Zehnter Auftritt


[118] Der König und Marquis von Posa.

Dieser geht dem König, sobald er ihn gewahr wird, entgegen und läßt sich vor ihm auf ein Knie nieder, steht auf und bleibt ohne Zeichen der Verwirrung vor ihm stehen.


KÖNIG betrachtet ihn mit einem Blick der Verwunderung.

Mich schon gesprochen also?

MARQUIS.

Nein.

KÖNIG.

Ihr machtet

Um meine Krone Euch verdient. Warum

Entziehet Ihr Euch meinem Dank? In meinem

Gedächtnis drängen sich der Menschen viel.

Allwissend ist nur Einer. Euch kams zu,

Das Auge Eures Königes zu suchen.

Weswegen tatet Ihr das nicht?

MARQUIS.

Es sind

Zween Tage, Sire, daß ich ins Königreich

Zurückgekommen.

KÖNIG.

Ich bin nicht gesonnen,

In meiner Diener Schuld zu stehn – Erbittet

Euch eine Gnade.

MARQUIS.

Ich genieße die Gesetze.

KÖNIG.

Dies Recht hat auch der Mörder.

MARQUIS.

Wieviel mehr[118]

Der gute Bürger! – Sire, ich bin zufrieden.

KÖNIG vor sich.

Viel Selbstgefühl und kühner Mut, bei Gott!

Doch das war zu erwarten – Stolz will ich

Den Spanier. Ich mag es gerne leiden,

Wenn auch der Becher überschäumt- Ihr tratet

Aus meinen Diensten, hör ich?

MARQUIS.

Einem Bessern

Den Platz zu räumen, zog ich mich zurücke.

KÖNIG.

Das tut mir leid. Wenn solche Köpfe feiern,

Wieviel Verlust für meinen Staat – Vielleicht

Befürchtet Ihr, die Sphäre zu verfehlen,

Die Eures Geistes würdig ist.

MARQUIS.

O nein!

Ich bin gewiß, daß der erfahrne Kenner,

In Menschenseelen, seinem Stoff, geübt,

Beim ersten Blicke wird gelesen haben,

Was ich ihm taugen kann, was nicht. Ich fühle

Mit demutsvoller Dankbarkeit die Gnade,

Die Eure Königliche Majestät

Durch diese stolze Meinung auf mich häufen;

Doch –


Er hält inne.


KÖNIG.

Ihr bedenket Euch?

MARQUIS.

Ich bin – ich muß

Gestehen, Sire – sogleich nicht vorbereitet,

Was ich als Bürger dieser Welt gedacht,

In Worte Ihres Untertans zu kleiden. –

Denn damals, Sire, als ich auf immer mit

Der Krone aufgehoben, glaubt ich mich

Auch der Notwendigkeit entbunden, ihr

Von diesem Schritte Gründe anzugeben.

KÖNIG.

So schwach sind diese Gründe? Fürchtet Ihr,

Dabei zu wagen?

MARQUIS.

Wenn ich Zeit gewinne,

Sie zu erschöpfen, Sire – mein Leben höchstens.

Die Wahrheit aber setz ich aus, wenn Sie

Mir diese Gunst verweigern. Zwischen Ihrer[119]

Ungnade und Geringschätzung ist mir

Die Wahl gelassen – Muß ich mich entscheiden,

So will ich ein Verbrecher lieber als

Ein Tor von Ihren Augen gehen.

KÖNIG mit erwartender Miene.

Nun?

MARQUIS.

– Ich kann nicht Fürstendiener sein.


Der König sieht ihn mit Erstaunen an.


Ich will

Den Käufer nicht betrügen, Sire. – Wenn Sie

Mich anzustellen würdigen, so wollen

Sie nur die vorgewogne Tat. Sie wollen

Nur meinen Arm und meinen Mut im Felde,

Nur meinen Kopf im Rat. Nicht meine Taten,

Der Beifall, den sie finden an dem Thron,

Soll meiner Taten Endzweck sein. Mir aber,

Mir hat die Tugend eignen Wert. Das Glück,

Das der Monarch mit meinen Händen pflanzte,

Erschüf ich selbst, und Freude wäre mir

Und eigne Wahl, was mir nur Pflicht sein sollte.

