Das 92. Capitel.
Wenn man einer wichtigen Sache Ausgang erfahren will / muß man die Bibel ohngefehr aufschlagen / was man zu erst erblicket / daraus siehet man / was man sucht.

[180] Es ist kein Zweiffel / und die Erfahrung hat mirs kunt gethan / daß leider! auch gelehrte Personen diese Sünde begehen / und die liebe Bibel mißbrauchen /und solche / gleichwie die Heyden ihre Oracula, um allerhand unnützen Plunder Rathfragen / gleich als ob das heilige geschriebene Wort GOttes / um weltlicher Geschäffte halber / uns Menschen aufgezeichnet worden wär. Es sagt zwar Joh. 5. v. 39. unser Heyland zu denen Jüden: suchet in der Schrifft etc. dieses solte aber nicht ein solch abergläubisches und zweiffelhafftiges Suchen seyn / wie hier unsere Rubric dieses Capitels haben will / sondern man soll darinnen suchen den Weg zur Seligkeit / und daraus erkennen lernen /wie accurat dieselbe von Meßia oder unserm Erlöser JEsu Christo zeiget. Nicht aber soll man weltlicher Geschäffte Ausgang darinnen so plumpsweise suchen / als ob man auf ein gut Gerathe wohl in einen Glücks-Topff greifft. Nein / das ist ein böser Mißbrauch der H. Bibel. Es ist dem Teufel gar ein leichtes / daß er einem solchen fürwitzigen Pursch / durch Verhängniß GOttes / in Aufschlagung der Bibel / die Blätter also theile / daß der unnütze Sucher einen solchen Locum erblicken kan / der den Menschen mehr[181] betrügt als wahrsaget. Denn des Suchers Absehen ist nicht auf den Willen GOttes gegründet / sondern es eilet der Mensch damit nach dem verbotenen Baume zu / allwo ihm der Satan seine Augen zum Verderben aufthut. Die H. Bibel ist ein Compendium, in welchen uns der Wille GOttes / wie auch das Werck unserer Erlösung / und der Weg zu unserer Seligkeit gezeiget wird. Und können wir freylich alles darinnen zu unserer Nachricht finden / was wir nach dem Willen GOttes thun oder lassen sollen. Wir müssen aber auch wissen / daß diese H. Schrifft von GOtt und dessen Geist in eine sehr gute Ordnung / Connexion und Harmonie, durch Mosen / die Propheten / Evangelisten und Apostel gebracht ist / daß ein Mensch nicht damit umzugehen hat / als ob es confus unter einander geworffene Steine oder Zettel eines Glücks-Topffs wären / sondern wir sollen fleissig darinnen studiren /und uns nach allem fleißig reguliren. Wenn wir dieses thun werden / so haben wir nicht nöthig / nur ohngefehr einen Spruch daraus zu suchen / und uns darnach zu richten; sondern es wird uns der daraus schon erlernte Wille GOttes allzeit zu erkennen geben / was wir thun oder lassen sollen.[182] Widrigenfalls möchte es ausschlagen / als wie bey einem gewissen Edelmann /welcher eine alte mit Dornen und Kratzbeeren bewachsene Leide hatte / die er gern zu nutzbaren Feld hätte gemacht / weil er aber den losen Gebrauch hatte / zu allen seinem Vorhaben die Bibel aufzusuchen /und daraus den Ausgang seiner Sache vorher zu vernehmen / so geschahe es zu diesem mahle / daß er im Aufschlagen eben auf die Worte: Jer. 10 v. 19. Ich dencke aber / es ist meine Plage / ich muß sie leiden; sahe / und rottete also das unnütze Gestrüpe nicht aus / biß auf den heutigen Tag. Solche Narren giebts in der Welt.

Quelle:
Schmidt, Johann Georg: Die gestriegelte Rocken- Philosophie. Band 2, Chemnitz 1722 [Nachdruck Weinheim; Deerfield Beach, Florida 1987]., S. 180-183.
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