Das 34. Capitel.
Einen Eßig-Krug soll man nicht auf den Tisch setzen / denn es verdirbt der Eßig davon.

[66] Manch böse Weib (denn es müssen böse Weiber seyn, die den Eßig ansetzen und füllen, wenn er soll fein sauer werden,) nähme nicht viel, und setzte ihren Krug, darinnen sie Eßig aufgestellet, auf einen Tisch, in Besorgung, der Eßig verderbe davon. Nun möchte ich zwar gerne gründliche Rationes hierüber hören, warum hiervon der Eßig umschlagen solte? Ich habe zwar noch biß dato keine andere Nachricht von denen Weibern erhalten können, als, sie wüsten es selbst nicht. Dahero habe ich offt bey mir selbst darüber speculiret, ob ich irgend eine natürliche Ursach hierzu finden möchte / habe aber nichts ergründen können. Endlich aber, hinter die Wahrheit zu kommen, habe ich selbsten Eßig angestellet, und den Eßig-Krug gar offt auf den Tisch gesetzt, denselben auch auf dem Tische angefüllet, und habe dennoch gar guten Eßig behalten; ja, was noch mehr ist, kan ich einem noch diese Stunde Kirsch- und Mäyen-Blumen-Eßig weisen, den ich vor 8. Jahren schon aufgestellet habe, und inzwischen wohl 20. mahl auf den Tisch gesetzt gehabt, der doch noch biß dato so schön und sauer ist, daß mir schwerlich iemand bessern wird weisen[66] können. Hingegen erinnere ich mich, daß viele wegen ihres Zorns und Boßheit halber sehr beruffene Weiber zu mir gekommen sind, und mir geklaget haben, daß ihnen ihr Eßig nicht wolte gut werden, ohnerachtet sie solchen doch auf keinen Tisch gebracht hätten. Woraus abzunehmen ist, daß die Meynung vom Tisch setzen nichts / als ein offenbarer Aberglauben ist, dem Christliche Hauß-Mütter nicht nachhängen sollen.

Quelle:
Schmidt, Johann Georg: Die gestriegelte Rocken- Philosophie. 2 Bände, Chemnitz 1718 (Bd. 1), 1722 (Bd. 2), [Nachdruck Weinheim; Deerfield Beach, Florida 1987]., S. 66-67.
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