Das 38. Capitel.
Wer will werden reich / der schneid das Brodt fein gleich.

[72] Dieses ist zwar an und vor sich selbst nur ein Sprichwort, aber auch mit gewisser Bedingung ein wahr Wort, und könnte vor sich und und schlecht hin wohl passiren, wenn die alten Weiber es nicht zum Mißbrauch anwendeten, und ihm unter ihren albern Aberglauben eine Stelle einräumeten, als sey es ein unbetrügliches Werck. Derowegen ich vor rathsam erachte, dieses ein wenig zu untersuchen, wie weit diese Meynung statt habe oder nicht. Es pflegen einige verständige Leute davor zu halten, daß man eines Haußwirths gantze Haußhaltung an dem Brodte könne observiren, und wollen damit so viel zu verstehen geben, daß ein unachtsamer Haußwirth seine Kinder und Gesinde nur nach ihren eigenen Gefallen daß liebe Brodt liesse berupffen und beränffteln / und unordentlich davon schneiden, daß zuweilen die Rinde um und um abgeschnitten wird, und nichts als die Brosse liegen bleibet, welche hernach gemeiniglich verschimmelt,[72] und aufs höchste denen Schweinen zu Theil wird. Wenn es nun also mit dem Brodte zugehet, so ist leichte zu vermuthen, daß die übrige Haußhaltung auch nicht besser bestellet werde, und muß solcher Gestalt ein Haußwirth verarmen. Hingegen, wer ordentlich Hauß hält, seine Sachen alle wohl in acht nimmt, und keine Unordnung mit Willen einreissen lässet, der wird auch nicht zugeben, daß das liebe Brodt von einem ieden nach eigenen Gefallen vermutzet werde / sondern es wird darüber gehalten, daß davon ordentlich abgeschnitten werde, daß es stets gleich bleibe, auch niemand mehr abschneide, als es zur Sättigung des Hungers bedarff, damit nicht alle Winckel voll Stücken verdorret Brodt gefunden werden. Wer demnach also seine Sache anstellet, dessen Nahrung nimmt zu, Prov. 24. v. 4. und trifft solcher Gestalt das Sprichwort ein: Wer will werden reich, der schneid das Brodt fein gleich. Dargegen will ich einen ieglichen versichern, daß von dem blossen Brodt gleichschneiden keiner wird reich werden, wenn nicht das übrige ordentliche Haußhalten mit darzu genommen wird.

Quelle:
Schmidt, Johann Georg: Die gestriegelte Rocken- Philosophie. 2 Bände, Chemnitz 1718 (Bd. 1), 1722 (Bd. 2), [Nachdruck Weinheim; Deerfield Beach, Florida 1987]., S. 72-73.
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