Und ist das Ihre Meinung? Können Sie

In Ihrer Schöpfung fremde Schöpfer dulden?

Ich aber soll zum Meißel mich erniedern,

Wo ich der Künstler könnte sein? – Ich liebe

Die Menschheit, und in Monarchien darf

Ich niemand lieben als mich selbst.

KÖNIG.

Dies Feuer

Ist lobenswert. Ihr möchtet Gutes stiften.

Wie Ihr es stiftet, kann dem Patrioten

Dem Weisen gleich viel heißen. Suchet Euch

Den Posten aus in meinen Königreichen,

Der Euch berechtigt, diesem edeln Triebe

Genug zu tun.

MARQUIS.

Ich finde keinen.

KÖNIG.

Wie?

MARQUIS.

Was Eure Majestät durch meine Hand

Verbreiten – ist das Menschenglück? – Ist das

Dasselbe Glück, das meine reine Liebe[120]

Den Menschen gönnt? – Vor diesem Glücke würde

Die Majestät erzittern – Nein! Ein neues

Erschuf der Krone Politik – ein Glück,

Das sie noch reich genug ist auszuteilen,

Und in dem Menschenherzen neue Triebe,

Die sich von diesem Glücke stillen lassen.

In ihren Münzen läßt sie Wahrheit schlagen,

Die Wahrheit, die sie dulden kann. Verworfen

Sind alle Stempel, die nicht diesem gleichen.

Doch was der Krone frommen kann – ist das

Auch mir genug? Darf meine Bruderliebe

Sich zur Verkürzung meines Bruders borgen?

Weiß ich ihn glücklich – eh er denken darf?

Mich wählen Sie nicht, Sire, Glückseligkeit,

Die Sie uns prägen, auszustreun. Ich muß

Mich weigern, diese Stempel auszugeben. –

Ich kann nicht Fürstendiener sein.

KÖNIG etwas rasch.

Ihr seid

Ein Protestant.

MARQUIS nach einigem Bedenken.

Ihr Glaube, Sire, ist auch

Der meine.


Nach einer Pause.


Ich werde mißverstanden.

Das war es, was ich fürchtete. Sie sehen

Von den Geheimnissen der Majestät

Durch meine Hand den Schleier weggezogen.

Wer sichert Sie, daß mir noch heilig heiße,

Was mich zu schrecken aufgehört? Ich bin

Gefährlich, weil ich über mich gedacht. –

Ich bin es nicht, mein König. Meine Wünsche

Verwesen hier.


Die Hand auf die Brust gelegt.


Die lächerliche Wut

Der Neuerung, die nur der Ketten Last,

Die sie nicht ganz zerbrechen kann, vergrößert,

Wird mein Blut nie erhitzen. Das Jahrhundert

Ist meinem Ideal nicht reif. Ich lebe

Ein Bürger derer, welche kommen werden.[121]

Kann ein Gemälde Ihre Ruhe trüben? –

Ihr Atem löscht es aus.

KÖNIG.

Bin ich der erste,

Der Euch von dieser Seite kennt?

MARQUIS.

Von dieser –

Ja!

KÖNIG steht auf, macht einige Schritte und bleibt dem Marquis gegenüber stehen. Vor sich.

Neu zum wenigsten ist dieser Ton!

Die Schmeichelei erschöpft sich. Nachzuahmen

Erniedrigt einen Mann von Kopf – Auch einmal

Die Probe von dem Gegenteil. Warum nicht?

Das Überraschende macht Glück. – Wenn Ihr

Es so verstehet, gut, so will ich mich

Auf eine neue Kronbedienung richten –

Den starken Geist. –

MARQUIS.

Ich höre, Sire, wie klein,

Wie niedrig Sie von Menschenwürde denken,

Selbst in des freien Mannes Sprache nur

Den Kunstgriff eines Schmeichlers sehen, und

Mir deucht, ich weiß, wer Sie dazu berechtigt.

