Erster Aufzug

[177] Ein mittelgroßes, düstres, dunkeltapeziertes Wohnzimmer mit niedriger, getünchter, rauchgebräunter Decke, die von zwei dicken Balken durchquert ist, an denen Kräuter zum Trocknen, ein Vogelbauer, Mützen usw. hängen.

In der Mitte des Hintergrundes steht ein großes Familiensofa. Darüber ein runder Spiegel; um diesen herum gruppiert Photographien und Silhouetten. Rechts vom Sofa die Kammertür; links vom Sofa eine Tür, die auf den Hausflur führt. Über ihr hängt ein großer Erntekranz aus Roggenstroh mit Blumen, Fähnchen, Schleifen und Bändern aus buntem Papier. Links von der Tür, in der Ecke, der Kasten einer alten Standuhr. – An der linken Seitenwand, zwei niedrige, tiefnischige Fenster mit Zwirngardinen und Blumenstöcken;[177] draußen vor den Fenstern Weinlaub. Am Zwischenpfeiler, auf einem Fenstertritt, ein Tischchen mit allerlei Nähgerät. Vor jedem Fenster ein Rohrstuhl. – An der rechten Seitenwand, in der Mitte, ein großer, grünglasierter Kachelofen mit einer ringsherumlaufenden Ofenbank. Auf dem Ofen Horden, auf denen Obst dörrt. Links vom Ofen, gegen den Hintergrund, ein großer dunkelpolierter Kleiderschrank mit Vasen aus buntem Glas drauf,

Büchern und einem ausgestopften Vogel. Rechts vom Ofen, gegen den Vordergrund, ein großer, altmodisch gepolsterter Sorgenstuhl mit einer gestickten Schlummerrolle. Darüber in vergoldetem Rahmen die Photographie eines alten Mannes. – In der Mitte des Raumes steht ein großer Eßtisch mit Rohrstühlen ringsherum. Der Fußboden ist mit Läufern bedeckt.

Das Zimmer liegt in einem dämmrigen Herbstnachmittagslicht. Von Zeit zu Zeit während des Gesprächs zwischen Pauline und Mariechen noch ein flüchtiger Sonnenblick. – In Pausen Windgebrause. – Pfeifen im Schornstein. – Gegen Ende des Aufzugs steigert sich der Wind.

Vor dem Nähtischchen, nach der Tür zu, sitzt Pauline. Sie schläft, zurückgelehnt, die Hände lässig über eine Weißnäherei auf ihrem Schoß weg. Sie ist eine kräftige Frau in der Mitte der Vierziger mit hübschen derben, energischen Gesichtszügen. Glatt nach beiden Seiten gescheiteltes Haar. Ein einfaches, kattunenes Hauskleid. – Zu ihren Füßen sitzt Mariechen auf dem Fenstertritt mit einem Strickstrumpf beschäftigt.

Nach Aufgang des Vorhangs eine Pause. Dann draußen vom Flur her ein lauter, greller Aufschrei von einer Weiberstimme.


MARIECHEN schrickt zusammen. Mutterchen!


Pauline schläft weiter. Eine Weile bleibt es still; dann ein zweiter Schrei, der in ein langgezogenes Heulen verläuft. Die Schreie und das darauffolgende Heulen während des folgenden Gesprächs in Pausen.
[178]

MARIECHEN läßt den Strickstrumpf fallen; klammert sich an Pauline; angstvoll aufweinend. Mutterchen, ach Mutterchen!!

PAULINE schrickt auf; verschlafen. Hm?! – Na?! Reibt sich die Augen. Was ... Was is ... hast 'enn?! Horcht. Stille mal!!

MARIECHEN stammelnd. Die ... die alte – Großmutter ...

PAULINE beugt sich gegen die Tür vor, lauscht einen Augenblick und will dann in die Höhe; hastig. Laß mich mal! – Ich – will mal ...

MARIECHEN sich dichter gegen sie drängend. Ach nee, Mutterchen, nee!!

PAULINE. Dumme Gans! – Der Onkel schläft je hinten in der Kammer!

MARIECHEN. Ach nee! Nee! – Ich ...

PAULINE. Stille!


Beide lauschen.


MARIECHEN. ... ferchte mich so!

PAULINE. Äh! Hab dich nich! – Laß mich los! De zerrst een'm je de Kleider vom Leibe!


Steht auf, tritt zur Tür und lauscht einen Augenblick hinaus.


MARIECHEN. Geh nich! Geh nich naus, Mutterchen!

PAULINE von der Tür her ärgerlich, nachdrücklich. Stille mal!! Horcht. Das Heulen draußen verliert sich. Das is wohl was, wenn de mal e Oogenblickchen alleene bleibst! – So e altes großes Mächen! – Schäme dich! – Beißt dich denn wer?! – Hä?!

MARIECHEN beschämt. Nee.

PAULINE. Na also!


Sie horcht noch einen Augenblick, seufzt, und geht wieder zu ihrem Stuhl; setzt sich.


MARIECHEN stammelnd. Horch doch, Mutterchen! Se hört je schon widder uf.

PAULINE ihre Arbeit wieder aufnehmend, ärgerlich. Äh! Du sollst nich uf sagen! Kannste denn nich orndlich deitsch sprechen?! Lernt 'r denn das nur in der Schule?!

MARIECHEN. Nee.

PAULINE. Na, nu rück mal e bißchen vor! Mer kann sich je[179] nich riehrn! – Äh, sei vernünft'g! – Nu?! – Herrje, de zitterst je orndlich?!

MARIECHEN. Ich – hawwe mich so – erschrocken.

PAULINE, sie streichelnd. Na, na, na! Mei armer kleener Affe!

MARIECHEN. Die alte Großmutter wird wohl nich widder gesund, Mutterchen?

PAULINE. Nee! Du lieber Gott!


Kleine Pause. Pauline näht.


MARIECHEN. Hu! 's is schon so finster!

PAULINE. Ja.

MARIECHEN. Du! Mutterchen!

PAULINE. Na?

MARIECHEN. Reisen mer nu bald widder nach Hause?

PAULINE. Gefällt dir's denn hier nich mehr?

MARIECHEN. Ach nee, gar nich.

PAULINE. Awwer du sollst mer hier doch widder rote Backen kriegen, du?

MARIECHEN. Ach, zu Hause is es doch besser. Wemmersch auch nich so gut hamm wie die hier. Un wenn ich auch in de Schule muß. Un wenn ... wenn Vater auch ... manchmal ...

PAULINE. Ach, bis' stille, meine Kleene!


Seufzt.


MARIECHEN schmeichelnd. Mutterchen?

PAULINE. Hm? – Schmeichelkatze! – Na ja, na ja!

MARIECHEN. Die alte Großmutter immer. Das is een'm so schaurig. – Un denn der Onkel, der is auch immer krank. Leise, wichtig. Du! Mutterchen!

PAULINE. Was denn?

MARIECHEN. Ich kann 'n nich ausstehn.

PAULINE lacht. Mei Klugschnabel! Warum denn?

MARIECHEN. I, ich weeß nich. – Du! Warum macht e denn immer so e finstres Gesichte? E mag uns wohl gar nich leiden, he?

PAULINE mit ironischem Lachen. I ja, das mag wohl schon sein, daß e uns nich leiden kann.[180]

MARIECHEN. Warum denn?

PAULINE. I, bis' stille. Das is nischt fer dich. Nimmt sie zu sich herauf, drückt sie gegen sich. Loof mer nur hier immer recht hibsch in der scheen', frischen Luft rum un iß ticht'g, daß de mer fer 'n Winter recht hibsch gesund un kräft'g bist, Meine! – Heerste? Küßt sie.

MARIECHEN gedehnt, nachdenklich. Jaaa! – Minna wird awwer doch wohl zu Hause ihre liebe Not hamm mit der Wirtschaft, he?

PAULINE lacht. Du Plappermaul! – Na ja, lange bleib'n mer nu nich mehr hier.


Pause.


MARIECHEN. Horche mal wie de Uhr geht, he?

PAULINE nähend. Ja.

MARIECHEN. Immer tack – tack – tack. – Orndlich zum Ferchten, nich?

PAULINE seufzt.

MARIECHEN. War die schon so, wie du hier noch so e kleenes Mächen warst wie ich un wie dei Vater un deine Mutter noch lebt'n?

