Zweite Szene


[1022] Tells Hausflur.

Ein Feuer brennt auf dem Herd. Die offenstehende Türe zeigt ins Freie.

Hedwig. Walter und Wilhelm.


HEDWIG.

Heut kommt der Vater. Kinder, liebe Kinder!

Er lebt, ist frei, und wir sind frei und alles!

Und euer Vater ists, ders Land gerettet.

WALTER.

Und ich bin auch dabei gewesen, Mutter!

Mich muß man auch mit nennen. Vaters Pfeil

Ging mir am Leben hart vorbei, und ich

Hab nicht gezittert.

HEDWIG umarmt ihn.

Ja, du bist mir wieder

Gegeben! Zweimal hab ich dich geboren!

Zweimal litt ich den Mutterschmerz um dich!

Es ist vorbei – Ich hab euch beide, beide!

Und heute kommt der liebe Vater wieder!


Ein Mönch erscheint an der Haustüre.


WILHELM.

Sieh, Mutter, sieh – dort steht ein frommer Bruder,

Gewiß wird er um eine Gabe flehn.

HEDWIG.

Führ ihn herein, damit wir ihn erquicken,

Er fühlts, daß er ins Freudenhaus gekommen.


Geht hinein und kommt bald mit einem Becher wieder.


WILHELM zum Mönch.

Kommt, guter Mann. Die Mutter will Euch laben.

WALTER.

Kommt, ruht Euch aus und geht gestärkt von dannen.

MÖNCH scheu umherblickend, mit zerstörten Zügen.

Wo bin ich? Saget an, in welchem Lande?

WALTER.

Seid Ihr verirret, daß Ihr das nicht wißt?

Ihr seid zu Bürglen, Herr, im Lande Uri,

Wo man hineingeht in das Schächental.

MÖNCH zur Hedwig, welche zurückkommt.

Seid Ihr allein? Ist Euer Herr zu Hause?

HEDWIG.

Ich erwart ihn eben – doch was ist Euch, Mann?

Ihr seht nicht aus, als ob Ihr Gutes brächtet.[1022]

– Wer Ihr auch seid, Ihr seid bedürftig, nehmt!


Reicht ihm den Becher.


MÖNCH.

Wie auch mein lechzend Herz nach Labung schmachtet,

Nichts rühr ich an, bis Ihr mir zugesagt –

HEDWIG.

Berührt mein Kleid nicht, tretet mir nicht nah,

Bleibt ferne stehn, wenn ich Euch hören soll.

MÖNCH.

Bei diesem Feuer, das hier gastlich lodert,

Bei Eurer Kinder teurem Haupt, das ich

Umfasse –


Ergreift die Knaben.


HEDWIG.

Mann, was sinnet Ihr? Zurück

Von meinen Kindern! – Ihr seid kein Mönch! Ihr seid

Es nicht! Der Friede wohnt in diesem Kleide,

In Euren Zügen wohnt der Friede nicht.

MÖNCH.

Ich bin der unglückseligste der Menschen.

HEDWIG.

Das Unglück spricht gewaltig zu dem Herzen,

Doch Euer Blick schnürt mir das Innre zu.

WALTER aufspringend.

Mutter, der Vater!


Eilt hinaus.


HEDWIG.

O mein Gott!


Will nach, zittert und hält sich an.


WILHELM eilt nach.

Der Vater!

WALTER draußen.

Da bist du wieder!

WILHELM draußen.

Vater, lieber Vater!

TELL draußen.

Da bin ich wieder – Wo ist eure Mutter?


Treten herein.


WALTER.

Da steht sie an der Tür und kann nicht weiter,

So zittert sie vor Schrecken und vor Freude.

TELL.

O Hedwig, Hedwig! Mutter meiner Kinder!

Gott hat geholfen – Uns trennt kein Tyrann mehr.

HEDWIG an seinem Halse.

O Tell! Tell! Welche Angst litt ich um dich!


Mönch wird aufmerksam.


TELL.

Vergiß sie jetzt und lebe nur der Freude!

Da bin ich wieder! Das ist meine Hütte!

Ich stehe wieder auf dem Meinigen![1023]

WILHELM.

Wo aber hast du deine Armbrust, Vater?

Ich seh sie nicht.

TELL.

Du wirst sie nie mehr sehn.

An heilger Stätte ist sie aufbewahrt,

Sie wird hinfort zu keiner Jagd mehr dienen.

HEDWIG.

O Tell! Tell!


Tritt zurück, läßt seine Hand los.


TELL.

Was erschreckt dich, liebes Weib?

HEDWIG.

Wie – wie kommst du mir wieder? – Diese Hand

– Darf ich sie fassen? – Diese Hand – O Gott!

TELL herzlich und mutig.

Hat euch verteidigt und das Land gerettet,

Ich darf sie frei hinauf zum Himmel heben.


