Erster Auftritt

[773] JOHANNA.

Die Waffen ruhn, des Krieges Stürme schweigen,

Auf blutge Schlachten folgt Gesang und Tanz,

Durch alle Straßen tönt der muntre Reigen,

Altar und Kirche prangt in Festes Glanz,

Und Pforten bauen sich aus grünen Zweigen,

Und um die Säule windet sich der Kranz,

Das weite Reims faßt nicht die Zahl der Gäste,

Die wallend strömen zu dem Völkerfeste.


Und einer Freude Hochgefühl entbrennet,

Und ein Gedanke schlägt in jeder Brust,

Was sich noch jüngst in blutgem Haß getrennet,

Das teilt entzückt die allgemeine Lust,

Wer nur zum Stamm der Franken sich bekennet,

Der ist des Namens stolzer sich bewußt,

Erneuert ist der Glanz der alten Krone,

Und Frankreich huldigt seinem Königssohne.


Doch mich, die all dies Herrliche vollendet,

Mich rührt es nicht, das allgemeine Glück,

Mir ist das Herz verwandelt und gewendet,

Es flieht von dieser Festlichkeit zurück,

Ins britsche Lager ist es hingewendet,

Hinüber zu dem Feinde schweift der Blick,

Und aus der Freude Kreis muß ich mich stehlen,

Die schwere Schuld des Busens zu verhehlen.


Wer? Ich? Ich eines Mannes Bild

In meinem reinen Busen tragen?

Dies Herz, von Himmels Glanz erfüllt,

Darf einer irdschen Liebe schlagen?

Ich meines Landes Retterin,[773]

Des höchsten Gottes Kriegerin,

Für meines Landes Feind entbrennen!

Darf ichs der keuschen Sonne nennen,

Und mich vernichtet nicht die Scham!


Die Musik hinter der Szene geht in eine weiche schmelzende Melodie unter.


Wehe! Weh mir! Welche Töne!

Wie verführen sie mein Ohr!

Jeder ruft mir seine Stimme,

Zaubert mir sein Bild hervor!


Daß der Sturm der Schlacht mich faßte,

Speere sausend mich umtönten

In des heißen Streites Wut!

Wieder fänd ich meinen Mut!


Diese Stimmen, diese Töne,

Wie umstricken sie mein Herz,

Jede Kraft in meinem Busen

Lösen sie in weichem Sehnen,

Schmelzen sie in Wehmuts-Tränen!


Nach einer Pause lebhafter.


Sollt ich ihn töten? Konnt ichs, da ich ihm

Ins Auge sah? Ihn töten! Eher hätt ich

Den Mordstahl auf die eigne Brust gezückt!

Und bin ich strafbar, weil ich menschlich war?

Ist Mitleid Sünde? – Mitleid! Hörtest du

Des Mitleids Stimme und der Menschlichkeit

Auch bei den andern, die dein Schwert geopfert?

Warum verstummte sie, als der Walliser dich,

Der zarte Jüngling, um sein Leben flehte?

Arglistig Herz! Du lügst dem ewgen Licht,

Dich trieb des Mitleids fromme Stimme nicht!


Warum mußt ich ihm in die Augen sehn!

Die Züge schaun des edeln Angesichts![774]

Mit deinem Blick fing dein Verbrechen an,

Unglückliche! Ein blindes Werkzeug fodert Gott,

Mit blinden Augen mußtest dus vollbringen!

Sobald du sahst, verließ dich Gottes Schild,

Ergriffen dich der Hölle Schlingen!


Die Flöten wiederholen, sie versinkt in eine stille Wehmut.


Frommer Stab! O hätt ich nimmer

Mit dem Schwerte dich vertauscht!

Hätt es nie in deinen Zweigen,

Heilge Eiche! mir gerauscht!

Wärst du nimmer mir erschienen,

Hohe Himmelskönigin!

Nimm, ich kann sie nicht verdienen,

Deine Krone, nimm sie hin!


Ach, ich sah den Himmel offen

Und der Selgen Angesicht!

Doch auf Erden ist mein Hoffen,

Und im Himmel ist es nicht!

Mußtest du ihn auf mich laden

Diesen furchtbaren Beruf,

Konnt ich dieses Herz verhärten,

Das der Himmel fühlend schuf!


Willst du deine Macht verkünden

Wähle sie, die frei von Sünden

Stehn in deinem ewgen Haus,

Deine Geister sende aus,

Die Unsterblichen, die Reinen,

Die nicht fühlen, die nicht weinen!

Nicht die zarte Jungfrau wähle,

Nicht der Hirtin weiche Seele!


Kümmert mich das Los der Schlachten,

Mich der Zwist der Könige?

Schuldlos trieb ich meine Lämmer[775]

Auf des stillen Berges Höh.

Doch du rissest mich ins Leben,

In den stolzen Fürstensaal,

Mich der Schuld dahinzugeben,

Ach! es war nicht meine Wahl!


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 2, München 31962, S. 773-776.
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