knie. Angelruten, Netz und ein hölzern Legel, drin blaugetupfte Forellen schwammen, lagen im Grase bei ihm. Er hatte die Schläferin lang' betrachtet. Zweifelhaft, ob sie ein Menschenkind, ging er, Wasser zu schöpfen, und weckte sie.

»Wo bin ich?« fragte Hadumoth sonder Furcht.

»Am Wieladinger Strahl!« sprach der Fischer. »Das Wasser ist die Murg und hat gute Forellen und geht in den Rhein. Wie kommst aber du auf den Wald, Mägdlein? bist vom Himmel heruntergefallen?«

»Ich komm' weither; bei uns sind die Berge anders und wachsen einzeln und steil aus der Ebene auf und steht ein jeder für sich, – und die Forellen schwimmen im See und sind größer: Hegau heißen's die Leute.«

Der Fischer schüttelte das Haupt. »Das muß weit weg sein«, sprach er. »Wohin jetzt?«[253]

»Wo die Hunnen sind«, sagte Hadumoth und erzählte ihm treuherzig, warum sie ausgezogen und wen sie suche.

Da schüttelte der Fischer sein Haupt noch stärker denn zuvor. »Beim Leben meiner Mutter!« sprach er, »das ist ein böser Gang!« Aber Hadumoth faltete die Hände und sagte: »Fischer, du mußt mir den Weg zeigen, wo sie sind.«

Da ward der Bärtige weich. »Wenn's sein muß«, brummte er, »gar fern sind sie nicht. Komm mit!«

Er packte sein Fischgerät zusammen und ging mit der Hirtin dem Lauf des Waldbachs entlang. Wenn Baum und Busch zu dicht die Ufer sperrten oder Felsblöcke aufgetürmt lagen, hub er das Mägdlein auf den Arm und schritt durchs schäumende Wasser. Dann ließen sie die Talschlucht zur Rechten. Sie standen auf einem der Vorberge, die sich zum Rhein hinuntersenken. »Schau hin, Kind«, sprach er und deutete über den Rhein hinüber, wo ein flach abgeschnittener Gebirgszug sich streckte: »dort geht's ins Fricktal hinein, zum Bötzberg hin. Dort steht ihr Lager geschlagen. Gestern ist das Laufenburger Kastell ausgeflammt worden ... Aber weiter sollen uns die Mordbrenner nimmer traben«, fuhr er grimmig fort.

Sie gingen noch eine Weile, da hielt Hadumoths Geleitsmann an einem felsigen Vorsprung. »Warte!« sprach er zu ihr. Er schleppte etliche Stämme dürres Tannenholz zusammen und schichtete sie auf, Reisig und Kienspäne reichlich dazwischen, doch ließ er's unangezündet. Das gleiche tat er an andern Plätzen. Hadumoth sah ihm zu; sie wußte nicht, warum er's tat.

Dann stiegen sie zu den Ufern des Rheins hinunter.

»Ist's dein Ernst mit den Hunnen?« frug er noch einmal. »Ja!« sprach Hadumoth. Da löste er einen im Gebüsch verborgenen Kahn und fuhr sie über. Am andern Ufer war's waldig; er ging ein Stück einwärts und schaute sorgfältig um. Auch dort lag ein Holzstoß geschichtet und Kienfackeln dabei, von grünen Zweigen verdeckt. Er nickte zufrieden und kam zu Hadumoth: »Weiter geh' ich nicht mit, dort ist Fricktal und Hunnenlager. Mach', daß sie[254] deinen Buben herausgeben, eher heut als morgen, 's könnt' sonst zu spät werden. Behüet' dich Gott! du bist ein tapfer Kind.«

»Ich dank' dir«, sprach Hadumoth und drückte seine schwielige Hand. »Warum gehst du nicht mit?«

»Ich komm' später!« sagte der Fischer mit bedeutsamem Ton und stieg in seinen Kahn.

Am Eingang zum Tal war der Hunnen Lager geschlagen, wenig Gezelte und etliche große Hütten aus Buschwerk und Stroh, in Blockhäusern von Tannstämmen die Pferde. Es lehnte sich im Rücken an einen Berg, nach vorn war ein Graben gezogen als Schutzwehr und mit Verhack, Pfählen und dazwischen geworfenen Felsblöcken nach Art des hunnischen Landhags190 gesperrt. Bis weit hinaus ritten die Vorposten auf und nieder: halb war es das Bedürfnis der Ruhe nach Ritt und Kampf, halb ein Anschlag aufs Kloster des heiligen Fridolin drüben, was sie dort festhielt. Ein Teil der Mannschaft baute Schiffe und Flöße am Rhein.