Mönch macht eine rasche Bewegung, er erblickt ihn.


Wer ist der Bruder hier?

HEDWIG.

Ach, ich vergaß ihn!

Sprich du mit ihm, mir graut in seiner Nähe.

MÖNCH tritt näher.

Seid Ihr der Tell, durch den der Landvogt fiel?

TELL.

Der bin ich, ich verberg es keinem Menschen.

MÖNCH.

Ihr seid der Tell! Ach, es ist Gottes Hand,

Die unter Euer Dach mich hat geführt.

TELL mißt ihn mit den Augen.

Ihr seid kein Mönch! Wer seid Ihr?

MÖNCH.

Ihr erschlugt

Den Landvogt, der Euch Böses tat – Auch ich

Hab einen Feind erschlagen, der mir Recht

Versagte – Er war Euer Feind wie meiner –

Ich hab das Land von ihm befreit.

TELL zurückfahrend.

Ihr seid –

Entsetzen! – Kinder! Kinder geht hinein.

Geh, liebes Weib! Geh! Geh! – Unglücklicher,

Ihr wäret –

HEDWIG.

Gott, wer ist es?

TELL.

Frage nicht!

Fort! Fort! Die Kinder dürfen es nicht hören.

Geh aus dem Hause – Weit hinweg – Du darfst

Nicht unter einem Dach mit diesem wohnen.[1024]

HEDWIG.

Weh mir, was ist das? Kommt!


Geht mit den Kindern.


TELL zu dem Mönch.

Ihr seid der Herzog

Von Österreich – Ihr seids! Ihr habt den Kaiser

Erschlagen, Euern Ohm und Herrn.

JOHANNES PARRICIDA.

Er war

Der Räuber meines Erbes.

TELL.

Euern Ohm

Erschlagen, Euern Kaiser! Und Euch trägt

Die Erde noch! Euch leuchtet noch die Sonne!

PARRICIDA.

Tell, hört mich, eh Ihr –

TELL.

Von dem Blute triefend

Des Vatermordes und des Kaisermords,

Wagst du zu treten in mein reines Haus,

Du wagsts, dein Antlitz einem guten Menschen

Zu zeigen und das Gastrecht zu begehren?

PARRICIDA.

Bei Euch hofft ich Barmherzigkeit zu finden,

Auch Ihr nahmt Rach an Euerm Feind.

TELL.

Unglücklicher!

Darfst du der Ehrsucht blutge Schuld vermengen

Mit der gerechten Notwehr eines Vaters?

Hast du der Kinder liebes Haupt verteidigt?

Des Herdes Heiligtum beschützt? das Schrecklichste,

Das Letzte von den Deinen abgewehrt?

– Zum Himmel heb ich meine reinen Hände,

Verfluche dich und deine Tat – Gerächt

Hab ich die heilige Natur, die du

Geschändet – Nichts teil ich mit dir – Gemordet

Hast du, ich hab mein Teuerstes verteidigt.

PARRICIDA.

Ihr stoßt mich von Euch, trostlos, in Verzweiflung?

TELL.

Mich faßt ein Grausen, da ich mit dir rede.

Fort! Wandle deine fürchterliche Straße,

Laß rein die Hütte, wo die Unschuld wohnt.

PARRICIDA wendet sich zu gehen.

So kann ich, und so will ich nicht mehr leben![1025]

TELL.

Und doch erbarmt mich deiner – Gott des Himmels!

So jung, von solchem adeligen Stamm,

Der Enkel Rudolfs, meines Herrn und Kaisers,

Als Mörder flüchtig, hier an meiner Schwelle,

Des armen Mannes, flehend und verzweifelnd –


Verhüllt sich das Gesicht.


PARRICIDA.

O, wenn Ihr weinen könnt, laßt mein Geschick

Euch jammern, es ist fürchterlich – Ich bin

Ein Fürst – ich wars – ich konnte glücklich werden,

Wenn ich der Wünsche Ungeduld bezwang.

Der Neid zernagte mir das Herz – Ich sah

Die Jugend meines Vetters Leopold

Gekrönt mit Ehre und mit Land belohnt,

Und mich, der gleiches Alters mit ihm war,

In sklavischer Unmündigkeit gehalten –

TELL.

Unglücklicher, wohl kannte dich dein Ohm,

Da er dir Land und Leute weigerte!

Du selbst mit rascher, wilder Wahnsinnstat

Rechtfertigst furchtbar seinen weisen Schluß.

– Wo sind die blutgen Helfer deines Mords?

PARRICIDA.

Wohin die Rachegeister sie geführt,

Ich sah sie seit der Unglückstat nicht wieder.

TELL.

Weißt du, daß dich die Acht verfolgt, daß du

Dem Freund verboten und dem Feind erlaubt?

PARRICIDA.

