4.

[256] Dem kalten Tode war nicht Macht gegeben,

Zu nahen sich der Lieblichen und Frommen;

Im tiefsten Inn'ren war ihr früh entglommen

Ein strahlendes und wunderbares Leben.

Als ihre letzte Stunde nun gekommen,

Sah man den Himmelsknaben niederschweben,

Um den die süßen Frühlingsträume weben,

Im höchsten Schmerz war höchste Lust verschwommen.

Die sel'ge Brautnacht war's, in der zur Erde

Der Mai sich fügt mit holdem Liebesgruße.

Zur Dulderin mit freundlicher Geberde

Trat er und weht' sie an mit Blütenzweigen.

Das Leben raubt' er ihr im ersten Kusse –

Der sel'ge Geist flog auf zum Himmelsreigen.

Quelle:
Max Schenkendorf: Gedichte, Leipzig o.J, S. 256.
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