Der Wasserfall

[188] Wenn langsam Welle sich an Welle schließet,

Im breiten Bette fließet still das Leben,

Wird jeder Wunsch verschweben in den einen:

Nichts soll des Daseins reinen Fluß dir stören.

Läßt du dein Herz betören durch die Liebe,[188]

So werden alle Triebe, losgelassen,

Der Kraft in vollen Massen sich entladen,

Daß unten tief sich baden die Gefühle,

Im buntesten Gewühle wilder rauschen,

Bis ferne Männer lauschen, und voll Bangen

Das nah zu sehn verlangen, was mit Grausen

Die Seel' erfüllt im Sausen solcher Wogen,

Die manchen schon betrogen, und nicht ruhten,

Bis tiefer in die Fluten ew'ger Leiden

Verschlungen sie die beiden, die vereinet

Im Silberschaum den süßen Tod beweinet.


Quelle:
Friedrich von Schlegel: Dichtungen, München u.a. 1962, S. 188-189.
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