Eilfter Auftritt

[657] Elisabeth. Davison.


ELISABETH.

Wo sind die andern Lords?

DAVISON.

Sie sind gegangen,

Das aufgebrachte Volk zur Ruh zu bringen.

Das Toben war auch augenblicks gestillt,

Sobald der Graf von Shrewsbury sich zeigte.

»Der ists, das ist er!« riefen hundert Stimmen,

»Der rettete die Königin! Hört ihn!

Den bravsten Mann in England.« Nun begann

Der edle Talbot und verwies dem Volk

In sanften Worten sein gewaltsames

Beginnen, sprach so kraftvollüberzeugend,

Daß alles sich besänftigte, und still

Vom Platze schlich.

ELISABETH.

Die wankelmütge Menge,

Die jeder Wind herumtreibt! Wehe dem,

Der auf dies Rohr sich lehnet! – Es ist gut,

Sir Davison. Ihr könnt nun wieder gehn.


Wie sich jener nach der Türe gewendet.[657]


Und dieses Blatt – Nehmt es zurück – Ich legs

In Eure Hände.

DAVISON wirft einen Blick in das Papier und erschrickt.

Königin! Dein Name!

Du hast entschieden?

ELISABETH.

– Unterschreiben sollt ich.

Ich habs getan. Ein Blatt Papier entscheidet

Noch nicht, ein Name tötet nicht.

DAVISON.

Dein Name, Königin, unter dieser Schrift

Entscheidet alles, tötet, ist ein Strahl

Des Donners, der geflügelt trifft. – Dies Blatt

Befiehlt den Kommissarien, dem Sheriff,

Nach Fotheringhayschloß sich stehnden Fußes

Zur Königin von Schottland zu verfügen,

Den Tod ihr anzukündigen, und schnell,

Sobald der Morgen tagt, ihn zu vollziehn.

Hier ist kein Aufschub, jene hat gelebt,

Wenn ich dies Blatt aus meinen Händen gebe.

ELISABETH.

Ja, Sir! Gott legt ein wichtig groß Geschick

In Eure schwachen Hände. Fleht ihn an,

Daß er mit seiner Weisheit Euch erleuchte.

Ich geh und überlaß Euch Eurer Pflicht.


Sie will gehen.


DAVISON tritt ihr in den Weg.

Nein, meine Königin! Verlaß mich nicht,

Eh du mir deinen Willen kundgetan.

Bedarf es hier noch einer andern Weisheit,

Als dein Gebot buchstäblich zu befolgen?

– Du legst dies Blatt in meine Hand, daß ich

Zu schleuniger Vollziehung es befördre?

ELISABETH.

Das werdet Ihr nach Eurer Klugheit –

DAVISON schnell und erschrocken einfallend.

Nicht

Nach meiner! Das verhüte Gott! Gehorsam

Ist meine ganze Klugheit. Deinem Diener

Darf hier nichts zu entscheiden übrigbleiben.

Ein klein Versehn wär hier ein Königsmord,

Ein unabsehbar, ungeheures Unglück.[658]

Vergönne mir, in dieser großen Sache

Dein blindes Werkzeug willenlos zu sein.

In klare Worte fasse deine Meinung,

Was soll mit diesem Blutbefehl geschehn?

ELISABETH.

– Sein Name spricht es aus.

DAVISON.

So willst du, daß er gleich vollzogen werde?

ELISABETH zögernd.

Das sag ich nicht, und zittre, es zu denken.

DAVISON.

Du willst, daß ich ihn länger noch bewahre?

ELISABETH schnell.

Auf Eure Gefahr! Ihr haftet für die Folgen.

DAVISON.

Ich? Heilger Gott! – Sprich, Königin! Was willst du?

ELISABETH ungeduldig.

Ich will, daß dieser unglückselgen Sache

Nicht mehr gedacht soll werden, daß ich endlich

Will Ruhe davor haben und auf ewig.

DAVISON.

Es kostet dir ein einzig Wort. O sage,

Bestimme, was mit dieser Schrift soll werden!

ELISABETH.

Ich habs gesagt, und quält mich nun nicht weiter.

DAVISON.

Du hättest es gesagt? Du hast mir nichts

Gesagt – O, es gefalle meiner Königin,

Sich zu erinnern.

ELISABETH stampft auf den Boden.

Unerträglich!

DAVISON.

Habe Nachsicht

Mit mir! Ich kam seit wenig Monden erst

In dieses Amt! Ich kenne nicht die Sprache

Der Höfe und der Könige – in schlicht

Einfacher Sitte bin ich aufgewachsen.

Drum habe du Geduld mit deinem Knecht!

Laß dich das Wort nicht reun, das mich belehrt,

Mich klar macht über meine Pflicht –


Er nähert sich ihr in flehender Stellung, sie kehrt ihm den Rücken zu, er steht in Verzweiflung, dann spricht er mit entschloßnem Ton.


Nimm dies Papier zurück! Nimm es zurück!

Es wird mir glühend Feuer in den Händen.

Nicht mich erwähle, dir in diesem furchtbaren

Geschäft zu dienen.

ELISABETH.

Tut, was Eures Amts ist.


Sie geht ab.[659]


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 2, München 31962, S. 657-660.
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