Die Menschen zwangen Sie dazu; die haben

Freiwillig ihres Adels sich begeben,

Freiwillig sich auf diese niedre Stufe

Herabgestellt. Erschrocken fliehen sie

Vor dem Gespenste ihrer innern Größe,

Gefallen sich in ihrer Armut, schmücken

Mit feiger Weisheit ihre Ketten aus,

Und Tugend nennt man, sie mit Anstand tragen.

So überkamen Sie die Welt. So ward

Sie Ihrem großen Vater überliefert.

Wie könnten Sie in dieser traurigen

Verstümmlung – Menschen ehren?

KÖNIG.

Etwas Wahres

Find ich in diesen Worten.

MARQUIS.

Aber schade!

Da Sie den Menschen aus des Schöpfers Hand[122]

In Ihrer Hände Werk verwandelten

Und dieser neugegoßnen Kreatur

Zum Gott sich gaben – da versahen Sie's

In etwas nur: Sie blieben selbst noch Mensch –

Mensch aus des Schöpfers Hand. Sie fuhren fort,

Als Sterblicher zu leiden, zu begehren;

Sie brauchen Mitgefühl – und einem Gott

Kann man nur opfern – zittern – zu ihm beten!

Bereuenswerter Tausch! Unselige

Verdrehung der Natur! – Da Sie den Menschen

Zu Ihrem Saitenspiel herunterstürzten,

Wer teilt mit Ihnen Harmonie?

KÖNIG.

(Bei Gott,

Er greift in meine Seele!)

MARQUIS.

Aber Ihnen

Bedeutet dieses Opfer nichts. Dafür

Sind Sie auch einzig – Ihre eigne Gattung –

Um diesen Preis sind Sie ein Gott. – Und schrecklich,

Wenn das nicht wäre – wenn für diesen Preis,

Für das zertretne Glück von Millionen,

Sie nichts gewonnen hätten! wenn die Freiheit,

Die Sie vernichteten, das einzge wäre,

Das Ihre Wünsche reifen kann? – Ich bitte,

Mich zu entlassen, Sire. Mein Gegenstand

Reißt mich dahin. Mein Herz ist voll – der Reiz

Zu mächtig, vor dem Einzigen zu stehen,

Dem ich es öffnen möchte.


Der Graf von Lerma tritt herein und spricht einige Worte leise mit dem König. Dieser gibt ihm einen Wink, sich zu entfernen, und bleibt in seiner vorigen Stellung sitzen.


KÖNIG zum Marquis, nachdem Lerma weggegangen.

Redet aus!

MARQUIS nach einigem Stillschweigen.

Ich fühle, Sire, – den ganzen Wert –

KÖNIG.

Vollendet!

Ihr hattet mir noch mehr zu sagen.[123]

MARQUIS.

Sire!

Jüngst kam ich an von Flandern und Brabant. –

So viele reiche, blühende Provinzen!

Ein kräftiges, ein großes Volk – und auch

Ein gutes Volk – und Vater dieses Volkes!

Das, dacht ich, das muß göttlich sein! – Da stieß

Ich auf verbrannte menschliche Gebeine –


Hier schweigt er still; seine Augen ruhen auf dem König, der es versucht, diesen Blick zu erwidern, aber betroffen und verwirrt zur Erde sieht.


Sie haben recht. Sie müssen. Daß Sie können,

Was Sie zu müssen eingesehn, hat mich

Mit schauernder Bewunderung durchdrungen.

O schade, daß, in seinem Blut gewälzt,

Das Opfer wenig dazu taugt, dem Geist

Des Opferers ein Loblied anzustimmen!

Daß Menschen nur – nicht Wesen höhrer Art –

Die Weltgeschichte schreiben! – Sanftere

Jahrhunderte verdrängen Philipps Zeiten;

Die bringen mildre Weisheit; Bürgerglück

Wird dann versöhnt mit Fürstengröße wandeln,

Der karge Staat mit seinen Kindern geizen,

Und die Notwendigkeit wird menschlich sein.

KÖNIG.

Wann, denkt Ihr, würden diese menschlichen

Jahrhunderte erscheinen, hätt ich vor

Dem Fluch des jetzigen gezittert? Sehet

In meinem Spanien Euch um. Hier blüht

Des Bürgers Glück in nie bewölktem Frieden;

Und diese Ruhe gönn ich den Flamändern.