PAULINE. Ja, mei Mariechen. – So gehn de Zeiten. Lieber Gott. –

MARIECHEN. Die is wohl schon hundert Jahre alt?

PAULINE. I ja, so alt mag se wohl sein.

MARIECHEN. Mutterchen?

PAULINE. Hm?

MARIECHEN. Du bist je so stille?

PAULINE abwehrend. I!

MARIECHEN. Heere mal! Morgen frieh nehm se draußen uf 'm – auf 'm Felde Kartoffeln aus, hat de Tante gesagt. Emil fährt mit naus auf Weidenhammers ihr'n Wagen. Un denn wollten mer e großes Feier anmachen un uns Kartoffeln braten. Derf ich mit?

PAULINE. Ja, wenn 's Wetter gut is.[181]

MARIECHEN sich ängstlich anschmiegend. Hu, horch mal! Da geht's widder los! Draußen das Schreien. Sie horchen.

PAULINE selbstvergessen, die Faust gegen die Kammer hin schüttelnd. Na, du Hund! Du Hund!

MARIECHEN erschrocken. Mutterchen?!

PAULINE streichelnd. Bis' stille, Meine! Bis' stille!

MARIECHEN weinerlich. 's is mer gar so schauerlich!

PAULINE. Na, na, na! M!

MARIECHEN. Ach, das is so schrecklich, nich?

PAULINE aus ihren Gedanken heraus, ernst. Das is auch eine Strafe Gottes!

MARIECHEN. Wie?

PAULINE. Nischt, Meine! Nischt!


Kleine Pause.


MARIECHEN. Der alte Wind draußen! – 's donnert orndlich!

PAULINE weint plötzlich auf.

MARIECHEN. Mutterchen! Mutterchen! – Was hast 'enn?!

PAULINE, sie an sich drückend, die Augen gegen ihren Scheitel. Ach Meine, Meine!

MARIECHEN. Liebes Mutterchen!

PAULINE. Ja! Ja! Ich bin schon ruh'g!


Küßt sie.


MARIECHEN seufzt tief auf.

PAULINE. Wart mal e bißchen. Der Arm wird mir taub. – So. –

MARIECHEN schüchtern. Nich wahr? Die hamm's gut. – So viele scheene Sachen hamm die. – Drieben in der guten Stube das scheene Klavier. – Das is immer so hibsch, wenn Emil drauf spielt. – Ich möchte auch so spielen könn' ,Mutterchen?

PAULINE. Das könnteste auch, wenn se's uns nich weggestohlen hätten!

MARIECHEN. Das Klavier?! – Hamm se's uns gestohl'n?!

PAULINE. Ja, das Klavier, un das Haus, un den Garten, und die Felder un alles, alles![182]

MARIECHEN. Wie denn? Gestohl'n?

PAULINE. Ja, ja.

MARIECHEN. Awwer da könn mer so doch bei der Polezei anzeig'n?

PAULINE. I ja, wenn mer das könnten! Sich besinnend. Awwer daß de mehr zu keen'm Menschen driwwer plapperst, heerste?! Ja nich! – Zu keen'm Menschen!

MARIECHEN erschrocken. Nee. Kleine Pause. Mutterchen.

PAULINE. Na?

MARIECHEN. Ach!

PAULINE. Meine!


Draußen rumpelt es über die Gasse. Der Postillon bläst: »Goldene Abendsonne.« Die Töne verlieren sich die Gasse hinunter.


MARIECHEN am Fenster. De Post!

PAULINE. Ja.

MARIECHEN. Wemmer doch erscht widder mitfiehr'n!

PAULINE. Warte nur! Nu balde!

MARIECHEN. De Frau Weidenhammern!

PAULINE gegen das Fenster. Wo denn?!

MARIECHEN. Se is schon am Fenster verbei!


Die Hausklingel. Gleich darauf klopft's.


PAULINE. Herein?!

FRAU WEIDENHAMMER tritt ein, dem Posthorn nachträllernd, einen Strickstrumpf schwenkend, lacht. Brrr! Herbst! – Der Wind geht iwwer de Stoppeln! – 'n Tag! – Na? Keener weiter da?! – Das is ja hibsch, da könn' mer so recht hibsch gemietlich mal e Klätschchen fer uns machen! Lacht.

PAULINE. 'n Tag, Hannchen! – Franz schläft drinne!

FRAU WEIDENHAMMER. Ah! – Pst!

PAULINE. Rese is hinten bei d'r Mutter! – Hier is es mal widder hibsch!

FRAU WEIDENHAMMER. Ach! – 's is wohl widder ...[183]

PAULINE bestätigend mit den Händen winkend und damit gleichsam andeutend, wie schlimm es wieder mit der alten Frau steht. Na! – Na! –

FRAU WEIDENHAMMER. Na weeßte, denn will ich mich nur beizeiten widder uf de Strümpe machen! Sich zu Mariechen bückend. Na Mariechen? – Nu guck doch eener, wie die kleene Spitzmaus sich rausgemacht hat in den Wochen! 's is wohl hibsch bei der Tante? Was? – Hehe!

PAULINE. Setz dich doch e Weilchen?

FRAU WEIDENHAMMER. Na, denn awwer nich lange! – Was 'ch sagen wollte: mei Mann schickt morgen frieh um sechse den Knecht mit 'n Wagen fer de Kartoffeln!

PAULINE. Gut gut! Lächelnd von ihrer Arbeit auf. Das Posthorn haste gut nachgemacht vorhin!

FRAU WEIDENHAMMER. Nich wahr?


Lacht.


PAULINE. Du bist selber wie so 'ne Abendsonne!

FRAU WEIDENHAMMER. Na! Na! – Du! 's is denn wohl widder sehre schlimm mit der alten Frau?

PAULINE. Ach Gott, na! – Schrecklich, schrecklich! – Da?! – Heere doch?!


Draußen wieder für einen Augenblick das Schreien. Es kommt jemand durch den Flur, wie mit Holzpantoffeln, auf die Tür zu geklappert.


PAULINE. Das wird Rese sin!

RESE in der offnen Tür. Groß, vierschrötig, gesund. Die Kleidärmel in die Höhe gestreift, eine Küchenschürze vor. Stellt ihre Holzpantoffeln draußen neben die Tür, kommt in Strümpfen herein. Ruft zurück in den Flur. Kramern?! Ihr habt doch wohl noch e Weilchen Zeit?! – Ja?! – Na, denn tut mer nur den Gefall'n un bleibt noch e bißchen bei 'r! Drückt die Tür hinter sich zu und tritt ins Zimmer. Franz schläft wohl noch?

PAULINE. Ja.

RESE. Guten Tag, Weidenhammern!

FRAU WEIDENHAMMER. Guten Tag![184]

RESE läßt sich, erschöpft, schwerfällig auf einen Stuhl sinken; seufzt auf. Der schläft un schläft, der Mann! – In een'm weg! – Das weeß der liebe Gott, was widder mit dem los is! – Ach Gott nee! – Nee ... Ich kann – doch werklich – kaum noch – jappsen! – Nee, Pauline! Ich kann dir werklich sagen: Du hast schon deine liebe Not bei dir zu Hause: awwer ich?! – Hach! – Du machst dir keen' Begriff! – Na, ihr habt's je wohl widder geheert?

PAULINE. Ja.

RESE. Mir zittern un beb'n doch, wahrhaft'g'n Gott, noch alle Glieder! – Ich muß mich e Weilchen ausruhn! – 's is nur gut, daß de Kramern oben bei sich e Weilchen abkomm' kann; die wird immer noch am besten mit 'r fert'g. – I, wenn doch der liebe Gott die alte Frau nur endlich mal zu sich nehmen wollte! – Geistesgesteert?! Nee, 's is zu, zu schrecklich! Horcht auf das Wetter draußen. Nu horcht nur! – Na, heite kriegen de Ziegeldecker noch Arbeit! – Un wo nur der Emil widder bleibt, der Bengel! – Bei so e Sturme! – Wie leichte kann 'm e Ziegel uf 'n Kopp fallen! – Äh, wahrhaft'g'n Gott! Mer könnt es werklich manchmal satt kriegen! – Könnt 'r denn morgen 'n Wagen schicken, Weidenhammern?

