Das 39. Capitel.
Wenn zu Grabe gelautet wird / soll man nicht essen /sonst thun einem die Zähne weh.

[73] Dieser Aberglauben wird nicht allenthalben, sondern nur an etlichen Orten in Thüringen, und sonderlich auf denen Dörffern getrieben.[73] Wie gewiß aber solch alber Vorhaben eintreffe, kan man leicht in denen Städten, allwo man von dieser Thorheit nichts weiß, gewahr werden. Denn an vielen Oertern, wo der Gebrauch ist, daß gleich Mittags um Essens-Zeit zu Grabe gelautet wird, kehret man sich nicht an das Lauten, sondern isset ohne Sorge und Unfall, ohne daß hiervon iemanden die Zähne weh thun. Ich bilde mir aber ein, es habe diese Meynung ihren Ursprung von einer Schertz-Rede, wenn irgend einer mag gesagt haben: Wenn man zu der Zeit, wenn zu Grabe gelautet wird, isset, so thun einem die Zähne weh, es sey nun wer, und wo es wolle. Denn es wird keine Zeit seyn, da nicht einem hie oder da im gantzen Lande die Zähne solten weh thun. Und kömmt mir eben vor, als wenn einer sagt: Da der und jener reiche Mann ist begraben worden, und man auf den Gottes-Acker seinen Sarg nochmahls eröffnet hat, so hat ein Rabe auf seinen Beinen gesessen. Ja freylich kan ein Rabe nicht auf seinen Fliegel gesessen haben, sondern auf seinen Beinen, aber nicht auf des verstorbenen Mannes / sondern auf seinen eigenen Beinen. Also kan ich auch sagen: Wenn man isset, da zu Grabe gelautet wird, so thun einem die Zähne weh.

Quelle:
Schmidt, Johann Georg: Die gestriegelte Rocken- Philosophie. 2 Bände, Chemnitz 1718 (Bd. 1), 1722 (Bd. 2), [Nachdruck Weinheim; Deerfield Beach, Florida 1987]., S. 73-74.
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