Anhänglichkeit

[360] Oft will die Seele ihre Flügel dehnen,

Gestärkt von der Betrachtung reiner Speise;

Ihr dünkt, im engen wiederholten Gleise,

Ihr Thun vergeblich, und ihr Wißen Wähnen.


Sie fühlet tief ein unbezwinglich Sehnen

Nach höhern Welten, freierm Thatenkreiße,

Und glaubt, am Schluß der Bahn nach ird'scher Weise,

Roll' erst der Vorhang auf zu lichtern Scenen.


Doch rührt der Tod den Leib ihr, daß sie scheide,

So schaudert sie, und sieht zurück mit Zagen

Auf Erdenlust und sterbliche Gespielen.


Wie einst Proserpina, von Enna's Weide

In Pluto's Arm entführt, kindlich im Klagen,

Um Blumen weinte, die dem Schooß entfielen.

Quelle:
August Wilhelm von Schlegel: Sämtliche Werke Band 1, Leipzig 1846, S. 360-361.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Sonette
Poesie der Welt: Renaissance Sonette