In seinem Zelt lag Hornebog, der Führer seit Ellaks Fall. Decken und Polster waren aufgetürmt, er freute sich keiner Ruhe. Erica, die Heideblume, saß bei ihm und spielte mit einem güldenen Kleinod, das sie an seidener Schnur um den Hals trug.

»Ich weiß nicht«, sagte Hornebog zu ihr, »es ist sehr ungemütlich worden. Die Kahlgeschorenen am See haben zu wütend dreingeschlagen. Wir müssen sachter tun191. Hier trau' ich auch nicht; 's ist mir zu ruhig, und Ruhe geht vor dem Sturm. Mit dir ist's auch nichts mehr, seit sie den Ellak erschlagen. Solltest mich jetzt lieben wie ihn, als er der erste war – und bist wie ein ausgebrannt Kohlenfeuer.«

Erica schnellte das Kleinod an seiner Schnur weit von sich, daß es tönend an die Brust zurückprallte, und summte was Hunnisches vor sich hin.

Da trat ein wachehaltender Kriegsmann ins Zelt, Hadumoth, die Hirtin, mit ihm und Snewelin von Ellwangen als Dolmetsch. Das Kind war ins Lager gekommen,[255] durch Vorposten und Wacheruf unverzagt durchschreitend, bis sie's festhielten. Snewelin trug Hadumoths Begehr um den gefangenen Knaben vor; er war mitleidig und weich gestimmt, als wär' er noch in der Heimat und begehe den Aschermittwoch, denn er hatte heut sämtliche Untaten im Lauf seines Hunnenlebens überrechnet, die ausgebrannten Klöster begannen ihm schwer auf dem Gewissen zu lasten.

»Sag' ihm auch, daß ich ein Lösegeld zahlen kann«, sprach Hadumoth und trennte des Mieders Naht auf, drin der Goldtaler war. Sie reichte ihn dem Anführer dar. Der lachte. Auch die Heideblume lachte.

»Verrücktes Land!« sprach Hornebog. »Die Männer scheren das Haupt, und die Kinder tun, was Kriegern geziemte. Wären uns die Gewaffneten vom See nachgezogen statt dieses Mägdleins, es hätt' uns in Verlegenheit bringen mögen.«

Er sah das Kind mißtrauisch an. »Wenn sie zu spähen käme ...!« rief er. Aber Erica fuhr dazwischen und streichelte Hadumoths Stirn. »Du sollst bei mir bleiben«, sagte sie, »ich brauch' was zum Spielen, seit mein schwarzer Rapp' tot und mein Ellak tot ...«

»Schafft mir das Gezeug hinaus«, rief Hornebog unmutig. »Sind wir am Rhein, um mit Hirtenkindern zu spielen?!«

Da merkte Erica, daß beim Anführer ein Ungewitter im Anzug war; sie nahm das Mägdlein bei der Hand und ging mit ihr.

Wo das Lager sich an den Berg hinstreckte, war zwischen aufgehäuften Steinplatten die Feldküche errichtet. Dort schaltete die Waldfrau, Audifax kniete beim größten der Kessel und blies das Feuer an, die Abendsuppe brodelte drin. Jetzt sprang er auf und tat einen Schrei. Er hatte seine Gefährtin erschaut. Aber die Waldfrau reckte ihr Haupt hinter dem andern Kessel vor, das war mehr als ein Haltruf. Er stand unbeweglich, griff nach einem geschälten Ast und rührte die Suppe, wie's ihm vorgeschrieben war; – ein Bild stummen Jammers, er war[256] blaß und hager geworden, die Augen trüb von Tränen, die niemanden gerührt.

»Daß Ihr mir den Kindern nichts zuleide tut, alte Meerkatze!« rief Erica der Waldfrau zu.

Da ging Hadumoth hinüber. Der Hirtenknabe ließ seinen kunstlosen Löffel fallen und reichte ihr die Hand stumm und still, aber aus den tiefdunkeln Augen blitzte es zu ihr hinüber wie eine große Geschichte von Gfangenschaft, Duldung und schweifendem Wunsch des Befreitseins. Hadumoth stand unbeweglich vor ihm; sie hatte sich viel Rührendes gedacht vom Augenblick des Wiedersehens; das alles schwand – die größte Freude jubelt schweigend ihr Lied himmelan. »Gib mir eine Schüssel von deiner Suppe, Audifax«, sprach sie, »mich hungert!«