FRAU WEIDENHAMMER. Morgen frieh um sechse kömmt der Knecht.

RESE. Na Gott sei Dank! 's wird Zeit, daß mer de Kartoffeln rein kriegen. Steht auf und geht zu Pauline hin. Wie geht 's denn mit 'r Arbeit, Pauline?

PAULINE. Was hat se denn widder geschwatzt?

RESE die Näherei gegen das Licht haltend. Wah? – Gucke mal, Pauline? Mißte hier am Ende ... Warte mal? – Ja? – Gucke? – Der Ärmelausschnitt is doch am Ende e bißchen zu enge? Nich?

PAULINE ungeduldig. I warum nich gar! – Laß nur! Gib her! Ich wer' schon machen! – Der – Franz mit sein' Spatzenarmen! Wo denkst 'enn hin? – 's schlackert so alles um 'n rum.[185]

RESE eingeschüchtert. Na ja! De wirst je wissen! – Du lieber Gott, 's is wahr: der Mann schwind't een'm jetzt reene nur so aus 'n Kleidern raus!

PAULINE mit bösem Spott. I stirbte, denn stirbte; denn bist 'n los un heiratst e andern!

RESE. I Gott ja! Wie de nur so reden kannst, Pauline!

PAULINE. Na ja? – Na, gib dich nur zufrieden! Der is zäh wie enne Katze! Der iwwerlebt uns noch alle, so gesund wie mer sin!


Lacht.


RESE ist an das Fenster getreten. I ja! – Gott nee, das Wetter!

PAULINE. Was hat se denn nu widder gered't?

RESE setzt sich wieder. I nu, widder so e entsetzliches Zeich! – Alles bunt durchenander. 's wäre widder eener in der Stuwwe, den se vergift't hätten un wollte se tot machen; un se könnte je doch nischt derfor un e sollt 'r doch ja nischt tun! – Na Leite, ich kann eich sagen! – Ja nu: un eemal soll 's ihr Vater sin, un eemal is es ihr Onkel, un eemal is es dei Vater ...

PAULINE. Mei Vater?

RESE. Ja! Un denn red't se mal widder was von e Geburtstage, un denn is es e'mal widder enne Hochzeit ...

PAULINE. Hm.

RESE. Ja, un heite hatten se gar aus een' Biefstick gemacht un hamm's gegessen ... Lauter un lauter solchen schrecklichen Unsinn! – Un merkwird'g: alle mal bei schlechtem Wetter! – Wenn mer Wind oder Gewitter kriegen, denn haww ich schon allemal allen Respekt! – Stille mal! Nach der Kammer hin. Franz – hust't wohl widder?! Nee! – Ä Gott, un nu ooch noch der Mann! – Egal un egal das Gehuste! Besorgt. Un ich weeß ooch gar nich du, denn spuckt e jetzt ooch widder so viel Blut?

PAULINE. I na, das is doch nischt Neies! Deswegen!

RESE. Ach nee nee, du! Das is erscht seit kurzem! Seit enner Woche! E is jetzt iwwerhaupt ganz anders! Du liebe Zeit, sonst durfte je kee Liftchen an 'n komm'! – Manchmal[186] wurd es een'm orndlich läst'g, so pimplig war e! – Awwer jetzt nimmt e sich ooch nich e bißchen in acht! – Und daderbei is e in een'm fort so grillig? – Seit e paar Wochen is es manchmal reeneweg nich mehr zum Aushalten! – Is d'r das nich och ufgefall'n, Pauline?

PAULINE. O ja, hehe! – Am Ende is es, weil ich noch da bin?


Lacht.


RESE. I Gott nee, Pauline! So derfste das nich nehm'n! – Ha! Ich möchte mal sehn, wenn de de Ernte iwwer nich dagewesen wärst, was 'ch hätte anfangen soll'n! De ganze Wertschaft un die alte Frau un das alles! – Ärgerlich. Ha! E is je zu sonderbar! – Wohl schon zehnmal haww ich zu 'm gesagt: mer woll'n e Mächen nehm'n? Ich kann das nich alles alleene schaffen: ich hätte je stramme Ärme, meent e! – Stramme Ärme! Hä! – Scheene stramme Ärme! – So e Mann bild't sich ein, das macht sich alles ganz von alleene! – Nee, geiz'g is e, richt'g geiz'g! – Nee, nee, Pauline! 's is mer enne rechte Erleicht'rung gewesen, daß 'ch dich die Zeit iwwer gehabt hawwe, un de tust mer nur e Gefall'n, wenn de noch e paar Wochen bleibst.

PAULINE. Nu, Franzen tu ich keen' Gefall'n dermit; die Versich'rung kann ich d'r geb'n, hehe!

RESE. I Gott, an den sei Gerede mußt de dich nich kehr'n! De weeßt je, wie e kranker Mensch is! – Jaja, Weidenhammern! Du kannst wohl immer gute Laune hamm! Wer's so gut hat wie du? – Na nu will ich nur widder hinter un fersch Abendbrot sorg'n! – Die dumm' Drescher hat mer heite ooch noch uf 'm Halse! Die nähln ooch was Scheenes zurechte! Zu Mariechen, die wieder auf dem Tritt sitzt und strickt. Na mei Mariechen? Biste fleiß'g? Strickste? – Nu kannste heite nich e bißchen draußen in der frischen Luft rumloof'n! – Hehe! – Richtet sich wieder in die Höhe. Na denn ... Hm! – I nee, da fällt mer ein! Hehe! – Heite haww ich doch e rechten Spaß gehabt! Lacht. I, 's is mer eegentlich gar nich so zum Lachen zumute,[187] awwer ... Na, wie ich vorhin 'n Kaffee hinter in de Scheine brachte, da zankten sich de Dreschersleite widder e'mal! Lacht. Kinder nee, 's is allemal reeneweg zum Totlachen! – Da is immer eener eifersicht'ger wie der andre? – Er – Lacht. – er – so krumm – wie e Fiddelbogen, un sie: de reene Vogelscheiche? – Na, nu is e ja awwer so ungeheier stolz uf se, weil se buchstabier'n kann un 's Eenmaleens gelernt hat, und er »ies bluß Schoofjunge gewäst?! Se homm mer nischt lärn losse! Meine Mutter sälig hot mich veracht't?« Sie alleene hat 'n »genumme!« Un 200 Taler hat se gehabt und er gar nischt? Lacht. Ja, un denn, wenn e beschreibt, wie se als Mächen ausgesehn hat! Lacht. Nee, Kinder der Welt! – »Sähn Se, Fru Oelzen: ä Näst hotte se« – Zeigt auf ihren Zopf –. »ä Näst, bis hie vuur! Un aussähn tot se, Fru Oelzen: nich ahnfossn hob ich se mer getraut, su, su – sauber un su, su – odrätt!« Lacht. »Ober jetzt will se nischt mehr vun mer wissen, weil ich e krumm' Buckel hobe.« – Un sie nu widder: 's wäre je nich wahr! Er wollte von ihr nischt mehr wissen! E hätte gestern mit d'r Frau Hauken ihrer Magd gered't – Un er denn nu widder: Nee! Sie hielt's mit 'm Schachtmeester! Lacht. Na, ich sage eich! Die beeden? Lacht. Zum Koppskeekelschießen. Lacht.

FRAU WEIDENHAMMER lacht. Na, die beeden! Die sin stadtbekannt! Das sin e paar Orjenale!

RESE. Gott ja, solche Leite! Wemmer so nimmt: 's is doch awwer hibsch!

FRAU WEIDENHAMMER. Ja, bei 'n mehrschten is es nich so!


Lacht.


RESE. Herrjees, du Weidenhammern! Wie is denn das mit dem Frailein Herbst ihrer Verlobung? Das is je wohl widder retour gegangen?

FRAU WEIDENHAMMER. I freilich? Das weeßte noch nich?

RESE. Na, da kann Frailein Herbst ooch sag'n, Gott sei Dank! Ich hawwe gar nich begreifen könn', was se denn an dem Bergstedt fer e Narr'n gefressen hatte! – Das will[188] nu e Lehrer sin! So e alter, vierschreet'ger Fläz! – E hat keen' Zahn mehr im Maule, so e junger Mensch!

FRAU Weidenhammer lacht.

