Zehnter Auftritt


[210] Der König und der Großinquisitor.

Ein langes Stillschweigen.


GROSSINQUISITOR.

Steh

Ich vor dem König?

KÖNIG.

Ja.

GROSSINQUISITOR.

Ich war mirs nicht mehr

Vermutend.

KÖNIG.

Ich erneure einen Auftritt

Vergangner Jahre. Philipp, der Infant,

Holt Rat bei seinem Lehrer.

GROSSINQUISITOR.

Rat bedurfte

Mein Zögling Karl, Ihr großer Vater, niemals.

KÖNIG.

Um soviel glücklicher war er. Ich habe

Gemordet, Kardinal, und keine Ruhe –

GROSSINQUISITOR.

Weswegen haben Sie gemordet?

KÖNIG.

Ein[210]

Betrug, der ohne Beispiel ist –

GROSSINQUISITOR.

Ich weiß ihn.

KÖNIG.

Was wisset Ihr? Durch wen? Seit wann?

GROSSINQUISITOR.

Seit Jahren,

Was Sie seit Sonnenuntergang.

KÖNIG mit Befremdung.

Ihr habt

Von diesem Menschen schon gewußt?

GROSSINQUISITOR.

Sein Leben

Liegt angefangen und beschlossen in

Der Santa Casa heiligen Registern.

KÖNIG.

Und er ging frei herum?

GROSSINQUISITOR.

Das Seil, an dem

Er flatterte, war lang, doch unzerreißbar.

KÖNIG.

Er war schon außer meines Reiches Grenzen.

GROSSINQUISITOR.

Wo er sein mochte, war ich auch.

KÖNIG geht unwillig auf und nieder.

Man wußte,

In wessen Hand ich war – Warum versäumte man,

Mich zu erinnern?

GROSSINQUISITOR.

Diese Frage geb ich

Zurücke – Warum fragten Sie nicht an,

Da Sie in dieses Menschen Arm sich warfen?

Sie kannten ihn! Ein Blick entlarvte Ihnen

Den Ketzer. – Was vermochte Sie, dies Opfer

Dem heilgen Amt zu unterschlagen? Spielt

Man so mit uns? wenn sich die Majestät

Zur Hehlerin erniedrigt – hinter unserm Rücken

Mit unsern schlimmsten Feinden sich versteht,

Was wird mit uns? Darf einer Gnade finden,

Mit welchem Rechte wurden Hunderttausend

Geopfert?

KÖNIG.

Er ist auch geopfert.

GROSSINQUISITOR.

Nein!

Er ist ermordet – ruhmlos! freventlich! – Das Blut,

Das unsrer Ehre glorreich fließen sollte,

Hat eines Meuchelmörders Hand verspritzt.

Der Mensch war unser – Was befugte Sie,[211]

Des Ordens heilge Güter anzutasten?

Durch uns zu sterben war er da. Ihn schenkte

Der Notdurft dieses Zeitenlaufes Gott,

In seines Geistes feierlicher Schändung

Die prahlende Vernunft zur Schau zu führen.

Das war mein überlegter Plan. Nun liegt

Sie hingestreckt, die Arbeit vieler Jahre!

Wir sind bestohlen, und Sie haben nichts

Als blutge Hände.

KÖNIG.

Leidenschaft riß mich

Dahin. Vergib mir.

GROSSINQUISITOR.

Leidenschaft? – Antwortet

Mir Philipp, der Infant? Bin ich allein

Zum alten Mann geworden? – Leidenschaft!


Mit unwilligem Kopfschütteln.


Gib die Gewissen frei in deinen Reichen,

Wenn du in deinen Ketten gehst.

KÖNIG.

Ich bin

In diesen Dingen noch ein Neuling. Habe

Geduld mit mir.

GROSSINQUISITOR.

Nein! Ich bin nicht mit Ihnen

Zufrieden. – Ihren ganzen vorigen

Regentenlauf zu lästern! Wo war damals

Der Philipp, dessen feste Seele wie

Der Angelstern am Himmel unverändert

Und ewig um sich selber treibt? War eine ganze

Vergangenheit versunken hinter Ihnen?

War in dem Augenblick die Welt nicht mehr

Die nämliche, da Sie die Hand ihm boten?

Gift nicht mehr Gift? War zwischen Gut und Übel

Und Wahr und Falsch die Scheidewand gefallen?

Was ist ein Vorsatz? Was Beständigkeit,

Was Männertreue, wenn in einer lauen

Minute eine sechzigjährge Regel

Wie eines Weibes Laune schmilzt?

KÖNIG.

Ich sah in seine Augen – Halte mir[212]

Den Rückfall in die Sterblichkeit zugut.

Die Welt hat einen Zugang weniger

Zu deinem Herzen. Deine Augen sind erloschen.

GROSSINQUISITOR.

