Das 79. Capitel.
Wer Graß hauet, der soll, so offt er aufhöret zu hauen / allemahl die Sense wieder wetzen / und nicht ungewetzt hinlegen / oder mit heim nehmen.

[152] Die Ursach dieser Nothwendigkeit soll folgende seyn: wer sich in eine solche ungewetzte Sense schneidet /dem heilet der davon entstandene Schaden nicht wieder. Die Materie des vorhergehenden Capitels ist aus der Mägde-Physica, diese aber aus der Bauren-Physica genommen / und nehme ich den abergläubischen Weibern und Mägden immer gern was von Mannes-Volcke mit unter / daß sie mit einander die Zeit desto besser vertreiben mögen / und wenn sich Toffel hat in die Sense geschnitten / Frau Micke denselben wieder könte verbinden. Dieser vermeynte Glaubens-Grund / wie nehmlich eine Wunde von einer ungewetzten Sense geschnitten / nicht wieder heilen werde / ist wieder die Erfahrung. Denn ob gleich bekannt ist / daß die Wunden / die mit einem stumpffen Gewehr / Messer / oder[152] jeglichen schneidenden Instrument geschnitten oder gehauen werden /übler heilen / als die Verletzungen von scharffen Gewehr / weil eine stumpffe Schneide mehr zerreisset und zugleich mit qvetschet / da hingegen eine scharffe leichter durchschneidet / daß hernach die nur zerschnittenen und nicht zerrissene Theilgen / die noch ohne weitere Zerstreuung gegen einander gerade über stehen / durch eine gute Verbindung mit heilsamen Mitteln leichter wieder zusammen heilen können: So ist es doch kein universal-Werck / und heilen gleichwohl die mit stumpffen Gewehr geschnittene Wunden auch wieder. Da hingegen ein scharffes Instrument desto tieffer eingehet / und offt gantze Glieder vom Leibe absondert / und also viel gefährliche Schäden verursachen kan / als ein stumpff Gewehr. Und demnach ein von einer gewetzten Sense geschnittener Schaden ja so schlimm gerathen kan / als von einer ungewetzten; auch dieser so leicht wieder heilen mag als jener. Daß demnach dieser Articul ein offenbarer Aberglaube bleibet; zu mahl / wenn man die Sache nur schlechter dinges hin glaubt / und ietzt angeführte rationes nicht in Betrachtung ziehet. Wie dann auch nicht ohne ist / daß viele Begebenheiten nur darum zu Aberglauben werden / weil man eine Sache ohne einige [153] condition und ration glaubt / die doch bey reiffer Uberlegung sich anders erweiset.

Ein Bauer / der Graß hauet / ist ein veritabler Feldscherer / denn wie ein so genannter Feldscherer (Barbirer) nicht Felder / sondern der Männer Bärthe beschiert / also schiert der Bauer mit der Sense wahrhafftig die Wiesen / Haber- und Gersten-Felder ab. Und wie ein Barbierer sein Scheermesser stets scharff halten muß / und so offt als ein harter Barth abgeschoren worden / solches wieder auf der Leder-Feile oder Streich-Riemen streichet / also machts der Bauer-Feldscheerer mit seinem grossen Scheermesser der Sense eben auch / und wetzet solche so offt wieder / als er sie gebraucht hat. Welches vielleicht in der Gräse-Mäder ihren Innungs-Articuln also befohlen ist / weil es nicht fein stehet / wenn einer an die Arbeit gehet / und hat kein fertiges Handwercks-Geräthe /wie es leider! manche faule Barbierer- und Bader-Gesellen machen / daß so sie einen ehrlichen Mann niedersitzen lassen / auch wohl diesem den Barth einseiffen / alsdenn erst hintreten / und eine viertel Stunde am Scheermesser streichen; oder wie es viele Mäurer machen / welche ihre Spitzen und Hämmer erst zum Schmiede tragen / und schärffen lassen / da sie doch schon damit arbeiten[154] solten. Also mag dieser ietzt gestriegelte Aberglaube auch urspringlich von der guten Ordnung abstammen / aber da mancher einfältiger Schöpß die Ursache nicht gewust / hat er einen Aberglauben ersonnen / als ob die Wunden / die von einer ungewetzten Sense gemacht würden / unheilbar wären. Es kan auch wohl diese Meynung daher kommen / wenn in vorigen Zeiten in Bauren-Kriege die Bauren mit vergiffteten Sensen wider ihre Feinde zu Felde gezogen sind / und die mit solchen Sensen gehauene Wunden nicht gerne wieder heil werden wollen. Es sey aber / so oder sonst / so ists doch zum Aberglauben worden.

Quelle:
Schmidt, Johann Georg: Die gestriegelte Rocken- Philosophie. Band 2, Chemnitz 1722 [Nachdruck Weinheim; Deerfield Beach, Florida 1987]., S. 152-155.
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