RESE mitlachend. Na, 's is wahr! – Un nich e bißchen Lebensart hatte der Mensch? E hat 'n ganzen Tag bei Herbsts rumgelegen un hat sich pudeldicke gefressen un daderbei is e zu faul gewesen, 'm Frailein e Stuhl zu bringn oder enne Gießkanne Wasser in Garten zu hol'n! –'s war der reene Skandal!

FRAU WEIDENHAMMER. Na, 's liegt 'm awwer ooch sehre dran, daß die Sache widder ins Gleise kömmt! Vor e paar Tagen hat e im Gasthause gesessen un vor allen Gästen laut geweent un hat gesagt: Frailein Herbst hätt 'm 's Herze gebrochen! – Na, was sagt 'r denn dazu? Lacht. Doch so richt'g wie so e dummer Junge!

RESE amüsiert. Na, bei dem scheint's awwer richt'g zu rappeln!

FRAU WEIDENHAMMER lachend wie über einen Einfall. Ach Gott nee! Da sprach 'ch gestern seine Wirtsfrau, de Schaden! Das is so 'ne spaßhaft'ge Frau! Die hat zu 'm gesagt: bei Herbsts – ständen – sechs krumme – Kommt kaum weiter vor Lachen. – un – un – sechs gerade Knippel ... Wenn ... Wenn e widder hinkäme ... Ach Gott nee, 's is zum Totschrein!! – Da wirde de Frau Herbsten die krumm' uf sein'm Buckel grade un ... un – de graden – krumm hau'n!!


Allgemeines Belustigtsein.


RESE äußerst amüsiert. Herrgott, Kinder! Mer wecken Franzen!

FRAU WEIDENHAMMER sich schüttelnd vor Lachen. Die krumm' grade – un ... un de graden – krumm ... Kinder, nee ...

RESE aufstöhnend vor Lachen. Ach, Kinder! Der liebe Gott hat doch noch fer e bißchen Spaß in der Welt gesorgt! [189] Eifrig. Herrgott nee, awwer ich verplappre mich hier un hawwe noch alle Hände voll zu tun! – Fix, fix! – An der Tür. Wirste denn heite mit 'm Hemde fert'g, Pauline? Denn könn' mersch am Ende gleich noch mit in de Wäsche nehm'n?

PAULINE. Ja.

RESE. Ja! – Na! – Gib doch nachher Franzen mal sein' Kaffee, wenn e ufsteht! –

PAULINE. Ja.

RESE. Bleibste denn noch da, Weidenhammern?

FRAU WEIDENHAMMER. Nich lange.

RESE. Na, vielleicht sehn mer uns nachher noch! – Die krumm'n grade un die graden krumm ...


Lacht. Ab.


FRAU WEIDENHAMMER lacht. Gott, die Rese! Immer hat se gleich widder gute Laune! – Die is nicht tot zu kriegen!

PAULINE seufzt. Ja, grade so wie du, Hannchen!

FRAU WEIDENHAMMER. I na weeßte, wo sollte mer sonst ooch hin! – Da wirde eener nich fert'g!

PAULINE. Ja, ja! Wer so sagen kann?


Kleine Pause.


FRAU WEIDENHAMMER. Mit der alten Frau, das is doch enne rechte Plage! – Weeßte, das laß 'ch mer nich nehm'n: das hat se sich damals zu Gemiete gezogen, wie dei Vater so mit eenem Male wegstarb! – Hm! – 's war je ooch zu sonderbar! Grade wie e zu deiner Hochzeit reisen wollte! Du lieber Gott, so e gesunder alter Mann! – Wer hätte das nur gedacht, daß den der Schlag riehr'n sollte!

PAULINE ohne von ihrer Näherei aufzusehen. Wenn ich nur dagewesen wäre damals!

FRAU WEIDENHAMMER. Ja eben! – Nu hast 'n nich noch e'mal zu sehen gekriegt!

PAULINE. Öff'en hätt 'ch 'n lassen vom Kreisphiesikus!

FRAU WEIDENHAMMER erschrocken. Öff'en?! – Na nu Gott bewahre mich![190]

PAULINE über ihre Arbeit. Der sah eben schlagfliß'g aus! – He! – Ach ja! Sieht auf. Ach Hannchen, Hannchen!

FRAU WEIDENHAMMER betreten. Hm! Ja, 's muß dir doch recht eigen zumute sin, jetzt, wo de nu nach Jahr'n widder mal zu Hause bist.

PAULINE. Zu Hause! – Ach Gott, zu Hause!


Lacht bitter.


FRAU WEIDENHAMMER. Seid 'r denn noch immer wie Hund un Katze zusamm', du un Franz?

PAULINE. Wir?! Schauernd. Huch Gott, sprich mer nich davon!

FRAU WEIDENHAMMER sieht sie an, schüttelt den Kopf. Ach Gott nee, das is doch awwer gar nich scheene!

PAULINE. Wir! – Huch Gott nee! – Siehste Hannchen! Jahrelang hat mer sich in Not un Armut hinkrepeln missen un ... un – nu kömmt mer hierher un – muß sehn, wie das alles sozusagen fremde Leite hamm, wo mer kleene gewesen is, wo mer aufgewachsen is! Alles, was doch eegentlich von Rechts wegen mein'm Bruder un mir geheert! Was der dem guten, alten Manne abgeschwindelt hat, schändlich abgeschwindelt! Das ganze, ganze scheene Vermeegen! – Wie die hier im Fette sitzen und ... Na! Das möchte je awwer noch alles sin!

FRAU WEIDENHAMMER. Ja, gut hamm se am Ende nich gegen dich gehandelt.

PAULINE. Ich seh immer noch, wie se damals alle beede da reinkam'n! Die Alte un der spitzköpp'ge, schwindsicht'ge Duckmaiser! Das sollte nu meine neie Mutter un mei neier Bruder sin! – Schon damals lief mersch eiskalt iwwer un iwwer, wie ich die kleen', boshaften Zwinkeroogen sah!

FRAU WEIDENHAMMER. Ja, e zu merkwird'ger Mensch is der Oelze! – Du, ich möchte doch eegentlich wissen, was der so vom Leben hat! Immer is e krank? Nischt derf e sich gönn'? E derf keene Zigarre roochen? E derf keen Seidel Bier trinken? 's zehnte derf e nich essen? Un denn hat e ooch gar keen' Verkehr? Immer huckt e so fer sich[191] alleene! – Merkwird'g! Grade als wenn e sich ver 'n Leiten fercht'te!

PAULINE. Der?! Sich ferchten?! – Hach, da kennst 'n schlecht, Hannchen! Der fercht sich weder vor e Gott noch vor e Teifel, geschweige denn vor e Menschen! – Was der vom Leben hat? Daß e alle Menschen veracht't un iwwer alles spott't: das is seine Freide! – Bei dem is alles dumm!

FRAU WEIDENHAMMER. Du, sprich nich so laut!


Kleine Pause.


FRAU WEIDENHAMMER. E sollte sich nich so zurückehalten! – Gloobste, daß de Leite alles meegliche iwwer 'n sprechen?

PAULINE interessiert. I gar! – So! – Sprechen se iwwer 'n? – Was denn?!

FRAU WEIDENHAMMER. I nu, 's is je am Ende nur so e dummes Gerede. Awwer mer kann sich nich driwwer wundern! – I nu, 's kann 'm je keener direkt was nachsagen! E tritt je kenn'm zu nahe! – Awwer beliebt is e nich! Das kann ich dir sagen!

PAULINE. Na, was sagen se denn so?

FRAU WEIDENHAMMER. I nu ... Äh, na! Was soll mer driwwer reden! – Hm! – Na, gucke, daß dei Bruder un du damals so ganz leer ausgegangen seid un Franz un die alte Frau alles geerbt hamm, da wundern se sich driwwer un meen', daß das nich so mit rechten Dingen zugegangen is. I na, un daß e sich so aparte hält ... I na, de kannst d'r je denken! – Ja, un deshalb geht's ooch nich so recht mit der Tischlerei! – Na, dadruff is e je nu ooch nich angewiesen!

