Das 51. Capitel.
In Sechs-Wochen soll man ein Kind nicht in Mantel fassen / es wird sonst melancholisch / oder bekömmt stets zu trauern.

[87] Es ist zwar nicht gewöhnlich, daß man die[87] Sechs-Wochen-Kinder in Mantel fasse, weil sie nicht aus der Stuben getragen werden; iedoch aber, wenn es ja geschehen solte, so kan keinesweges dieses Unheil daraus erwachsen, daß ein solches Kind um dieser Ursach willen solte melancholisch werden, oder stets zu trauren bekommen; denn wenn es wahr wäre, so müsten viel 1000 Menschen melancholisch seyn, weil an vielen Orten die Gewohnheit ist / daß die kleinen Kinder von den Weh-Müttern in Mänteln zu der Heiligen Tauffe getragen werden, allwo die Gevatterin nur das Kind wieder aus der Kirche trägt. Und wie lange ist es denn wohl, daß auch die Gevattern Mäntel umgehabt? sonderlich auf denen Dörffern, daß also fast alle Kinder in Sechs-Wochen in Mänteln getragen werden; wenn diese nun alle hätten melancholisch werden sollen, wer hätte denn die Musicanten ernähret? Und so ihr so tolle seyd, und sagen woltet, die meisten hätten stets zu trauren bekommen; so sage ich dargegen, daß derjenige ewig aller seiner Sinnen müste beraubet seyn, der solches glauben wolte. Denn wenn ich mein Kind Tag und Nacht in Sechs-Wochen liesse im Mantel tragen, wie solte doch dieses eine solche starcke Würckung in meines Kindes Freundschafft haben, daß darum eines nach dem andern daraus sterben müste, damit das im Mantel getragene Kind stets zu trauren bekäme? Gleichwie nun dieses kein vernünfftiger Mensch statuiren wird, also ist jener Meynung auch schon zur Gnüge widersprochen, biß mir ein anders dargethan wird.

Quelle:
Schmidt, Johann Georg: Die gestriegelte Rocken- Philosophie. 2 Bände, Chemnitz 1718 (Bd. 1), 1722 (Bd. 2), [Nachdruck Weinheim; Deerfield Beach, Florida 1987]., S. 87-88.
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