1. Mitternacht

[222] Es strahlt aus Nebelweiten

Ein ferner heil'ger Schein;

Zu Anfang aller Zeiten

War Gott, und Gott allein.
[222]

Da lag er auf den Tiefen,

Da schwebt er auf der Flut,

Die Geister alle schliefen,

Er war das höchste Gut.


Und wie aus dichter Hülle

Die Morgensonne steigt,

Hat seine Kraft, sein Wille

Den ew'gen Sohn gezeugt.


Das war das erste Werde,

Das war das erste Wort,

Das schuf hernach die Erde

Und schafft noch immer fort.


Geheimniß hocherhaben!

Mysterium groß und still!

Hochwürdigste der Gaben,

Die uns ergötzen will!


Gar vielfach angedeutet

Wird es in Gottes Haus,

Doch, was es ganz bedeutet,

Spricht keine Zunge aus.


Wer wagt es auszusprechen?

Wie faßt es Menschensinn?

Man sehnt sich nach den Bächen

Der ew'gen Liebe hin.


Quelle:
Max Schenkendorf: Gedichte, Leipzig o.J, S. 222-223.
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