PAULINE. Hm! – Hm! – Ja! – Das is e beeser Mensch, Hannchen! E ganz beeser Mensch! Steht auf und stellt sich neben Frau Weidenhammer. Geheimnisvoll. Gucke dir nur mal so seine Oogen an! Als ob der leibhaft'ge Satan rausguckt! – Ach Hannchen, Hannchen!

FRAU WEIDENHAMMER sieht sie an. Hm, hm?

PAULINE hart. Na, awwer seine Stunde soll ooch noch e'mal[192] schlagen! Das erleb ich noch! – Ach Hannchen, Hannchen! – Wenn ich dir alles so sagen könnte, was ... Wenn ich een' Menschen sagen könnte, was ich alles so stille in mich neinwürgen muß! – Siehste! Das ... das ... Verrückt könnte mich das alles manchmal machen! – Wie ... Wie – Gift frißt das in ein'! – Herkrieg'n könnt 'ch manchmal alles un zusammenschmeißen! – Aufbrüll'n, laut aufbrüll'n könnt 'ch, wenn ich manchmal so in der Nacht daliege un krieg keen' Schlaf in de Oogen, un ... un – denk so an alles! – Ach!! – Un ducken muß mer sich ooch noch? Spitzen muß mer sich bieten lassen? Seine Armut muß mer sich vorhalten lassen? – Jeder Bissen wird een' vorm Maule weggezählt? – Un denn mißte mer sich, weeß Gott, ooch noch bedanken, daß mer sich doch e'mal e paar Wochen satt essen kann? Vergessen. Un denn nu ooch noch zu denken ... Huch Gott, huch Gott! Schüttelt zusammenschauernd den Kopf, das Gesicht in den Händen. Dann Fau Weidenhammer ansehend. Ach Hannchen, Hannchen! – Was der Mensch alles so im stillen mit sich rumschleppen muß!

FRAU WEIDENHAMMER nach der Kammer hin. Pauline! Pauline!

PAULINE. Ach Hannchen, wenn ich dich so anseh! Was bist du fer e hibsches muntres Weibchen!

FRAU WEIDENHAMMER. I Gott, liebe Pauline! Jeder hat seine liebe Not!

PAULINE. Jeder! Lächelt, indem sie Frau Weidenhammer mustert. Du! Was sollst du wohl fer Not hamm! – Ihr habt eier hibsches Vermeegen! Du hast gesunde Kinder, hast e guten, fleiß'gen Mann, kennst keine Sorgen? Seufzt. Adi, wenn ich so nehme: was war'n das fer scheene Zeiten, wie wir beede so nebenander uf derselben Schulbank saßen un dem alten Kilian heimlich Streisand in seine Schnupptabaksdose mengten! – Weeßte noch? – Was war'n mer fer e paar unbänd'ge Mächens!

FRAU WEIDENHAMMER verlegen; gerührt. I ja, das is wahr![193]

PAULINE. Un mer hatte sei scheenes, warmes Zuhause un kannte keine Sorgen! Leise. Un wenn ich an meine gute, selige Mutter denke? – Wer hätte das damals gegloobt, daß das alles so wer'n sollte! Daß die Alte da un ... un ... Huch!! Gesicht schauernd in die Hände bergend. Un wemmer ooch frieh mit 'n Lerchen raus mußte, naus ufs Feld, sei Sticke Butterbrot ins Tuch gebunden un seine Kaffeeflasche unterm Arme; mer kriegte rote Backen derbei un war gesund un froh! – Un jetzt? – Wemmer so in sich neinsieht – Finster vor sich hinblickend –, zumute is een', als hätte mer een' totmachen sehn, un – derfte nischt sagen!! – Aaach!!!

FRAU WEIDENHAMMER erschrocken. Na gottbewahre, Pauline! – Wie kannste nur uf so e schrecklichen Gedanken komm'!

PAULINE zu sich kommend. Ich meene je nur so! Beispielsweise!


Kleine Pause.


FRAU WEIDENHAMMER verlegen. Na, nu will ich awwer ... Erhebt sich zögernd. 's gibt noch so allerlei ... Bleibt in Gedanken stehn. Hm! – Ja, da haste eegentlich – recht wenig – Genuß von dein' Besuche ...

PAULINE. Genuß! – He! –

FRAU WEIDENHAMMER. Ich wundre mich denn nur, wie de's so lange hast aushalten könn'?

PAULINE aus ihren Gedanken heraus, mit geheimnisvollem Nachdruck. Ich hawwe noch so meine Absichten!

FRAU WEIDENHAMMER. Absichten?

PAULINE. I nu ... Hm! – Weil ... Weil e – mich nich leiden kann! – Weil e mich gar zu gerne forthamm möchte! Hebe! – Un nu grade! Grade deshalb bleib ich! – Un – wenn ich ... Fährt in Gedanken langsam mit dem Finger über die Tischplatte. Wenn ich nu – rauskriegte ... Hm! Hastig. Du! Haste gemerkt, wie verändert e jetzt is?! – So – kribblig! – So – unruh'g! – So ... So ... Hehe! – Haste gemerkt?! Zwischen den Zähnen vor, die[194] Faust ballend. Aaach!! – Das is 'n je zu infam, daß ich nich gehe! Dariwwer is e je zu gift'g! – Das wurmt 'n! Hehe! – Erregt. Und du, du, – das ... is ooch seine Krankheit jetzt! Geheimnisvoll, langsam. Un e weiß auch warum! Ganz genau weiß e das! – Ja? Vor mir – fercht e sich! – Hehe! – Hehe! – In großer Erregung, aus einem unterdrückten Mitteilungsbedürfnis heraus. Ach Hannchen, Hannchen!

FRAU WEIDENHAMMER, sie betroffen ansehend. Du bist doch recht anders geworden, Pauline!

PAULINE schmerzlich, in Gedanken. Ja, ganz anders! – Ach, bis' froh, Hannchen! Bis' froh! Bis' froh!


Pause.


FRAU WEIDENHAMMER. Ja, na ...

PAULINE in anderem Tone; sucht ihrer Stimmung Herr zu werden. Ach mei gutes, kleenes Hannchen! Ich hawwe dich gelangweilt? Nich wahr?

FRAU WEIDENHAMMER verlegen. He ... hehe! – Ach gar! – Stille mal?! E hust't wohl?! – Na, da will ich nu doch machen, daß 'ch fortkomme! Hehe! Zu Mariechen, ihre Hand nehmend. Adje, mei Mariechen! Adje, mei Häschen! – Komm morgen nachmittag mal zu uns niwwer, heerste? Mer nehm'n Ber'n ab! – Adje! Zu Pauline. Na, denn adje, Pauline! – Komm die Tage mal zu mir! Da woll'n mer uns e bißchen was erzähl'n! – Awwer von frieher, nich wahr?

PAULINE. Ja, von frieher.


Geben sich die Hand.


FRAU WEIDENHAMMER. Adje!

PAULINE. Adje!

FRAU WEIDENHAMMER schlüpft hinaus.

PAULINE steht einen Augenblick in Gedanken; schluchzt still in die Hände hinein; dann, mit unterdrücktem Zorn, die Faust gegen die Kammer hin schüttelnd. Hund! – Schwindsicht'ger Hund! – Merder!![195]

MARIECHEN auf sie zu, sich ängstlich an sie schmiegend. Mutterchen!

PAULINE geht, den Arm um sie legend, mit ihr zu ihrem Sitze zurück. Ja, komm, meine Kleene! Sie sitzt einen Augenblick in Gedanken, nickt mit dem Kopf und lächelt boshaft vor sich hin. Na! – Na warte! Hehe! – Du!! ...


Pause. Von der Kammer her anhaltendes Husten. Zunehmende Dämmerung. Der Sturm draußen steigert sich.


MARIECHEN ängstlich. Der Onkel kömmt!

MEISTER OELZE tritt hustend ins Zimmer. Vornübergebeugt, engbrüstig, abgemagert. Eingefallnes, gelbes, bartloses Gesicht. Schwarzsamtne, gestickte Hausmütze, die bis zu den Ohren runtergezogen ist. Hat eine blaugestrickte Wolljacke an. Seine Arme stecken bis zu den Ellbogen im Latz einer blauleinenen Arbeitsschürze. Die Beine in grauen, schlottrigen Hosen. Filzsocken. – Er geht schweratmend auf den Lehnstuhl zu. – Spricht mit langsamer, ironischer Stimme; unangenehm überrascht. Du bist da?

