Das 40. Capitel.
Wenn einem Kinde unter einem Jahre rothe Schuhe angezogen werden / kan es hernach / wenn es erwächset / kein Blut sehen.

[74] Man solt sich kaum einbilden, daß in der gantzen Christenheit ein Mensch so alber seyn, und dieses glauben könne. Dennoch wolte ohnlängst eines Schusters Weib einen ehrlichen Mann / der vor sein Kind ein paar rothe Schuhe haben wolte, dieses mit Gewalt zu glauben bereden. Ich merckte aber fast wohl, warum sie die Sachen vor gewiß ausgab; es hatte der Schuster weder solche kleine rothe Schuhe fertig, noch roth Leder, davon er solche hätte gemacht / dahero wolte die Schusterin diesen Aberglauben zur Beschönigung ihres Schuh und Leder-Mangels zu Hülffe nehmen. Denn was könte wohl thörichter ersonnen werden / als zu glauben, daß ein Kind verwahrloset werde, daß es kein Blut sehen könne, wenn es unter einem Jahre ein paar rothe Schuhe angehabt? Was hat denn das rothe Leder vor Gemeinschafft mit dem Blute? Wolte man die rothe Farbe mit solcher Krafft beschuldigen, so mache ich hinwieder den Einwurff: Warum es denn nur rothe Schuhe, und nicht auch ein rothes Röckgen thun könne? Daß aber dieses eine offenbare Lügen sey, kan ich nicht alleine mit meinen eigenen, sondern viel andern Kindern erweisen / welche unter einem Jahre rothe Schuhe angehabt, und dennoch ohne Alteration Blut sehen können. Dahero diese Narrethey keiner weitern Untersuchung mehr bedarff.

Quelle:
Schmidt, Johann Georg: Die gestriegelte Rocken- Philosophie. 2 Bände, Chemnitz 1718 (Bd. 1), 1722 (Bd. 2), [Nachdruck Weinheim; Deerfield Beach, Florida 1987]., S. 74-75.
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