Zweiter Auftritt


[776] Agnes Sorel. Johanna.


SOREL kommt in lebhafter Rührung, wie sie die Jungfrau erblickt, eilt sie auf sie zu und fällt ihr um den Hals; plötzlich besinnt sie sich, läßt sie los und fällt vor ihr nieder.

Nein! Nicht so! Hier im Staub vor dir –

JOHANNA will sie aufheben.

Steh auf!

Was ist dir? Du vergissest dich und mich.

SOREL.

Laß mich! Es ist der Freude Drang, der mich

Zu deinen Füßen niederwirft – ich muß

Mein überwallend Herz vor Gott ergießen,

Den Unsichtbaren bet ich an in dir.

Du bist der Engel, der mir meinen Herrn

Nach Reims geführt und mit der Krone schmückt.

Was ich zu sehen nie geträumt, es ist

Erfüllt! Der Krönungszug bereitet sich,

Der König steht im festlichen Ornat,

Versammelt sind die Pairs, die Mächtigen

Der Krone, die Insignien zu tragen,

Zur Kathedrale wallend strömt das Volk,

Es schallt der Reigen und die Glocken tönen,

O dieses Glückes Fülle trag ich nicht!


Johanna hebt sie sanft in die Höhe. Agnes Sorel hält einen Augenblick inne, indem sie der Jungfrau näher ins Auge sieht.


Doch du bleibst immer ernst und streng, du kannst

Das Glück erschaffen, doch du teilst es nicht.

Dein Herz ist kalt, du fühlst nicht unsre Freuden,

Du hast der Himmel Herrlichkeit gesehn,

Die reine Brust bewegt kein irdisch Glück.


[776] Johanna ergreift ihre Hand mit Heftigkeit, läßt sie aber schnell wieder fahren.


O könntest du ein Weib sein und empfinden!

Leg diese Rüstung ab, kein Krieg ist mehr,

Bekenne dich zum sanfteren Geschlechte!

Mein liebend Herz flieht scheu vor dir zurück,

Solange du der strengen Pallas gleichst.

JOHANNA.

Was foderst du von mir!

SOREL.

Entwaffne dich!

Leg diese Rüstung ab, die Liebe fürchtet,

Sich dieser stahlbedeckten Brust zu nahn.

O sei ein Weib und du wirst Liebe fühlen!

JOHANNA.

Jetzt soll ich mich entwaffnen! Jetzt! Dem Tod

Will ich die Brust entblößen in der Schlacht!

Jetzt nicht – o möchte siebenfaches Erz

Vor euren Festen, vor mir selbst mich schützen!

SOREL.

Dich liebt Graf Dunois. Sein edles Herz,

Dem Ruhm nur offen und der Heldentugend,

Es glüht für dich in heiligem Gefühl.

O es ist schön, von einem Helden sich geliebt

Zu sehn – es ist noch schöner, ihn zu lieben!


Johanna wendet sich mit Abscheu hinweg.


Du hassest ihn! – Nein, nein, du kannst ihn nur

Nicht lieben – Doch wie solltest du ihn hassen!

Man haßt nur den, der den Geliebten uns

Entreißt, doch dir ist keiner der Geliebte!

Dein Herz ist ruhig – Wenn es fühlen könnte –

JOHANNA.

Beklage mich! Beweine mein Geschick!

SOREL.

Was könnte dir zu deinem Glücke mangeln?

Du hast dein Wort gelöst, Frankreich ist frei,

Bis in die Krönungsstadt hast du den König

Siegreich geführt, und hohen Ruhm erstritten,

Dir huldiget, dich preist ein glücklich Volk,

Von allen Zungen überströmend fließt

Dein Lob, du bist die Göttin dieses Festes,

Der König selbst mit seiner Krone strahlt[777]

Nicht herrlicher als du.

JOHANNA.

O könnt ich mich

Verbergen in den tiefsten Schoß der Erde!

SOREL.

Was ist dir? Welche seltsame Bewegung!

Wer dürfte frei aufschaun an diesem Tage,

Wenn du die Blicke niederschlagen sollst!

Mich laß erröten, mich, die neben dir

So klein sich fühlt, zu deiner Heldenstärke sich,

Zu deiner Hoheit nicht erheben kann!

Denn soll ich meine ganze Schwäche dir

Gestehen? – Nicht der Ruhm des Vaterlandes,

Nicht der erneute Glanz des Thrones, nicht

Der Völker Hochgefühl und Siegesfreude

Beschäftigt dieses schwache Herz. Es ist

Nur einer, der es ganz erfüllt, es hat

Nur Raum für dieses einzige Gefühl:

Er ist der Angebetete, ihm jauchzt das Volk,

Ihn segnet es, ihm streut es diese Blumen,

Er ist der Meine, der Geliebte ists.

JOHANNA.

O du bist glücklich! Selig preise dich!

Du liebst, wo alles liebt! Du darfst dein Herz

Aufschließen, laut aussprechen dein Entzücken

Und offen tragen vor der Menschen Blicken!

Dies Fest des Reichs ist deiner Liebe Fest,

Die Völker alle, die unendlichen,

Die sich in diesen Mauren flutend drängen,

Sie teilen dein Gefühl, sie heilgen es,

Dir jauchzen sie, dir flechten sie den Kranz,

Eins bist du mit der allgemeinen Wonne,

Du liebst das Allerfreuende, die Sonne,

Und was du siehst, ist deiner Liebe Glanz!

SOREL ihr um den Hals fallend.

O du entzückst mich, du verstehst mich ganz!

Ja ich verkannte dich, du kennst die Liebe,

Und was ich fühle, sprichst du mächtig aus.

Von seiner Furcht und Scheue löst sich mir[778]

Das Herz, es wallt vertrauend dir entgegen –

JOHANNA entreißt sich mit Heftigkeit ihren Armen.

Verlaß mich. Wende dich von mir! Beflecke

Dich nicht mit meiner pesterfüllten Nähe!

Sei glücklich, geh, mich laß in tiefster Nacht

Mein Unglück, meine Schande, mein Entsetzen

Verbergen –

SOREL.

Du erschreckst mich, ich begreife

Dich nicht, doch ich begriff dich nie – und stets

Verhüllt war mir dein dunkel tiefes Wesen.

Wer möcht es fassen, was dein heilig Herz,

Der reinen Seele Zartgefühl erschreckt!

JOHANNA.

Du bist die Heilige! Du bist die Reine!

Sähst du mein Innerstes, du stießest schaudernd

Die Feindin von dir, die Verräterin!


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 2, München 31962, S. 776-779.
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