MARQUIS schnell.

Die Ruhe eines Kirchhofs! Und Sie hoffen

Zu endigen, was Sie begannen? hoffen,

Der Christenheit gezeitigte Verwandlung,

Den allgemeinen Frühling aufzuhalten,

Der die Gestalt der Welt verjüngt? Sie wollen

Allein in ganz Europa – sich dem Rade

Des Weltverhängnisses, das unaufhaltsam

In vollem Laufe rollt, entgegenwerfen?[124]

Mit Menschenarm in seine Speichen fallen?

Sie werden nicht! Schon flohen Tausende

Aus Ihren Ländern froh und arm. Der Bürger,

Den Sie verloren für den Glauben, war

Ihr edelster. Mit offnen Mutterarmen

Empfängt die Fliehenden Elisabeth,

Und fruchtbar blüht durch Künste unsres Landes

Britannien. Verlassen von dem Fleiß

Der neuen Christen, liegt Grenada öde,

Und jauchzend sieht Europa seinen Feind

An selbstgeschlagnen Wunden sich verbluten.


Der König ist bewegt; der Marquis bemerkt es und tritt einige Schritte näher.


Sie wollen pflanzen für die Ewigkeit,

Und säen Tod? Ein so erzwungnes Werk

Wird seines Schöpfers Geist nicht überdauern.

Dem Undank haben Sie gebaut – umsonst

Den harten Kampf mit der Natur gerungen,

Umsonst ein großes königliches Leben

Zerstörenden Entwürfen hingeopfert.

Der Mensch ist mehr, als Sie von ihm gehalten.

Des langen Schlummers Bande wird er brechen

Und wiederfordern sein geheiligt Recht.

Zu einem Nero und Busiris wirft

Er Ihren Namen, und – das schmerzt mich; denn

Sie waren gut.

KÖNIG.

Wer hat Euch dessen so

Gewiß gemacht?

MARQUIS mit Feuer.

Ja, beim Allmächtigen!

Ja – ja – ich wiederhol es. Geben Sie,

Was Sie uns nahmen, wieder! Lassen Sie,

Großmütig wie der Starke, Menschenglück

Aus Ihrem Füllhorn strömen – Geister reifen

In Ihrem Weltgebäude! Geben Sie,

Was Sie uns nahmen, wieder. Werden Sie

Von Millionen Königen ein König.


[125] Er nähert sich ihm kühn, indem er feste und feurige Blicke auf ihn richtet.


O, könnte die Beredsamkeit von allen

Den Tausenden, die dieser großen Stunde

Teilhaftig sind, auf meinen Lippen schweben,

Den Strahl, den ich in diesen Augen merke,

Zur Flamme zu erheben! – Geben Sie

Die unnatürliche Vergöttrung auf,

Die uns vernichtet. Werden Sie uns Muster

Des Ewigen und Wahren. Niemals – niemals

Besaß ein Sterblicher so viel, so göttlich

Es zu gebrauchen. Alle Könige

Europens huldigen dem spanschen Namen.

Gehn Sie Europens Königen voran.

Ein Federzug von dieser Hand, und neu

Erschaffen wird die Erde. Geben Sie

Gedankenfreiheit. –


Sich ihm zu Fußen werfend.


KÖNIG überrascht, das Gesicht weggewandt und dann wieder auf den Marquis geheftet.

Sonderbarer Schwärmer!

Doch – stehet auf – ich –

MARQUIS.

Sehen Sie sich um

In seiner herrlichen Natur! Auf Freiheit

Ist sie gegründet – und wie reich ist sie

Durch Freiheit! Er, der große Schöpfer, wirft

In einen Tropfen Tau den Wurm, und läßt

Noch in den toten Räumen der Verwesung

Die Willkür sich ergetzen – Ihre Schöpfung,

Wie eng und arm! Das Rauschen eines Blattes

Erschreckt den Herrn der Christenheit – Sie müssen

Vor jeder Tugend zittern. Er – der Freiheit

Entzückende Erscheinung nicht zu stören –

Er läßt des Übels grauenvolles Heer

In seinem Weltall lieber toben – ihn,

Den Künstler, wird man nicht gewahr, bescheiden

Verhüllt er sich in ewige Gesetze;

[126] Die sieht der Freigeist, doch nicht ihn. Wozu

Ein Gott? sagt er; die Welt ist sich genug.