PAULINE. Ja, ich! – Lacht. De ferchst dich doch nich etwa vor mir, Franz? – Hehe!

MEISTER OELZE läßt sich langsam, steif, im Lehnstuhl nieder. Ferchten! – Was du dir doch nich alles einbild'st!

PAULINE. Na, 's kam so komisch raus?

MEISTER OELZE. Hm!


Hustet anhaltend.


PAULINE. Na, ich mache je ooch bloß Spaß! – Nanana, so e Husten! – Ich kann d'r am Ende e Glas Wasser hol'n, was?

MEISTER OELZE. Hähä! – Du bist je sehre besorgt?

PAULINE. Soll ich?

MEISTER OELZE. Danke scheen!

PAULINE. Warte, awwer dein' Kaffee will ich d'r geb'n! – Laß mich e'mal e bißchen vorbei, mei Mariechen! – So! Erhebt sich, geht zum Ofen und nimmt Tasse und Kännchen aus der Röhre. Ich setz dir's gleich hier uf de Ofenbank! Da brauchste nich erscht ufzustehn! – So! Holt vom[196] Tisch ein Tellerchen mit Weißbrot. Hier! Frisches Pflaumenmus! Geht wieder zu ihrem Stuhl zurück. Pause. Ihr habt hier so scheene Myrthen!

MEISTER OELZE trinkend. Hähä! – Eselsohr'n!

PAULINE. Was? – Eselsohr'n?

MEISTER OELZE. Wie Eselsohr'n sehn Myrthenblätter aus!

PAULINE lacht. So e Einfall! – Wohl weil eener dumm is, wenn e sich verheirat't?

MEISTER OELZE. Das mußt du je am besten wissen? – Hehe!

PAULINE. Ja, mit dir hat's Rese freilich besser! – Du kannst dich wenigstens nich besaufen!

MEISTER OELZE. Da spart eener ooch viel scheenes Geld! – Wenn ihr das alles uf de Sparkasse getragen hätt't, was dei Alter schon vertrunken un in de Luft gepafft hat, da ging's eich ooch besser!

PAULINE über ihre Arbeit gebückt. I ja, Franz. Da haste wohl recht. – Na, mit der Mutter is es heite ooch widder recht schlimm. – Die arme Rese hat widder 'n ganzen Nachmittag mit 'r ihre liebe Not gehabt.

MEISTER OELZE scharf. Hä?!!

PAULINE zusammenfahrend. Gott, Franz! Mer erschreckt sich je orndlich?! Lacht. Ich weeß gar nich, wie de jetzt nur immer bist?!

MEISTER OELZE. So? – Erschrocken haste dich? – Aaach!


Trinkt.


PAULINE. Na ja! – Du bist jetzt immer gleich iwwer alles so grillig!

MEISTER OELZE. Hm!

PAULINE gegen das Fenster gewandt. Hu, hu! – Das kann iwwer Nacht noch e scheen' Sturm geb'n! – Das is ooch widder das Leiden von der alten Frau! – I ja, 's wär eich wohl enne rechte Erleichterung, wenn se der liebe Gott zu sich nehm'n wollte. Nich?

MEISTER OELZE. Wer is denn heite bei 'r gewesen? Du?

PAULINE. Ich? – Nee, Franz! Warum denn?

MEISTER OELZE. Na, de steckst je doch sonst immer bei 'r?[197]

PAULINE. Na Gott, das is doch weiter nich wunderbar? – Wer soll denn gleich immer bei 'r sin? – Rese kann je doch ooch nich immer abkomm'.

MEISTER OELZE. 's scheint d'r je doch e Vergniegen zu machen?

PAULINE. E Vergniegen? – I nu, e Vergniegen is es wahrhaft'g'n Gott nich!

MEISTER OELZE. Du bist je doch so 'ne Gefiehlvolle, so 'ne barmherz'ge Schwester? Hähä.

PAULINE. Na, heere mal, Franz! Du scheinst awwer heite widder mal richt'g mit 'm linken Beene zuerst ufgestanden zu sin!


Lacht belustigt.


MEISTER OELZE. Hm!


Trinkt.


PAULINE erhebt sich, geht auf ihn zu.

MEISTER OELZE. Was willst 'enn?!

PAULINE. Na, Gott, einschenken will ich d'r, Franz?!

MEISTER OELZE. Danke! Kann ich alleene!

PAULINE lacht. Du tust je wirklich, Franz, als ob 'ch Gift an' Fingern hätte?

MEISTER OELZE. I, wer weeß?

PAULINE tut pikiert. Na, heere mal! Geht zu ihrem Stuhl zurück. Na?! Da geht's wohl widder los mit der Mutter?! Horcht. Gott, Gott, 's is doch e rechtes Leiden! Vor e paar Tagen saß 'ch e'mal so bei 'r, un da hatte se so e lichten, weichen Augenblick. Die Sonne schien grade so recht hibsch helle un warm zum Fenster nein. Un da meente se so zu mir: »Ach, wenn ich doch erst hinten läg auf 'm Gottesacker neben dein'm Vater.« 's ging mer doch durch un durch! Plötzlich wie ergriffen. Huch Gott nee! Ich weeß ooch gar nich, wo se nur all das ferchterliche Zeich herkriegt! Wie se sich das nur in Kopp gesetzt hat! – Weeßte, 's scheint mer manchmal, als wenn se gloobte, daß der Vater keenes natierlichen Todes gestorb'n is!

MEISTER OELZE. Hähä.

PAULINE. Was lachst 'enn, Franz?[198]

MEISTER OELZE. Nu, ich freie mich, weil de ... Sie fixieren sich einen Augenblick. Hähä.

PAULINE. Hm? Wie meenste?

MEISTER OELZE ihr nachäffend. »Hm? Wie meenste?« – Ich freie mich, weil de so enne gute Tochter bist? – »Nich?« wie de immer machst. »Nich?«

PAULINE. Wie de nur bist!

MEISTER OELZE. Na, nur weiter! – Laß dich nur nich steer'n in dein' Texte!


Lacht.


PAULINE. I, e rechter Quatschkopp biste! – Mer kann werklich kee verninft'ges Wort mehr mit dir sprechen! ... Zeig e'mal, Mariechen? De läßt mehr doch keene Masche fall'n? Wenn de beim Zwickel bist, sagst es mir! Streichelt sie. M! Meine Kleene! – Heere lieber jetzt uf; de verderbst dir de Oogen. Pause. Ja, denke dir nur, Franz! Heite hat se widder gesagt, se hätten 'n Vater vergift't un denn hätten sie zu enner Hochzeit Biefstick aus 'm gemacht, un hätten's gegessen! – Huch Gott nee!

MEISTER OELZE lacht.

PAULINE. Gott ja, mer könnte werklich manchmal driwwer lachen, so schrecklich wie's is! Pause. Ach ja! Der gute Vater! – Ich seh 'n immer noch, wie e abends so dasaß, dort auf sein' Lehnstuhle mit sein' scheen' weißen Barte un sein' gestickten Hauskäppchen un sein' freindlichen alten Gesichte! Wenn e hinten aus der Werkstatt vorkam un zum Feierabende noch so sei Pfeifchen roochte! – So scheene, rote Backen hatte der alte Mann noch! Wer hätte bloß denken soll'n, daß es so rasch mit 'm zu Ende gehn sollte! – Hat den Schürzenzipfel am Auge. Ach ja, wenn ich 'n doch wenigstens noch mal zu meiner Hochzeit bei mir gehabt hätte! Weiter hätt ich je denn gar nischt gewollt!

MEISTER OELZE. Hm!

PAULINE. Nee, weeß Gott, Franz! Weiter gar nischt!

MEISTER OELZE. Was denn?![199]

PAULINE. Ach, ich dachte, du gloobtest's nich.

MEISTER OELZE. Hähä! – Ä wo!

PAULINE. Nee, e war ooch zu gut fer die schlechte Welt! – Ja, un nu sitzt du da uf sein' Platze! – I ja, wenn doch jeder so e gutes, freies Gewissen mit sich ins Grab nehm'n könnte wie der alte Mann!