Was sollte Ihnen dieser Mensch? Was konnte

Er Neues Ihnen vorzuzeigen haben,

Worauf Sie nicht bereitet waren? Kennen

Sie Schwärmersinn und Neuerung so wenig?

Der Weltverbeßrer prahlerische Sprache

Klang Ihrem Ohr so ungewohnt? Wenn das

Gebäude Ihrer Überzeugung schon

Von Worten fällt – mit welcher Stirne, muß

Ich fragen, schrieben Sie das Bluturteil

Der hunderttausend schwachen Seelen, die

Den Holzstoß für nichts Schlimmeres bestiegen?

KÖNIG.

Mich lüstete nach einem Menschen. Diese

Domingo –

GROSSINQUISITOR.

Wozu Menschen? Menschen sind

Für Sie nur Zahlen, weiter nichts. Muß ich

Die Elemente der Monarchenkunst

Mit meinem grauen Schüler überhören?

Der Erde Gott verlange zu bedürfen,

Was ihm verweigert werden kann. – Wenn Sie

Um Mitgefühle wimmern, haben Sie

Der Welt nicht Ihresgleichen zugestanden?

Und welche Rechte, möcht ich wissen, haben

Sie aufzuweisen über Ihresgleichen?

KÖNIG wirft sich in den Sessel.

Ich bin ein kleiner Mensch, ich fühls – Du forderst

Von dem Geschöpf, was nur der Schöpfer leistet.

GROSSINQUISITOR.

Nein, Sire. Mich hintergeht man nicht. Sie sind

Durchschaut – Uns wollten Sie entfliehen.

Des Ordens schwere Ketten drückten Sie;

Sie wollten frei und einzig sein.


Er hält inne. Der König schweigt.


Wir sind gerochen – Danken Sie der Kirche,[213]

Die sich begnügt, als Mutter Sie zu strafen.

Die Wahl, die man Sie blindlings treffen lassen,

War Ihre Züchtigung. Sie sind belehrt.

Jetzt kehren Sie zu uns zurück – Stünd ich

Nicht jetzt vor Ihnen – beim lebendgen Gott!

Sie wären morgen so vor mir gestanden.

KÖNIG.

Nicht diese Sprache! Mäßige dich, Priester!

Ich duld es nicht. Ich kann in diesem Ton

Nicht mit mir sprechen hören.

GROSSINQUISITOR.

Warum rufen Sie

Den Schatten Samuels herauf? – Ich gab

Zwei Könige dem spanschen Thron und hoffte,

Ein festgegründet Werk zu hinterlassen.

Verloren seh ich meines Lebens Frucht,

Don Philipp selbst erschüttert mein Gebäude.

Und jetzo, Sire – Wozu bin ich gerufen?

Was soll ich hier? – Ich bin nicht willens, diesen

Besuch zu wiederholen.

KÖNIG.

Eine Arbeit noch,

Die letzte – dann magst du in Frieden scheiden.

Vorbei sei das Vergangne, Friede sei

Geschlossen zwischen uns – Wir sind versöhnt?

GROSSINQUISITOR.

Wenn Philipp sich in Demut beugt.

KÖNIG nach einer Pause.

Mein Sohn

Sinnt auf Empörung.

GROSSINQUISITOR.

Was beschließen Sie?

KÖNIG.

Nichts – oder alles.

GROSSINQUISITOR.

Und was heißt hier alles?

KÖNIG.

Ich laß ihn fliehen, wenn ich ihn

Nicht sterben lassen kann.

GROSSINQUISITOR.

Nun, Sire?

KÖNIG.

Kannst du mir einen neuen Glauben gründen,

Der eines Kindes blutgen Mord verteidigt?

GROSSINQUISITOR.

Die ewige Gerechtigkeit zu sühnen,

Starb an dem Holze Gottes Sohn.

KÖNIG.

Du willst[214]

Durch ganz Europa diese Meinung pflanzen?

GROSSINQUISITOR.

So weit, als man das Kreuz verehrt.

KÖNIG.

Ich frevle

An der Natur – auch diese mächtge Stimme

Willst du zum Schweigen bringen?

GROSSINQUISITOR.

Vor dem Glauben

Gilt keine Stimme der Natur.

KÖNIG.

Ich lege

Mein Richteramt in deine Hände – Kann

Ich ganz zurücke treten?

GROSSINQUISITOR.

Geben Sie

Ihn mir.

KÖNIG.

Es ist mein einzger Sohn – Wem hab ich

Gesammelt?

GROSSINQUISITOR.

Der Verwesung lieber als

Der Freiheit.

KÖNIG steht auf.

Wir sind einig. Kommt.

GROSSINQUISITOR.

Wohin?

KÖNIG.

Aus meiner Hand das Opfer zu empfangen.


Er führt ihn hinweg.


Zimmer der Königin.


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 2, München 31962, S. 210-215.
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