Und keines Christen Andacht hat ihn mehr

Als dieses Freigeists Lästerung gepriesen.

KÖNIG.

Und wollet Ihr es unternehmen, dies

Erhabne Muster in der Sterblichkeit

In meinen Staaten nachzubilden?

MARQUIS.

Sie,

Sie können es. Wer anders? Weihen Sie

Dem Glück der Völker die Regentenkraft,

Die – ach so lang – des Thrones Größe nur

Gewuchert hatte – stellen Sie der Menschheit

Verlornen Adel wieder her. Der Bürger

Sei wiederum, was er zuvor gewesen,

Der Krone Zweck – ihn binde keine Pflicht

Als seiner Brüder gleich ehrwürdge Rechte.

Wenn nun der Mensch, sich selbst zurückgegeben,

Zu seines Werts Gefühl erwacht – der Freiheit

Erhabne, stolze Tugenden gedeihen –

Dann, Sire, wenn Sie zum glücklichsten der Welt

Ihr eignes Königreich gemacht – dann ist

Es Ihre Pflicht, die Welt zu unterwerfen.

KÖNIG nach einem großen Stillschweigen.

Ich ließ Euch bis zu Ende reden – Anders,

Begreif ich wohl, als sonst in Menschenköpfen

Malt sich in diesem Kopf die Welt – auch will

Ich fremdem Maßstab Euch nicht unterwerfen.

Ich bin der Erste, dem Ihr Euer Innerstes

Enthüllt. Ich glaub es, weil ichs weiß. Um dieser

Enthaltung willen, solche Meinungen,

Mit solchem Feuer doch umfaßt, verschwiegen

Zu haben bis auf diesen Tag – um dieser

Bescheidnen Klugheit willen, junger Mann,

Will ich vergessen, daß ich sie erfahren,

Und wie ich sie erfahren. Stehet auf.

Ich will den Jüngling, der sich übereilte,[127]

Als Greis und nicht als König widerlegen.

Ich will es, weil ichs will – Gift also selbst,

Find ich, kann in gutartigen Naturen

Zu etwas Besserm sich veredeln – Aber

Flieht meine Inquisition. – Es sollte

Mir leid tun –

MARQUIS.

Wirklich? Sollt es das?

KÖNIG in seinem Anblick verloren.

Ich habe

Solch einen Menschen nie gesehen. – Nein,

Nein, Marquis! Ihr tut mir zuviel. Ich will

Nicht Nero sein. Ich will es nicht sein – will

Es gegen Euch nicht sein. Nicht alle

Glückseligkeit soll unter mir verdorren.

Ihr selbst, Ihr sollet unter meinen Augen

Fortfahren dürfen, Mensch zu sein.

MARQUIS rasch.

Und meine

Mitbürger, Sire? – O! nicht um mich war mirs

Zu tun, nicht meine Sache wollt ich führen.

Und Ihre Untertanen, Sire?

KÖNIG.

Und wenn

Ihr so gut wisset, wie die Folgezeit

Mich richten wird, so lerne sie an Euch,

Wie ich mit Menschen es gehalten, als

Ich einen fand.

MARQUIS.

O! der gerechteste

Der Könige sei nicht mit einem Male

Der ungerechteste – In Ihrem Flandern

Sind tausend Bessere als ich. Nur Sie

Darf ich es frei gestehen, großer König? –

Sie sehn jetzt unter diesem sanftern Bilde

Vielleicht zum erstenmal die Freiheit.

KÖNIG mit gemildertem Ernst.

Nichts mehr

Von diesem Inhalt, junger Mann. – Ich weiß,

Ihr werdet anders denken, kennet Ihr

Den Menschen erst wie ich. – Doch hätt ich Euch

Nicht gern zum letztenmal gesehn. Wie fang ich[128]

Es an, Euch zu verbinden?