MEISTER OELZE streicht mit beiden Händen langsam über die Seitenlehnen des Stuhles. Hm! – Hm! – Kannste dich denn awwer nich e'mal iwwer was andres mit mir unterhalten? Hä? – Jetzt nach zwanz'g Jahr'n? – De kannst wohl gar nich anders? – Ewig mußte de wohl den alten Versch beten? Oder denkste etwa, daß ich's anders machen kann? Hä?

PAULINE ernst. Nee, Franz! So was läßt sich freilich nich widder gutmachen! – Awwer ich kann mer nich helfen! 's kömmt immer widder so iwwer mich!

MEISTER OELZE wie vorhin. M! – Na, so gut hat e, denk 'ch, gar nich gegen dich gehandelt un dein' Bruder? Hä?

PAULINE. I Gott, na ja, Franz! – Awwer im Grunde genomm' war das damals doch ooch bloß sei gutes Herze, daß e 's Testament zu dein' un deiner Mutter ihr'n Gunsten machte! – Nich wahr? Wie hättst du dich denn durch de Welt schlagen soll'n, immer so schwach un kränklich? – I na, un wenn e nich gar so pletzlich damals weggestorb'n wär, hätt e uns am Ende ooch noch e bißchen besser bedacht! Nich?

MEISTER OELZE. Ja, wenn e doch damals bloß zu deiner Hochzeit gekomm' wär! Hähä!

PAULINE. I ja! Mit tausend Freiden hätt'n mer 'n aufgenomm'!

MEISTER OELZE. Das gloob ich. – Hähä!

PAULINE. Ja, das kannste, werklich Franz!

MEISTER OELZE. Nu gewiß! Denn wenn de sonst nischt von 'm geerbt hast, haste doch sei gutes Herze geerbt.

PAULINE. I Gott, 's is wahr, Franz! Das is freilich wenig genung! – 's muß eener so e recht gottvergeßner Halunke[200] sin, wenn e's in der Welt zu was bringen soll! – Na, 's schad't nischt! Der liebe Gott läßt nischt ungerochen!

MEISTER OELZE. Hähä.

PAULINE. Nee, gewiß un sicher nich, Franz!

MEISTER OELZE. Na, willst 'enn dir un mir nu mal den Gefall'n tun un mit dem Kohle ufheer'n? – Ich weeß gar nich, was das heeßen soll, daß de 'n grade mir immer widder ufwärmst? – Hähä.

PAULINE. Nee, Franz! Das is sicher un gewiß kee Kohl! Awwer ich weeß je, du bist ooch so e Neimod'scher, – so e Freigeist!

MEISTER OELZE. Na, de weeßt je, dadervor soll je mei Emil mal Paster wer'n! – Mer hamm's je schließlich derzu! Hähä! – Un denn kann e je mal fer mich beten, daß 'ch in Himmel komme! Hähä!

PAULINE. Ja, spotte nur, Franz! Das hilft nischt, wenn e andrer fer een' bet't!

MEISTER OELZE pfeift leise vor sich hin, über die Seitenlehnen streichend. Wenn reist 'r denn?

PAULINE. Wie, Franz?

MEISTER OELZE. Wenn 'r reist, frag 'ch! – Seit wenn heerst 'enn schwer?

PAULINE. Ach so! – Ach so, de meenst, se könn' bei mir zu Hause nich mehr recht ohne mich auskomm'? I Gott, deswegen, Franz! – Deswegen könn' mer gut un gerne noch e paar Wochen bleib'n! – Gott, Minna is doch nu e großes Mächen; un das bißchen Wertschaft bei uns! – Rese fragte ooch schon, weil se mich doch jetzt bei der Kartoffelernte un beim Obsteinmachen gut gebrauchen kann. Un ... Un – Mit stockender Stimme – 's is doch immer mei Elternhaus hier.

MEISTER OELZE mit höhnischem Bedauern. Na, na, na! – Wo kriegste denn nur immer gleich alle die Trän' her?

PAULINE. Ach, da brauchste nich zu spott'n, Franz!

MEISTER OELZE. Nee, nee! – Bleib doch? Bleib doch so lange[201] hier wie de willst! Immer bleib! – Hähä! – Sage mal, biste denn nur werklich so dumm?

PAULINE. Was denn, Franz?

MEISTER OELZE. Na, denkste denn, ich versteh dich nich? Denkste denn, ich weeß nich ganz genau, worauf de nauswillst? – Hähä.

PAULINE. Worauf ... Worauf ich – naus will?

MEISTER OELZE. Hähä! – Na, was verstellste dich denn nur so?

PAULINE. Ich? Mich verstell'n?

MEISTER OELZE. Hähä! – Denkste denn, ich weeß nich, mei Lämmichen? – Daß mir das hier alles geheert, das is doch de ganze Sache! Hä?! – Das is doch de ganze Geschichte! – Je, awwer meine is es doch nu mal? Un meine bleibt's? Und von mir erbst's e'mal mei Junge! – Nu? – Hä? – Da friß das doch in dich nein! – Hähä. – Da – platze doch vor Gift! – Platze doch! – Hähä.

PAULINE ihn ruhig fixierend. Awwer Franz! Wie de dir nur solche Grill'n machen kannst! Lacht.

MEISTER OELZE. Ich haww es doch nu e'mal! Un keener kann's mer nehm'n! Heerste! Kee Mensch! – Hähä! – Beschweere dich doch! – Geh doch hinter uff 'n Kerchhof un beschweere dich bei dein' Vater! – Na?

PAULINE. Nee, du bist werklich recht krank, Franz!

MEISTER OELZE. Aach! – Warum spielste denn nur solche Komeedie?

PAULINE ruhig. Franz! Gott is mei Zeige, daß das ...

MEISTER OELZE. Ich hawwe dir das doch nu schon mehr wie eemal unter de Nase gerieb'n?! Ich wirde mir das nich so oft sagen lassen an deiner Stelle!

PAULINE immer in ruhigem Ton. Na, Franz! Nu will ich dir mal was sagen, un da kannste gleich sehn, was das alles fer e Unsinn von dir is, oder – ich weeß nich was? – Wenn ich mich nu nich dariwwer zufrieden geb'n könnte, daß du das Vermeegen geerbt hast: wer hätte denn Grund, sich zu ärgern: du oder ich? – Was? – Un wenn ich nu,[202] wie de meenst, dadruff immer widder anspielte, da wär ich doch heechstens de Dumme, un du könntst mich auslachen! Nich?

MEISTER OELZE. Na, das tu ich je ooch? Hähä.

PAULINE. Awwer ich denke je gar nich dran, Franz! – Ich beneide dich nich, Franz! – Wahrhaft'g nich! – Liebe Zeit, der liebe Gott hat mir e paar gesunde Ärme gegeben, un bis jetzt haww ich noch immer satt zu essen un trinken gehabt, un im iebrigen haww ich, Gott sei Dank! e gutes Gewissen, un ich denke, das is de Hauptsache! – Wenn de denn awwer durchaus nich mit mir in Frieden un Freindschaft leb'n kannst ...

MEISTER OELZE. In Frieden un Freindschaft? – Hähä! – Na, wer fängt denn immer an?

PAULINE. Du, Franz?! Mit dein' Einbildungen?!

MEISTER OELZE. So! – So! – Hm!


Pfeift. Streicht über die Lehnen.


PAULINE. Wie gesagt, wenn de's mir denn durchaus nich gönnst, daß 'ch mal nach Jahr'n e paar Wochen in mein' Elternhause bin, nu gut, denn will ich eich weiter nich zur Last fall'n, denn kann ich je reisen! – Awwer hibsch is es jedenfalls nich von dir, daß de mir nich e'mal das gönnst! – Ich dächte doch, 's könnte dir wahrhaft'g'n Gott nich druf ankomm'!

MEISTER OELZE. Na ja! Na ja! – Gut! – Bleib doch! – Hm! – Immer bleib! – De denkst je sonst ooch am Ende werklich, ich ferchte mich vor dir! – Hähä!

PAULINE. Awwer warum sollste dich denn nur vor mir ferchten, Franz?! – Ich kann wirklich gar nich begreifen, wie de nur immer daruf kömmst?! – Ich möchte nur in aller Welt wissen, was an mir zu ferchten soll sin?

MEISTER OELZE. Na, nu – stille! ... Ich mag – Bekommt einen starken, langanhaltenden Hustenanfall – von – dem Quatsche – nischt mehr ...