Darum vermeid ich alle offne Straßen,

An keine Hütte wag ich anzupochen –

Der Wüste kehr ich meine Schritte zu,

Mein eignes Schrecknis, irr ich durch die Berge,

Und fahre schaudernd vor mir selbst zurück,

Zeigt mir ein Bach mein unglückselig Bild.

O wenn Ihr Mitleid fühlt und Menschlichkeit –


Fällt vor ihm nieder.


TELL abgewendet.

Steht auf! Steht auf!

PARRICIDA.

Nicht, bis Ihr mir die Hand gereicht zur Hülfe.

TELL.

Kann ich Euch helfen? Kanns ein Mensch der Sünde?[1026]

Doch stehet auf – Was Ihr auch Gräßliches

Verübt – Ihr seid ein Mensch – Ich bin es auch –

Vom Tell soll keiner ungetröstet scheiden –

Was ich vermag, das will ich tun.

PARRICIDA aufspringend und seine Hand mit Heftigkeit ergreifend.

O Tell!

Ihr rettet meine Seele von Verzweiflung.

TELL.

Laßt meine Hand los – Ihr müßt fort. Hier könnt

Ihr unentdeckt nicht bleiben, könnt entdeckt

Auf Schutz nicht rechnen – Wo gedenkt Ihr hin?

Wo hofft Ihr Ruh zu finden?

PARRICIDA.

Weiß ichs? Ach!

TELL.

Hört, was mir Gott ins Herz gibt – Ihr müßt fort

Ins Land Italien, nach Sankt Peters Stadt,

Dort werft Ihr Euch dem Papst zu Füßen, beichtet

Ihm Eure Schuld und löset Eure Seele.

PARRICIDA.

Wird er mich nicht dem Rächer überliefern?

TELL.

Was er Euch tut, das nehmet an von Gott.

PARRICIDA.

Wie komm ich in das unbekannte Land?

Ich bin des Wegs nicht kundig, wage nicht

Zu Wanderern die Schritte zu gesellen.

TELL.

Den Weg will ich Euch nennen, merket wohl!

Ihr steigt hinauf, dem Strom der Reuß entgegen,

Die wildes Laufes von dem Berge stürzt –

PARRICIDA erschrickt.

Seh ich die Reuß? Sie floß bei meiner Tat.

TELL.

Am Abgrund geht der Weg, und viele Kreuze

Bezeichnen ihn, errichtet zum Gedächtnis

Der Wanderer, die die Lawin begraben.

PARRICIDA.

Ich fürchte nicht die Schrecken der Natur,

Wenn ich des Herzens wilde Qualen zähme.

TELL.

Vor jedem Kreuze fallet hin und büßet

Mit heißen Reuetränen Eure Schuld –

Und seid Ihr glücklich durch die Schreckensstraße,

Sendet der Berg nicht seine Windeswehen,

Auf Euch herab von dem beeisten Joch,[1027]

So kommt Ihr auf die Brücke, welche stäubet.

Wenn sie nicht einbricht unter Eurer Schuld,

Wenn Ihr sie glücklich hinter Euch gelassen,

So reißt ein schwarzes Felsentor sich auf,

Kein Tag hats noch erhellt – da geht Ihr durch,

Es führt Euch in ein heitres Tal der Freude –

Doch schnellen Schritts müßt Ihr vorübereilen,

Ihr dürft nicht weilen, wo die Ruhe wohnt.

PARRICIDA.

O Rudolf! Rudolf! Königlicher Ahn!

So zieht dein Enkel ein auf deines Reiches Boden!

TELL.

So immer steigend, kommt Ihr auf die Höhen

Des Gotthards, wo die ewgen Seen sind,

Die von des Himmels Strömen selbst sich füllen.

Dort nehmt Ihr Abschied von der deutschen Erde,

Und muntern Laufs führt Euch ein andrer Strom

Ins Land Italien hinab, Euch das gelobte –


Man hört den Kuhreihen von vielen Alphörnern geblasen.


Ich höre Stimmen. Fort!

HEDWIG eilt herein.

Wo bist du, Tell?

Der Vater kommt! Es nahn in frohem Zug

Die Eidgenossen alle –

PARRICIDA verhüllt sich.

Wehe mir!

Ich darf nicht weilen bei den Glücklichen.

TELL.

Geh, liebes Weib. Erfrische diesen Mann,

Belad ihn reich mit Gaben, denn sein Weg

Ist weit, und keine Herberg findet er.

Eile! Sie nahn.

HEDWIG.

Wer ist es?

TELL.

Forsche nicht!

Und wenn er geht, so wende deine Augen,

Daß sie nicht sehen, welchen Weg er wandelt!


Parricida geht auf den Tell zu mit einer raschen Bewegung, dieser aber bedeutet ihn mit der Hand und geht. Wenn beide zu verschiedenen Seiten abgegangen, verändert sich der Schauplatz, und man sieht in der


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 2, München 31962, S. 1022-1028.
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