Die altdeutschen Gemälde

[168] An Sulpiz und Melchior Boisserée von Köln.


Heidelberg, Juli 1814.


Mir winkt ein alter schöner Saal,

Zwei Brüder haben ihn gebaut,

Da hab' ich in dem reinsten Strahl

Mein Vaterland geschaut.
[168]

Das war in jener trüben Zeit

Ein holder stiller Wallfahrtsort,

Wo sich der Väter Herrlichkeit

Verbarg im sichern Port.


Der Märtyrer und Heil'gen Schaar,

Viel Helden Gottes treu und kühn,

Die zarten Frauen mild und klar,

Die für den Heiland glühn;


Manch' Bild der allerreinsten Magd,

Wie Gottes Engel ihr erschien,

Bald wie sie um den Sohn geklagt,

Bald wie die Weisen knien.


Was frommer Fleiß und keusche Kunst

Gepflegt in alter deutscher Welt,

Ward hier nach Gottes Rath und Gunst

Gerettet aufgestellt.


Es kam wol manches treue Herz

Und sah die lieben Bilder an,

Gesegnet sei der tiefe Schmerz,

Der da in ihm begann.


O Liebesbrunst zum Vaterland

Und zu der alten Heldenzeit,

Du bittre Lust, und Gottes Hand

Habt uns vom Joch befreit.


Nun schauen wir euch anders an,

Ihr sprechet uns auch fröhlich zu,

Ihr Bilder, doch ein rechter Mann

Begehrt noch keine Ruh.


Ihr müsset erst an Künstler Hand

Durch unsre freien Länder gehn,

Man soll an keiner deutschen Wand

Mehr Heidenbilder sehn.
[169]

Ihr lieben Heil'gen kommt heraus

Und segnet uns, wir flehen euch,

Ihr holden Mägdlein schmückt das Haus,

Ihr Ritter schützt das Reich!


Du steh' noch lange, Bildersaal,

Ihr Brüder, übet euer Amt,

Daß an der frommen Vorzeit Strahl

Sich manche Brust entflammt!


Quelle:
Max Schenkendorf: Gedichte, Leipzig o.J, S. 168-170.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
Gedichte

Buchempfehlung

Klopstock, Friedrich Gottlieb

Hermanns Schlacht. Ein Bardiet für die Schaubühne

Hermanns Schlacht. Ein Bardiet für die Schaubühne

Von einem Felsgipfel im Teutoburger Wald im Jahre 9 n.Chr. beobachten Barden die entscheidende Schlacht, in der Arminius der Cheruskerfürst das römische Heer vernichtet. Klopstock schrieb dieses - für ihn bezeichnende - vaterländische Weihespiel in den Jahren 1766 und 1767 in Kopenhagen, wo ihm der dänische König eine Pension gewährt hatte.

76 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon