Sechster Auftritt


[764] Talbot auf Fastolf gestützt und von Soldaten begleitet. Gleich darauf Lionel.


TALBOT.

Hier unter diesen Bäumen setzt mich nieder,

Und ihr begebt euch in die Schlacht zurück,

Ich brauche keines Beistands, um zu sterben.

FASTOLF.

O unglückselig jammervoller Tag!


Lionel tritt auf.


Zu welchem Anblick kommt Ihr, Lionel!

Hier liegt der Feldherr auf den Tod verwundet.

LIONEL.

Das wolle Gott nicht! Edler Lord, steht auf!

Jetzt ists nicht Zeit, ermattet hinzusinken.

Weicht nicht dem Tod, gebietet der Natur

Mit Eurem mächtgen Willen, daß sie lebe!

TALBOT.

Umsonst! Der Tag des Schicksals ist gekommen,

Der unsern Thron in Frankreich stürzen soll.

Vergebens in verzweiflungsvollem Kampf

Wagt ich das Letzte noch, ihn abzuwenden.

Vom Stahl dahin geschmettert lieg ich hier,

Um nicht mehr aufzustehn. – Reims ist verloren,

So eilt, Paris zu retten!

LIONEL.

Paris hat sich vertragen mit dem Dauphin,

Soeben bringt ein Eilbot uns die Nachricht.

TALBOT reißt den Verband ab.

So strömet hin, ihr Bäche meines Bluts,

Denn überdrüssig bin ich dieser Sonne!

LIONEL.

Ich kann nicht bleiben. – Fastolf, bringt den Feldherrn

An einen sichern Ort, wir können uns

Nicht lange mehr auf diesem Posten halten.

Die Unsern fliehen schon von allen Seiten,

Unwiderstehlich dringt das Mädchen vor –[764]

TALBOT.

Unsinn, du siegst und ich muß untergehn!

Mit der Dummheit kämpfen Götter selbst vergebens.

Erhabene Vernunft, lichthelle Tochter

Des göttlichen Hauptes, weise Gründerin

Des Weltgebäudes, Führerin der Sterne,

Wer bist du denn, wenn du dem tollen Roß

Des Aberwitzes an den Schweif gebunden,

Ohnmächtig rufend, mit dem Trunkenen

Dich sehend in den Abgrund stürzen mußt!

Verflucht sei, wer sein Leben an das Große

Und Würdge wendet und bedachte Plane

Mit weisem Geist entwirft! Dem Narrenkönig

Gehört die Welt –

LIONEL.

Mylord! Ihr habt nur noch

Für wenig Augenblicke Leben – denkt

An Euren Schöpfer!

TALBOT.

Wären wir als Tapfre

Durch andre Tapfere besiegt, wir könnten

Uns trösten mit dem allgemeinen Schicksal,

Das immer wechselnd seine Kugel dreht –

Doch solchem groben Gaukelspiel erliegen!

War unser ernstes arbeitvolles Leben

Keines ernsthaftern Ausgangs wert?

LIONEL reicht ihm die Hand.

Mylord, fahrt wohl! Der Tränen schuldgen Zoll

Will ich Euch redlich nach der Schlacht entrichten,

Wenn ich alsdann noch übrig bin. Jetzt aber

Ruft das Geschick mich fort, das auf dem Schlachtfeld

Noch richtend sitzt und seine Lose schüttelt.

Auf Wiedersehn in einer andern Welt,

Kurz ist der Abschied für die lange Freundschaft.


Geht ab.


TALBOT.

Bald ists vorüber und der Erde geb ich,

Der ewgen Sonne die Atome wieder,

Die sich zu Schmerz und Lust in mir gefügt –

Und von dem mächtgen Talbot, der die Welt

Mit seinem Kriegsruhm füllte, bleibt nichts übrig,[765]

Als eine Handvoll leichten Staubs. – So geht

Der Mensch zu Ende – und die einzige

Ausbeute, die wir aus dem Kampf des Lebens

Wegtragen, ist die Einsicht in das Nichts,

Und herzliche Verachtung alles dessen,

Was uns erhaben schien und wünschenswert –


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 2, München 31962, S. 764-766.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Jungfrau von Orleans
Die Jungfrau von Orleans
Die Jungfrau von Orleans: Reclam XL - Text und Kontext
Die Jungfrau von Orleans: Eine romantische Tragödie (Suhrkamp BasisBibliothek)
Maria Stuart / Die Jungfrau von Orleans (Fischer Klassik)
Klassische Dramen: Maria Stuart / Jungfrau von Orleans / Wilhelm Tell (Deutscher Klassiker Verlag im Taschenbuch)

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Anatol / Anatols Größenwahn

Anatol / Anatols Größenwahn

Anatol, ein »Hypochonder der Liebe«, diskutiert mit seinem Freund Max die Probleme mit seinen jeweiligen Liebschaften. Ist sie treu? Ist es wahre Liebe? Wer trägt Schuld an dem Scheitern? Max rät ihm zu einem Experiment unter Hypnose. »Anatols Größenwahn« ist eine später angehängte Schlußszene.

88 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon