Das 12. Capitel.
Wider das Bluten der Wunden und Nasen sollen folgende Worte helffen:

[37] Sangvis, mane in venis, sicut Christus pro te in pœnis

Sangvis, mane fixus, sicut Christus crucifixus.


Diese Blutstillung wird ohne Zweifel manchmahl von solchen Personē gebraucht, welche weder schreiben noch lesen können / vielweniger wissen, was der eigentliche Verstand dieses Lateinischen Verses sey. Denn ich habe mein Lebtage noch nicht erfahren, daß ein rechtschaffener Medicus, oder sonst ein Christlicher und verständiger Mann, sich solcher ungeziemenden Mittel bedienet hätte. Solche Curen geschehen insgemein nur von solchen Purschen, welche nicht wissen / welcher Teufel sie geschoren hat, oder woher die eingebildete Hülffe komme, sondern sind damit vergnüget, wenn sie nur die Kunst von einem berühmten Scharffrichter / beruffenen Schwartz-Künstler, oder betrüglichen Mönche erhalten haben. Und erinnere ich mich, daß als ich einsmahls in Dreßden eine gefährliche Niederlage hatte, dabey sich ein hefftiges Nasenbluten einfand, welches 3. Tage anhielt, und ein gäntzliches Ansehen des baldigen Todes machte, dahero viel gute Bekannte alles versuchten, was zur Stillung solches Blutflusses dienen solte: Unter diesen war auch ein Bauer-Artzt, welcher sich sehr vermaß / er wolte einem den Kopff abschneiden und doch verschaffen, daß nicht ein Tropffen Blut solte heraus lauffen, und weil dieser mich, guter Bekanntschafft halber, auch besuchte, bot er mir seine Hülffe an, und gab vor, er wolte nichts mehr thun / als mit dem Blute wenig[38] Worte auf Pappier schreiben, und mir solches auf die Stirn kleben, so würde das Bluten in dem Augenblick bestehen. Ob ich nun zwar durchaus nicht trauen wolte, weil dieser Mann in Verdacht war, daß er durch des Satans Hülffe zu curiren pflege, zu dem auch mir diese Art das Blut zu stillen billig verdächtig vorkam, dennoch beredeten mich andere gute Freunde, daß ich es mit der Condition zulassen solte, woferne sonst nichts darbey verdächtiges vorgenommen würde, und er mir die Schrifft zu lesen gäbe, ehe er sie an meine Stirn klebete. Dieses wurde also bewilliget, und schrieb er etliche Buchstaben mit meinem Blute auf ein rein Pappier, und klebte mir es an die Stirn. Es war aber eine Schrifft, welches weder Teutsch noch Lateinisch, Griechisch noch Hebräisch, Welsch noch Spanisch war, ohngefehr eine Bärenhäuterey / als wie das Abracatabra, welches Wort ebenfalls in solchen Phantasien gebraucht wird, ohne zu wissen, was es heist oder bedeutet. Wit was grossem Vermessen nun der Herr Doctor Rusticorum, (wie wohl er bey viel vornehmen Herren auch in grossen Ansehen war) mir Hülffe versprach, so wolte seine Kunst doch an mir nicht Probe halten, sondern bestand mit Schanden, denn dieses wurde des andern Tages versucht, da hingegen das Bluten den dritten Tag noch anhielt. Wie ich aber diesen Bauer-Doctor fragte, was denn die Buchstaben oder Schrifft bedeute, so schwur er hoch und theuer / er wüste es nicht, hätte es aber mehr als 100.[39] mahl probat befunden, und wüste nicht, was die Ursach seyn müste, daß es ietzt bey mir nicht helffen wolte? Also siehet man, was das falsche Vertrauen vermag. Wenn ich nun ansehe den Lateinischen Vers, den ich itzt untersuche, so gehet zwar dessen eigentliche Bedeutung dahin, daß es ist eine gebietende Anrede an das fliessende Blut der Wunden oder Nasen in folgendem Verstande:


In deinen Adern bleib, du Blut,

Wie Christus in seiner Straf thut,

Blut, bleib bestehen steif und hart,

Wie Christus gecreutziget ward.


Allein, wo stehet denn geschrieben, daß man auf solche Art das Blut stillen solle? oder, wer kan mit gutem Gewissen sagen, daß er eine Blutstürtzung mit diesen Worten gestillet habe? Ists irgend einmahl gelungen, daß hierauf das Bluten nachgelassen hat, so ist doch lange nicht erwiesen, daß es hiervon geschehen sey. Denn ohne Zweifel sind vorher viel innerliche und äusserliche Mittel schon versucht worden, die nicht eher ihre Operation gethan haben, als zu der Zeit, da auch solche Pseudo-Medici sind darzu gekommen, welche hernach unverdienter Weise den Ruhm davon getragen haben, als wären sie die Helffer gewesen; denn man pflegt gemeiniglich nicht ehe solche Mittel zu gebrauchen / als biß alle andere Mittel scheinen vergeblich zu seyn, und da man der ordentlichen Mittel ihre Operation nicht erwarten will, wird aus Desperation zu verbothenen Mitteln gegriffen, ist aber weit gefehlet.[40] Denn obgleich der Verstand der Worte scheinet also beschaffen zu seyn, daß man sich dessen ohne Verletzung des Gewissens wohl bedienen könne; so ist es doch offenbar, daß hierdurch GOttes Güte und Langmuth, oder Christi Barmhertzigkeit gemißbraucht wird, wenn man hiermit dem Blute gebieten will, daß es also bestehen bleiben oder mit Lauffen einhalten solle, als wie Christus mit seiner Straffe nicht eilet; qvasi, ob hätte ein solcher liederlicher Lumpenhund, als wie solche Kerls insgemein sind, die dergleichen sich unterstehen, Freyheit und Macht, daß er könne gleichsam in göttlicher Krafft und in Christi Nahmen und Gewalt, dem Blute in denen Adern befehlen, daß es müsse stehen bleiben. Wenn es ferner heißt: Sangvis mane fixus, sicut Christus crucifixus, so ist ja allen Christen bekannt, daß das heilige Blut Christi bey dessen Creutzigung nicht geruhet hat, sondern es ist biß auf den letzten Tropffen für unsere Sünde aus seinem heiligen Leibe geflossen; Wenn nun demnach das Bluten der Nasen oder einer Wunden nach dem Wort-Verstande dieses lateinischen Verses auf solche Weise soll stehen, als wie das Blut Christi bey der Creutzigung, so muß ja der Patiente sich eben auch also, als wie Christus / zu todte verbluten. Wie schöne der Erfinder dieser Kunst also das rechte Fleckgen getroffen habe, kan ein vernünfftiger Christ leicht spüren, wenn er die Sache nur ein wenig Christlich und vernünfftig überlegen will. Uber dieses hat mich ein[41] glaubhaffter und erfahrner Chirurgus berichtet, daß er vor diesen die gefährlichsten Blutstürtzungen zwar auch mit dergleichen Gauckel-Possen gestillet habe, er müßte aber gestehen, daß es niemahls sey glücklich geschehen; denn obgleich das Bluten einmahl habe nachgelassen, so wäre es doch bey erster Aufbindung noch hefftiger gekommen, und wäre hernach weder mit diesem Versprechen, noch mit natürlichen Mitteln zu stillen gewesen / und hätte handgreiflich gespüret, daß GOtt einen grossen Mißfallen an solchem Vornehmen haben müsse, derowegen er sich dergleichen nimmermehr bedienen wolte. Ergò mercke es ein jeder, und bleibe bey denen von GOtt verordneten zuläßigen Mitteln. Der Ehr-lose Mönch, welcher ohne Zweifel diesen lateinischen Vers gemacht hat, mag damit Zweifels frey sein Absehen gehabt haben aus des Propheten Esaiä Worte: Die Straffe liegt auf ihm / auf daß wir Friede hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilet; Aber wo stehet denn in GOttes Wort geschrieben, daß üm der Wunden Christi willen wir niemahls eine Verwundung an unsern Leibern zu befürchten haben solten, oder das Bluten unserer Nasen und leiblichen Wunden durch das Blutfliessen der Wunden Christi auf eine solche ungewöhnliche Weise solle gestillet werden. Denn


Auf sich hat zwar genommen der HErr Christ unsre Strafe,

Und hat gelitten selbst der Hirte für die Schaafe,[42]

Doch so, daß er uns heile die Wunden an der Seele,

Nicht aber, daß am Leibe uns auch gar nichts nicht fehle.

Denn unsre Leibes-Mängel die wollen uns nur sagen,

Daß wir noch von der Sünde viel Sckwachheit an uns tragen.

Quelle:
Schmidt, Johann Georg: Die gestriegelte Rocken- Philosophie. 2 Bände, Chemnitz 1718 (Bd. 1), 1722 (Bd. 2), [Nachdruck Weinheim; Deerfield Beach, Florida 1987]., S. 37-43.
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