An die Jungfrau von Orleans

[261] Ich habe früh dich schon besungen,

Ich bot dir fromme Huldigungen,

O heldenmüth'ge Jeanne d'Arc,

Im Wunderglauben kühn und stark!


Doch, wenn der Helm dein Haupt soll schützen,

Was kann das seid'ne Schnürchen nützen,

Womit ihn zierlich deine Hand

Dir unter'm Kinn zusammenband?


Dem Strohhut und dem Schäferleben

Hast du den Abschied ja gegeben.

Am Strohhut stand die Schleife gut:

Sie schloß ihn vor der Sonne Glut.


Nun muß ich, Heldin, für dich zittern;

Du eilst zu Kampfes Ungewittern:

Da thut ein ehern Sturmband Noth,

Dem Lanz' und Schwert vergeblich droht.
[262]

Von allem deinem Stahlgeschmeide

Der Panzer ist's, den ich beneide,

Der deine Brust gefangen hält,

Wenn Lieb' und Muth sie strebend schwellt.


Der Vorhang fällt: es ist vollendet. –

Doch daß der Sieg in Tod sich wendet,

War es auch nur ein Gaukelspiel,

Ist für mein banges Herz zu viel.


In Ohnmacht scheint ihr Blick verschwommen;

Sie athmet matt nur, tief beklommen.

Besorgte Schwestern, eilt hinzu!

Erweckt sie aus der starren Ruh!


Nichts mehr von wilden Schlachtgetösen!

Laß dir den strengen Panzer lösen.

O hielt' ihn nur ein seidnes Band,

Wie gern zerriß' es meine Hand!

Quelle:
August Wilhelm von Schlegel: Sämtliche Werke Band 1, Leipzig 1846, S. 261-263.
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