Die Waldfrau ließ es geschehen, daß er ihr eine hölzerne Schüssel aus dem Feldkessel füllte. Das hungrige Kind stärkte sich dran und ward guten Mutes und erschrak nicht über die wilden Gesichter der hunnischen Reiter, die da kamen, ihre Abendsuppe zu schöpfen. Nachher setzte sie sich dicht zu Audifax hin. Er war stumm und zurückhaltend, erst wie es dunkel ward und seine Dräuerin von dannen ging, lösten sich die Fesseln seiner Zunge. »O, ich weiß viel, Hadumoth!« sagte er leise und sah sich scheu um – »ich weiß den Hunnenschatz! Die Waldfrau hat ihn in Verwahrung, zwei Truhen stehen unter ihrem Lager im Zweighaus; ich hab' selber hineingeschaut, es glänzt drin von Spangen und Vorhängkleinodien und güldenem Geschirr. Auch ein silbern Huhn mit Küchlein und Eiern ist dabei, das hat einer im Lombardenland mitgenommen, und viel Prächtiges sonst ... ich hab's teuer gebüßt, den Schatz zu sehen ...«

Er lüpfte seinen ledernen Schlapphut. Sein rechtes Ohr war halb abgeschnitten.

»... Die Waldfrau kam heim, eh' ich die Truhe zuschlagen konnte. ›Das sei dein Lohn‹, sprach sie und zuckte die Schere wider mein Ohr. 's hat weh getan, Hadumoth. Aber ich zahl's ihr heim!«

»Ich helf' dir!« sprach die Gefährtin.[257]

Lange noch plauderten die beiden; der Schlummer floh die Augen der Glücklichen. Der Lärm des Lagers schwieg. Dämmernde Schatten waren über das Tal gebreitet. Da sprach Hadumoth: »Ich muß immer und immer denken, es sei jene Nacht, wo die Sterne fielen.«

Audifax seufzte. »Ich gewinn' meinen Schatz doch noch«, sprach er; »ich weiß es.«

Und wieder saßen sie eine Weile, da schreckte Audifax zusammen, Hadumoth spürte das Zittern seiner Hand. – Über dem Rheine auf dunkelm Berggipfel flammte ein Feuerzeichen auf, es war wie eine Fackel, die ein Mann in kreisendem Bogen schwingt und in die Lüfte hinausschleudert.

»Jetzt ist's erloschen!« sprach Audifax leis.

»Aber dort!« sagte Hadumoth erschrocken und wies rückwärts.

Von des Botzbergs Höhe schlug eine Lohe empor und kreiste feurig und sprühte in Funken. Es war dasselbe Zeichen. Und drüben auf dem Schwarzwald hub sich an dem Platze, wo die Fackel geschwungen worden, eine hohe Flamme himmelan und leuchtete durch die sternlose Nacht. Von der Wache im Tal draußen scholl ein gellender Pfiff. Im Lager regte sich's. Die Waldfrau kam herein. »Was träumst du noch, Bub'!« rief sie drohend, »schirr' unser Gespann und rüste das Saumroß!«

Schweigend gehorchte Audifax.

Der Wagen stand geschirrt, das Saumroß an den Pfahl gebunden; vorsichtig schlich die Alte heran und hing ihm zwei Körbe um und trug zwei Truhen herzu, die packte sie in die Körbe und tat Heu drüber. Sie spähte lauernd hinaus. Es war wieder still. Der Fricktaler Wein schaffte den Hunnen einen festen Schlaf.

»Es ist nichts!« brummte die Waldfrau, »wir können die Gäule wieder zur Ruhe bringen.« Da fuhr sie auf wie geblendet. Der Berg über dem Lager war lebendig geworden, es blitzte und sprühte von viel hundert Fackeln und Feuerbränden192 und donnerte mit wütendem Schlachtruf dazwischen, – vom Rhein her wälzten sich[258] dunkle Massen, auf allen Gipfeln flammte es gen Himmel. – Heraus, ihr Schläfer! ... es war zu spät – schon flog der helle Brand ins Hunnenlager, – klagend Gewieher der Rosse tönte auf – der große Stall stand in Flammen dunkle Gestalten brechen ein, fackelglanzbeschienen kommt heute der Tod; – das ist der alte Irminger, Herr im Frickgau, der ihn bringt, er, der starke Vater sechs starker Söhne, der wie Mattathias mit seinen Makkabäern das Elend seines Volkes nicht länger erschauen wollte; – und von ihnen geführt die Männer von Hornussen und Herznach und die aus dem Aartal und von Brugg und von Badens heißen Quellen und weit von der Giselaflueh her. In sicherm Waldversteck waren sie gelegen, bis auf dem Eggberg drüben die Fackel schwirrte, das war des Schwarzwalds nachbarliche Hilfe – da ging's vorwärts zum Sturm.

