Tausendschön

[235] Ja, herrlich ist der Griechen Alterthum,

Ist wahre Schöpfung zu der Menschheit Ruhm.

Du möchtest schildern gern in deinen dicken Bänden

Des Genius Kosmogonie;

Doch Ebenmaß, Gestalt und Ordnung triffst du nie,

Und mit dem Chaos wirst du enden.


Du kannst Latein nicht ohne Drucksen sprechen:

Dem Philologen steht die Stümperei nicht fein.

Man hört dich ebenfalls das Deutsche radebrechen;

Dir ist die Alalie natürlich, allgemein.

Doch deine Feder schwatzt gar viel in Einem Odem

Und spinnt den leersten Satz zu langen Perioden.
[235]

Die Alten, sagst du, sind im Kreiß

Herumgegangen.

Kein Andrer weiß,

Wie du, die Schlangen

Bei'm Schwanz zu fangen.


Von hinten les' ich's oder von vorn,

Es bleibt mir gleichermaßen verworr'n.


Wahrheit fehlt dem Mythologen,

Kunstsinn dem Archäologen,

Red' und Schrift dem Philologen.

Quelle:
August Wilhelm von Schlegel: Sämtliche Werke, Band 2, Leipzig 1846, S. 235-236.
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