Allerheiligenfest

[244] An Karoline Stilling.


1815.


Träumt' ich ewig doch den Traum,

Der mir diese Nacht erschienen,

Säh' ich offen stets den Raum,

Wo die Himmelsmaien grünen!

Garten, der hier blüht,

Bächlein, die entspringen,

Wunderbares Lied,

Das ich hörte klingen.
[244]

Blumen, roth und weiß und blau,

Hatten diese Flur umzogen

Und die allerreinste Frau

Saß auf einem Sternenbogen;

Englein schwebten da

Gleich wie Blütenflocken;

Läuten fern und nah

Wie von hellen Glocken!


Priester, Mönch und Ritterheld

Gingen traulich auf und nieder;

In den Büschen, auf dem Feld

Saßen Frauen hin und wieder;

Kindlein fromm und mild

Sah ich Blumen pflücken,

Bald ein Kreuzesbild,

Bald ihr Haar zu schmücken.


Jeder trug ein weißes Kleid;

Viele doch mit rothen Kränzen

Schienen vor den Andern weit

In dem reinsten Licht zu glänzen.

Wie des Abends Glut,

Leuchtend als wie Kerzen,

Dunkelroth wie Blut

War die Blum' am Herzen.


Einer, welchen ich gefragt,

Aus der Schaar der Schönen, Frommen,

Hat mir treu Bericht gesagt,

Wo sie Alle hergekommen.

Aus der Trübsal Noth,

Aus der Glut und Aschen

Ward so weiß und roth

Ihr Gewand gewaschen.


Plötzlich scholl ein heller Klang

Lockend aus den grünen Zweigen,

Und die ganze Schaar verschlang

Sich in einen frohen Reigen.[245]

Ach es war ein Tanz,

Wie sich Sterne drehen,

Solch ein heller Glanz,

Solch ein lindes Wehen!


Aber nun der Herr erschien,

Der Geliebte, Schönste, Eine,

Lagen All' auf ihren Knie'n,

Eine betende Gemeine.

Alle sah er an,

Grüßt' sie Schwestern, Brüder,

Segnend schwand er dann

Aus den Blicken wieder.


O der übergroßen Freud',

Welche nicht ist auszusagen,

O der Zier und Herrlichkeit,

Welche Gottes Heil'ge tragen!

Aller Heil'gen Tag,

Welchen Gott gegeben,

Daß er laben mag,

Uns im längsten leben!


Himmelan die Augen klar,

Himmelan das Herz gehoben,

Daß wir mit der Heil'gen Schaar

Unsern Hirt und Meister loben!

Schwester, gib die Hand,

Denn auf gleichen Wegen

Ziehn wir einem Land,

Einem Heil entgegen!


Quelle:
Max Schenkendorf: Gedichte, Leipzig o.J, S. 244-246.
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