MARQUIS.

Lassen Sie

Mich, wie ich bin. Was wär ich Ihnen, Sire,

Wenn Sie auch mich bestächen?

KÖNIG.

Diesen Stolz

Ertrag ich nicht. Ihr seid von heute an

In meinen Diensten – Keine Einwendung!

Ich will es haben.


Nach einer Pause.


Aber wie? Was wollte

Ich denn? War es nicht Wahrheit, was ich wollte?

Und hier find ich noch etwas mehr – Ihr habt

Auf meinem Thron mich ausgefunden, Marquis.

Nicht auch in meinem Hause?


Da sich der Marquis zu bedenken scheint.


Ich versteh Euch.

Doch – wär ich auch von allen Vätern der

Unglücklichste, kann ich nicht glücklich sein

Als Gatte?

MARQUIS.

Wenn ein hoffnungsvoller Sohn,

Wenn der Besitz der liebenswürdigsten

Gemahlin einem Sterblichen ein Recht

Zu diesem Namen geben, Sire, so sind Sie

Der Glücklichste durch beides.

KÖNIG mit finstrer Miene.

Nein, ich bins nicht!

Und daß ichs nicht bin, hab ich tiefer nie

Gefühlt als eben jetzt –


Mit einem Blicke der Wehmut auf dem Marquis verweilend.


MARQUIS.

Der Prinz denkt edel

Und gut. Ich hab ihn anders nie gefunden.

KÖNIG.

Ich aber hab es – Was er mir genommen,

Kann keine Krone mir ersetzen – Eine

So tugendhafte Königin!

MARQUIS.

Wer kann

Es wagen, Sire?

KÖNIG.

Die Welt! Die Lästerung![129]

Ich selbst! – Hier liegen Zeugnisse, die ganz

Unwidersprechlich sie verdammen; andre

Sind noch vorhanden, die das Schrecklichste

Mich fürchten lassen – Aber, Marquis – schwer,

Schwer fällt es mir, an eines nur zu glauben.

Wer klagt sie an? – Wenn sie – sie fähig sollte

Gewesen sein, so tief sich zu entehren,

O, wieviel mehr ist mir zu glauben dann

Erlaubt, daß eine Eboli verleumdet?

Haßt nicht der Priester meinen Sohn und sie?

Und weiß ich nicht, daß Alba Rache brütet?

Mein Weib ist mehr wert als sie alle.

MARQUIS.

Sire,

Und etwas lebt noch in des Weibes Seele,

Das über allen Schein erhaben ist

Und über alle Lästerung – es heißt

Weibliche Tugend.

KÖNIG.

Ja! Das sag ich auch.

So tief, als man die Königin bezüchtigt,

Herabzusinken, kostet viel. So leicht,

Als man mich überreden möchte, reißen

Der Ehre heilge Bande nicht. Ihr kennt

Den Menschen, Marquis. Solch ein Mann hat mir

Schon längst gemangelt, Ihr seid gut und fröhlich

Und kennet doch den Menschen auch – Drum hab

Ich Euch gewählt –

MARQUIS überrascht und erschrocken.

Mich, Sire?

KÖNIG.

Ihr standet

Vor Eurem Herrn und habt nichts für Euch selbst

Erbeten – nichts. Das ist mir neu – Ihr werdet

Gerecht sein. Leidenschaft wird Euren Blick

Nicht irren – Dränget Euch zu meinem Sohn,

Erforscht das Herz der Königin. Ich will

Euch Vollmacht senden, sie geheim zu sprechen.

Und jetzt verlaßt mich!


Er zieht eine Glocke.[130]


MARQUIS.

Kann ich es mit einer

Erfüllten Hoffnung? – dann ist dieser Tag

Der schönste meines Lebens.

KÖNIG reicht ihm die Hand zum Kusse.

Er ist kein

Verlorner in dem meinigen.


Der Marquis steht auf und geht. Graf Lerma tritt herein.


Der Ritter

Wird künftig ungemeldet vorgelassen.

Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 2, München 31962, S. 118-131.
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