Lied

[176] Da nun tot der Herr des Lebens,

Der mein Sohn,

Sei der Tod das Ziel des Strebens,

Und mein Lohn.


Mutter ward ich wie noch keine,

Ohne Sorg' und ohne Schmerzen,

Die ich jetzo erst beweine,

Seit sie doppelt mir im Herzen,

Doppelt Leiden mir gegeben

Um den Sohn,

Daß im Tod der Herr des Lebens

Ist entflohn.


Weil viel Tod ist überwunden

Durch des Einen bittres Sterben;

Drum muß billig für die Wunden

Viele Tod' ich Eine sterben,

Und es schickt den Trost vergebens

Von dem Thron,

Zu mir her das Licht des Lebens,

Für den Sohn.


Vöglein, die ihr fliegt in Reihen,

Tiere, wandelnd auf den Weiden:

Sagt, warum wollt ihr nicht schreien,

Mich zu trösten in den Leiden?

Der allein kein Trost gegeben,

Weil entflohn

In den Tod der Herr des Lebens,

Der mein Sohn.

Quelle:
Friedrich von Schlegel: Dichtungen, München u.a. 1962, S. 176.
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