Graunvoll tönte der Überfallenen Schrei in den Sturmruf. Blutigen Hauptes sprengte Snewelin vorüber, ein wohlgeschleuderter Pechbrand haftete an seiner Gewandung und flackerte weiter, daß er aussah wie ein feurig Gespenst: »Die Welt geht unter!« rief er, »das tausendjährige Reich bricht an, Herr, sei meiner armen Seele gnädig!«

»Verloren, alles verloren!« sprach die Waldfrau vor sich hin und fuhr mit der Hand über die Stirn. Dann band sie das Saumroß los, um es auch noch vor ihren Wagen zu schirren. Im Dunkel stand Audifax, er biß die Zähne zusammen, um nicht jubelnd hinauszujauchzen in das Geheul des nächtlichen Überfalls; zitternder Widerschein des Feuers spielte um sein Antlitz; es kochte in ihm. Eine Weile schaute er starr ins Rennen und Wogen und Kämpfen der dunkeln Männer – »jetzt weiß ich's!« sprach er leise zu Hadumoth; er hatte einen Feldstein aufgerafft, katzenschnell sprang er an der Waldfrau hinauf und schlug sie nieder, das Saumroß riß er weg und hob mit Mannesstärke die knieende Hadumoth hinauf. »Halt' dich fest am Sattelknopf!« – er sprang aufs Roß und griff die Zügel, das fühlte die ungewohnten Reiter, scheu von Brand und[259] Glanz sprengte es davon in die Nacht. – Audifax wankte nicht, sein Herz pochte in lautem Schlag, er schloß die Augen vor dem qualmenden Rauch – über Erschlagene ging's und durchs Gewühl streitender Männer ... itzt tobte der Schlachtenlärm entfernter, das Roß schlug langsameren Schritt an, dem Rheine entgegen trug es die Kinder – sie waren gerettet.

Und sie ritten die lange bange Nacht durch und schauten nicht um. Audifax hielt schweigsam die Zügel, es war ihm oft, als wär' alles ein Traum gewesen; er legte die Linke auf Hadumoths Haupt und klopfte an die Truhe im Hängkorb, es gab einen Klang von Metall, da erst wußte er wieder, daß er nicht geträumt. Und das Roß war brav und trug seine Last willig, über Feld und Heide ging der Weg und durch finstere Wälder, immer dem strömenden Rhein entgegen.

Wie sie lang' und weit geritten waren, da kam ein kühler Luftzug, daß sie zusammenschauerten: das war des Morgens Vorbote193. Hadumoth schlug die Augen auf. »Wo sind wir?« fragte sie. »Ich weiß es nicht«, sagte Audifax.

Jetzt hörten sie ein Rauschen und Tosen wie fernen Donner, aber es war nicht von einem Gewitter; der Himmel hellte sich, die Sternlein verblaßten und schwanden. Der Donner ward lauter und näher, sie ritten an einem Kastell vorüber, das sah stattlich in die Gewässer herunter, dann bog ihr Pfad um einen Bergrücken, da kam der Rhein in breiter Strömung daher und stürzte mit Hall' und Schall und sprühendem Geschäume über dunkles zernagtes Gefels194; perlender Wasserstaub stäubte herüber und alles stand in feuchtem Duft ... das Roß hielt an, als wolle es den gewaltigen Anblick bedachtsam in sich aufnehmen; Audifax sprang herab, hob die müde Hadumoth herunter, stellte die Hängkörbe zur Erde und ließ das brave Tier grasen.

Und die Kinder standen vor dem Fall des Stromes, Hadumoth hielt ihres Gefährten Rechte in ihrer Linken, lang und lautlos schauten sie hinein. Und die Sonne warf[260] ihre ersten Strahlen über die stürzende Flut, die fing sie auf und fügte sie zu farbigem Regenbogen zusammen und spielte mit dem schillernden Licht ...

Audifax aber ging jetzt zu den Körben, nahm eine Truhe herfür und schlug sie auf – es war eitel Gold und Geschmeide drin – der Schatz, der langersehnte, war gehoben und war sein eigen, nicht durch Zauberformel und nächtige Beschwörung, eigen durch kräftig Rühren der Hände und Dreinschlagen und Nutzung des günstigen Augenblicks. Er schaute in den güldenen Flimmer: Es überraschte ihn nicht, er wußte ja seit Monden, daß ihm ein solches beschieden war ... Von jeglicher Art der güldenen Stücke las er eines aus, von Gefäßen eines, von Ringen einen, von Münzen und Armspangen eine und trug sie vor ans Ufer.

»Hadumoth«, sprach er, »hier muß Gott sein, sein Regenbogen schwebt über dem Wasser. Ich will ihm ein Dankopfer bringen.«

Er trat vor auf einen Felsblock am Rande des Stromes und schleuderte mit starkem Arm das Gefäß in die brausende Rheinflut und den Ring und die Münze und die Spange – dann kniete er auf die Erde und Hadumoth kniete zu ihm und sie beteten eine lange Zeit und dankten Gott ...

Fußnoten

A1 Jacke.


Quelle:
Joseph Viktor von Scheffel: Kritische Ausgabe in 4 Bänden, Band 3, Leipzig/ Wien 1917.
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