[55] Ein Zimmer des Königs.
Ricardo. Octavio.
RICARDO.
Habt Ihr den König heute schon gesprochen?
OCTAVIO.
O nein, noch keiner ist vor ihn gekommen.
Er will allein sein, scheint vertieft in Sorgen.
Ein kund'ger Freund hat eben mir beschworen,
Daß die Infantin jetzt ihn sprechen wolle,
Ein feierlich Gehör bei ihm gefordert,
Und man erwartet davon wicht'ge Folgen.
RICARDO.
Da kommt er. – Seht, wie blickt er ernst und zornig!
So laßt uns gehn, eh' er uns wahrgenommen.
Sie entfernen sich, indem der König hereintritt.
DER KÖNIG.
Wie große Burgen lasten auf dem Boden,
Der sich dem schweren Drucke nie entzogen;
So auf des Herrschers Haupt die goldne Krone,
Und auf den Untertanen die Gebote,
Die jener diesen auflegt zu befolgen.
Es müssen alle seufzend doch gehorchen,
Sich schweigend beugen dem gewalt'gen Joche,
Vom König alles leiden, Niedr' und Hohe.
Oh, daß mein Haus nur so den Wünschen folgte,
Wie meine Länder zittern meinem Zorne!
Ich habe nur die eine einz'ge Tochter,
Und weiter keinen Erben. Diese Sorge
Ist mir ein scharfer Dorn in meiner Krone,
Und weckt mit bitterm Schmerz mich jeden Morgen.[56]
ALVARO der hereintritt.
Erlaubst du, Herr, daß die Infantin jetzt dir naht?
DER KÖNIG.
Sie komme, wie ich dir erlaubt und anbefahl.
Alvaro führt die Infantin herein. Sie läßt sich vor dem König auf ein Knie nieder. Alvaro tritt in den Hintergrund zurück.
SOLISA.
Zu meines Vaters Füßen such' ich Trost und Rat.
Und wie das Leiden auch den Mut mir niederwarf,
So beugt das Knie sich, auszusprechen meine Schmach;
Des festen Sinnes, daß ich aufstehn will erst dann,
Wenn, was ich bitte, du mir hilfreich zugesagt.
DER KÖNIG.
So sag ich, daß du wieder aufstehn kühnlich darfst,
Wenn was du bittest, irgend nur in meiner Macht.
Mein Wort bestätigt diese königliche Hand.
SOLISA.
Nun Herz! sei standhaft, waffne mutig dich mit Kraft!
Das Auge schlägt sich nieder vor dem heft'gen Kampf,
Es färbt die jungfräulichen Wangen hohe Scham.
Du siehst mich in der vollsten Jugendblüte Glanz; –
O hielte nicht die teure Mutter schon das Grab,
Sie hätte wohl mich zugeführt schon dem Gemahl,
Und festlich hätte mir die Fackel schon gestrahlt!
Ich will's bekennen, es gefällt mir nicht mein Stand,
Wo selbst die Hoheit endlich wird zur schweren Last.
DER KÖNIG.
Wie muß ich staunen über dem, was du gesagt!
Die höchsten Fürsten warben schon um deine Hand,
Von denen mancher aus der fernsten Fremde kam,[57]
Weil dort auch deiner Schönheit Ruf sein Ohr durchdrang;
Doch keinem gabst du jemals das erwünschte Ja.
Und weit entfernt, daß ich die Sorg' um dich vergaß,
Gedacht' ich dessen oft mit Schmerz und tiefem Gram.
Was hast du jemals noch gewünscht, das nicht geschah?
SOLISA.
O nein, kein Fremder werde jemals mein Gemahl!
Wie sollt' ich gleich verlassen dies mein Vaterland,
Wo Rittertum und hohe Liebe freudig strahlt,
Wenn mich zur Frau begehrte irgend ein Barbar,
Weil ihm zum Erbteil etwa eine Krone ward?
Es sei der, dem ich folgen soll, ganz meine Wahl.
DER KÖNIG.
Ich selber wählte mir für dich nicht solchen Mann,
Denn keinen Erben hat der Staat und unser Stamm.
Des Zweifels Unmut, Tochter, sei von dir verbannt,
Und rasch sogleich der mutige Entschluß gefaßt!
Turnier und Feste sollen gleich zur würd'gen Wahl
Die Würdigsten versammeln; und der hohe Dank
Sei dein Besitz, du selbst des Siegers Ehrenkranz.
SOLISA.
Es ist zu spät, mein Vater. – Denn schon ist die Wahl
Geschehn, und der mich liebte, meine Seele traf,
Mir bald die Freiheit raubte, Graf Alarcos war's.
Er hat, noch eh' er jetzt zur Frau die Gräfin nahm,
Mir zugeschworen, er nur werde mein Gemahl.
DER KÖNIG.
Ist's möglich, hab' ich deine Worte recht gefaßt?
SOLISA.
Ich habe alles, was du wissen mußt, gesagt.[58]
DER KÖNIG.
Kannst du beteuernd schwören, daß dies alles wahr?
SOLISA.
So helfe ewiglich mir Gottes höchste Macht.
DER KÖNIG.
In kurzer Rede hast du Großes mir gesagt.
Zum zweitenmal nimm hier die königliche Hand,
Und statt der Antwort eil' ich gleich zur Rach' und Tat.
Das erstgegeb'ne Wort soll halten dir der Graf,
Sonst wird er mit dem Tode billig gleich bestraft.
Wie mag doch gegen seinen Herrn der Untertan
Sich so vergehen, sich erkühnen solcher Tat?
Der König und die Infantin gehen von verschiedenen Seiten ab.
ALVARO.
Der größte Schritt ist endlich nun geschehen,
Beharrlichkeit hat dennoch überwunden! –
Alarcos wildes Herz ist leicht zu lenken,
Auf ewig die Infantin mir verbunden;
So werd' ich einzig im Verborg'nen herrschen,
Und Beßres bringen noch die künft'gen Stunden,
Oh, wenn des Königs Tod uns bald erfreute,
Dann hätt' ich meiner Mühe Lohn gefunden!
So nahe nun dem lang ersehnten Ziele,
Muß wieder ich in Furcht und Zweifel schweben.
Wer andre gern mit Klugheit lenken möchte,
Oh, welche Welt von Sorg' ist dem gegeben!
Er muß der Menschen Leidenschaften nutzen,
Und doch vor jeder Laune ängstlich beben,
Die seine tiefsten Pläne stören könnte;
Ein ewig wacher Zwang nur ist sein Leben.
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