An die Rhapsodin

[9] Kunstlos, ohne Müh und Streben,

Giebst du dem Gedichte Leben,

Giebst ihm zarten Hauch und Ton.

Hat das Lied, das ich ersonnen,

Deine schöne Gunst gewonnen.

O gewähr' ihm diesen Lohn!


Daß zu höherem Gehalte

Der Gedanke sich entfalte,

Braucht's nur deinen Zauberblick.

Die Gefühle schweben milder,

Freundlicher begränzt die Bilder,

Mir in Sinn und Geist zurück.


Wie der Silberquelle Rauschen

Hör' ich's mit entzücktem Lauschen,

Wenn sich deine Stimm' ergießt,

Wenn ein Abbild meiner Seele,

Neugeschaffen, ohne Fehle,

Auf den ebnen Wellen fließt.


In Narcissus' Wahn versunken

Könnt' ich ewig schauen, trunken[10]

Auf die Quelle hingeneigt.

Doch zu tiefern Huldigungen

Fühlt sich schnell das Herz gedrungen,

Wenn die Nymphe selbst sich zeigt.

Quelle:
August Wilhelm von Schlegel: Sämtliche Werke Band 1, Leipzig 1846, S. 9-11.
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