PAULINE auf ihn zu. Gott, Gott! Na ja, siehste, Franz! – Nu haste dich widder so stille in dich nein geärgert![203]

MEISTER OELZE fortwährend hustend, spuckt aus!

PAULINE. Herrgott, nu gucke doch bloß!!

MEISTER OELZE gibt zwischen dem Husten unartikulierte Laute von sich.

PAULINE sich über das Ausgespuckte beugend. Blut!

MEISTER OELZE wie eben.

PAULINE. Blut!

MEISTER OELZE mühsam. Q-Quatsch ...

PAULINE. O ja, gucke doch, Franz?! – E ganz großes Sticke?! – Das is Lunge?!

MEISTER OELZE ist ein wenig zu sich gekommen, packt sie am Handgelenk, versucht sie von sich zu stoßen. Weg!!!

PAULINE zurückzuckend, wie vor Ekel. Hch!! – P-Packste een' da – gleich an mit – dein' dürr'n, kalten – Fingern! Reibt sich die Stelle. Leise. Ganz schweiß'g! Atmet auf. Mer – könnte werklich manchmal denken, de wärst nich recht bei Troste, Franz! – Is dir nu besser?


Meister Oelze liegt erschöpft im Stuhl, lacht. Draußen geht die Hausklingel; gleich darauf tritt Emil ein.


EMIL rotes Schülermützchen auf dem windzerzausten Haar. Wirft es auf den Tisch. 'n Abend, Vater! 'n Abend, Tante! 'n Abend! 'n Abend!

PAULINE gutgelaunt. Na, Emil? Du bist mir ooch e rechter Rumtreiber! – Bei so e Wetter? Lacht. Setzt sich wieder auf ihren Stuhl.

EMIL hat sich inzwischen mit Mariechen umhergeneckt. Äh, mer hamm draußen noch so hibsch gespielt! – Erscht hammer nach e Hamster geschmissen, den mer an Weidenhammers ihr Scheintor festgenagelt hamm, un denn hammer uns noch gehascht! Schmeißt sich auf einen Stuhl, daß ihm die Beine in die Höhe fliegen. Lacht. Wupp! – Da war ich je beinah hingeflogen?! – Ei wei, is da awwer emal e verflixter Wind?! – Du! Vater! Von Schwalbens[204] ihrer Scheine hat e 's halbe Dach abgedeckt, un bei unsrer Hausecke kömmt mer gar nich rum! – Akerat so, als ob mer vor enner Mauer steht! – Bei Bäcker Knabens sin ooch schon enne Menge Fenster kaputt! Ach ach, un bei Bornscheins! Bei Bornscheins is enne ganze Esse runtergepurzelt! – 's kam so mit eenem Male. Un hinten, hinter der Kerche, kömmt's egal ganz dicke un schwarz 'n Himmel in de Heehe! – Grade als wenn de Welt untergehn sollte! – Hoho! Guckt mal, wie sich die Kleene fercht't! Hoho! Hoho!

PAULINE. Du mußt se nich ängstlich machen, Emil!

EMIL. Wah? – Ach, un die Weiber un die Mächens! Au nee, hamm mir nur e Spaß gehabt! – Immer der Wind hinten gegen die Röcke! – Wie angeklitscht!

PAULINE lacht. Awwer, Emil!

EMIL. Wah? – Un, un – immer so de Gasse hat se der Wind nuntergetrieb'n! – Ach, un de alte Schäfern? Die hat der Wind ganz un gar hingeschmissen! – Mer hamm se nachher ufgehob'n, un denn hat se sich immer so dichteweg an 'a Haisern hingekrebst! – Wißt 'r? Der Amtsdiener Edel hat vorhin zum Gertlermeester Abel gesagt: wenn nur in der Nacht nischt passierte, un beim Spritzenhause hamm se alle beede Spritzen z'rechte gemacht!


Draußen kommen mehrere Personen langsam durch den Flur auf die Tür zu.


EMIL. Du, Tante! Wo is denn ... Horche mal?!


Meister Oelze beugt sich vor. Vor der Tür Sprechen. Rese tritt ein. Sie führt mit Frau Kramer die alte Frau Oelze. Diese bewegt sich zwischen den beiden Frauen mit langen, schlenkernden Schritten vorwärts. Dicker, gedunsener Körper. Unsauberes, ganz farbloses Kleid. Darüber eine Schoßjacke von ungewisser Farbe. Gedunsenes Gesicht. Wirre weiße

Haare. Gelb, runzlig, vornübergebeugt. Stumpfer Blick. – Sie wird zur Ofenbank geführt.
[205]

RESE. Hibsch – langsam! – So! – So! – Soo, Großmutter! – Hier is hibsch warm! – Warm! – Nich wahr? – Setzen Se sich! – So! –


Die Alte hebt, als sie sitzt, einen Augenblick den Kopf und sieht sich langsam, mit stumpfem Blick, um. Sinkt dann in sich zusammen und sitzt stumpf und still da, die Arme schlaff über den Schoß weg.


FRAU KRAMER. 'n Abend!

RESE. 'n Abend, Kramern! Dank ooch scheene!

FRAU KRAMER. Nich Ursache, Meester Oelzen!


Ab.


MEISTER OELZE scharf. Na, was soll denn das?!

RESE verlegen. Gott, Franz! – Se is je jetzt stille!

MEISTER OELZE erhebt sich. Auf und ab.

RESE. Was soll mer denn mit 'r anfang'n? Hinten kann ich se heite doch nich bänd'gen.

MEISTER OELZE. Mein' Rock un meine Stiwweln!

RESE. Wie ... Wie, Franz ...? ...

MEISTER OELZE. Mein' Rock un meine Stiwweln will ich! – Kannste nich heer'n?!

RESE. Dein' ...

MEISTER OELZE. Mähre nich so lange!

RESE. Hm! – Ja! Gleich! Geht zum Schrank und holt das Verlangte. Hier!

MEISTER OELZE setzt sich, zieht die Stiefeln an.

RESE schüchtern vor ihm mit dem Rock. De willst noch fort, Franz?!

MEISTER OELZE. Halt 'n Rock!

RESE. Gott! Franz ... Bei dem Wetter! ... Der Kreisphiesikus hat doch ...

MEISTER OELZE. Halt orndlich! Fährt in den Rock. Meine Mitze! Mein' Stock! – Nu mache, mache, mache! – Beides wird ihm gebracht. So! – Na, nu könnt 'r je hier alle dreie 's Pres hamm? – Hähä! – Gute Unterhaltung! Ab.[206]

RESE hinterher. Franz?! 's Halstuch wenigstens ... Weg is e! Macht die Tür zu. Na, Pauline, nu sag mer bloß! Da soll nu eener draus klug wer'n! – Weinerlich. Ich wer' e aus dem Manne nich mehr gescheit! – Na, nu heere nur, so e Sturm! – Keen Hund schickt mer naus! – Ach Gott! Nee, nee! – Na, nu is doch wenigstens die alte Frau stille! So is se nu stundenlang! – Kannste mir denn nu jetzt hinten e Oogenblickchen helfen?

PAULINE. Ja, gerne!

RESE. Hm! – Na ja. Pauline! Nicht wahr! – Was soll mer denn machen? – Ich hätte se doch hinten nich ruhig gekriegt?

PAULINE. I, versteht sich! – Lacht. Laß 'n doch? – Was is e denn so e Dickkopp?

RESE bekümmert. I ja! – Seid mer nur hibsch art'g derweile, Kinder! – Un laßt de Großmutter zufrieden! Daß de mir ja nich etwa Unsinn un Talberei'n mit 'r machst, Emil! Heerste?!

EMIL. Nee nee!

RESE. Na Pauline, denn komm! – Das kann enne gute Nacht wer'n!


Mit Pauline ab.


Quelle:
Naturalismus_– Dramen. Lyrik. Prosa. Band 2: 1892–1899, Berlin und Weimar 1970, S. 177-207.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Meister Oelze
Meister Oelze

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Blumen und andere Erzählungen

Blumen und andere Erzählungen

Vier Erzählungen aus den frühen 1890er Jahren. - Blumen - Die kleine Komödie - Komödiantinnen - Der Witwer

60 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon