Fünfter Akt


[311] Zimmer in der Villa, das an die aus dem ersten Akt bekannte Veranda stößt. Licht und freundlich. Eine große Glastüre, die auf die Veranda führt, steht offen. Rechts und links von der Glastür Schränke. In der Mitte ein großer Tisch, Decke darauf, Zeitschriften, Bücher. – Sessel. An der linken Wand ein Kamin, davor ein kleines Tischchen, Stühle usw. Bilder an den Wänden, rechts eine zweite Türe. Standuhr links vorn. Etagère rechts vom Kamin mit Büchern.


GENIA kommt von rechts im Morgenkleid. Sehr blaß und erregt. Zur Verandatür, tritt auf die Veranda hinaus, wieder zurück, setzt sich an den großen Tisch, nimmt eine der dort liegenden Zeitschriften, starrt hinein, dann wieder vor sich hin.

ERNA ohne Hut, im Sommerkleid, sehr rasch von der Veranda herein.

GENIA auf, rasch gefaßt. Erna? ... Was gibt's?

ERNA. Sie sind noch nicht zurück? Ist noch keine Nachricht da?

GENIA. Wie sollte denn eine Nachricht da sein? Kommen Sie doch zu sich, Erna. Vor heute nachmittag – kann's ja gar nicht sein. Wahrscheinlich erst morgen früh. In dieser Stunde finden wohl die Vorbesprechungen statt.

ERNA sieht sie an. Ja, natürlich. Verzeihn Sie, daß ich weiterfrage. Ich weiß, daß ich kein Recht habe, aber die seltsamen Umstände ...[311]

GENIA. Sie haben so gut ein Recht, um jemanden zu zittern, wie ich es hätte.

ERNA. Ich zittre nicht, Frau Genia. Das ist nicht meine Art. Ich wollte nur fragen, ob Sie Ihren Herrn Gemahl heute schon gesehn haben?

GENIA. Mein »Herr Gemahl« ist schon gestern abend in die Stadt gefahren. Allerlei bei seinem Advokaten zu ordnen jedenfalls. Das ist ja nun einmal üblich, auch wenn es ganz überflüssig ist. Er wird Verfügungen treffen. Vielleicht sogar irgendwelche Briefe und Papiere verbrennen. Kurz sich geradeso benehmen, als wenn es eine ungeheuer ernste Sache wäre, obwohl es nichts ist als eine lächerliche Eitelkeits- und Ehrenkomödie, wie wir ja alle wissen.

ERNA. Ich bin davon nicht überzeugt, Frau Genia.

GENIA. Ich bin es. Kommen Sie, Erna, wir wollen in den Garten gehn, der Tag ist so schön. Wir wollen plaudern. Sie haben mir ja noch gar nichts von Ihrer Reise erzählt. Sie haben interessante Dinge erlebt ... am Völser Weiher ...

ERNA. Ist es möglich, daß Sie in dieser Stunde spotten können, Genia?

GENIA. Ich spotte nicht. Ah, ich bin fern davon ... Sie lieben ihn wohl sehr ... meinen »Herrn Gemahl«, nicht wahr –?! Nun ja, es ist kein Wunder. Der erste – das ist doch immerhin ein Erlebnis. Oder bedeutet das auch nichts mehr? Sie müssen mir darüber Aufschluß geben, Erna. Ja! – Ich finde mich nämlich nicht mehr zurecht. Das Leben ist um so viel leichter geworden in der letzten Zeit. Als ich so jung war wie Sie, nahm man gewisse Dinge noch furchtbar ernst. Es sind nicht viel mehr als zehn Jahre seither vergangen, aber mir scheint, die Welt hat sich seitdem sehr verändert.

STUBENMÄDCHEN mit einem Telegramm von rechts. Geht gleich wieder.

GENIA öffnet es rasch. Von meiner Schwester Mary. Sie kommt heute mittag mit Percy an. Hier. Sie gibt Erna das Telegramm. Es wird ein lustiges Wiedersehen werden. Aber wollen wir nicht doch in den Garten, Erna? Oder machen wir eine kleine Spazierfahrt. Ja? Der Tag ist so schön. Die Luft wird Ihnen wohltun. Sie sind blaß ... Sie haben vielleicht nicht sehr gut geschlafen.

ERNA. Nein. Ich habe gewacht. Und um fünf Uhr früh hab' ich meinen Bruder fortgehn sehn. In jedem Augenblick können wir erfahren, wie es ausgegangen ist. Denn während wir hier reden, ist alles längst vorüber.[312]

GENIA. Erna – ich sagte Ihnen doch, Friedrich ist in die Stadt gefahren, zu seinem Advokaten ... wahrscheinlich.

ERNA. Er ist nicht zum Advokaten gefahren. Ich weiß es. Ich habe meinen Bruder gesprochen heut früh, als er fortging. Gestern abend noch ist alles abgemacht worden. Heut morgen um acht hat das Duell stattgefunden. Ich nehme an – nicht gar weit von hier. Im Heiligenkreuzerwald wahrscheinlich. Und jetzt ist alles ... vorbei.

GENIA. Nun, so ist es eben vorbei ... Jetzt ist nichts mehr zu ändern, nicht wahr? Im Heiligenkreuzerwald, glauben Sie? – So sitzen sie jetzt alle zusammen im Stiftsgarten, unter dem schattigen Laub und feiern die Versöhnung ... Das Frühstück war schon vorher bestellt von den Herren Sekundanten. Und versöhnt ist man ja schnell, wenn man einander nie wirklich böse war. Was denken Sie, Erna, trinken sie auf unser Wohl? Warum nicht. Das Leben ist ja so lustig. Vielleicht erscheinen sie zusammen hier, Arm in Arm. Ja ... Wir sollten ihnen entgegengehn.

ERNA. Ich will nach Hause ... Vielleicht ist mein Bruder schon zurück ....

GENIA. Gut – gehn Sie nach Hause, Erna ... Ich warte hier ...

ERNA scheint nach draußen zu lauschen.

GENIA. Was haben Sie? – Ja, es sind Schritte.

ERNA zur Verandatür. Es ist Frau Meinhold.

GENIA zuckt zusammen. Wie ...?

ERNA. Sie kommt ganz ruhig heran. Sie weiß nichts.

GENIA. Was will sie so früh ...

ERNA. Sie weiß sicher nichts. Sie geht langsam. Ihre Züge scheinen mir ganz unbewegt. Wenn sie nur die leiseste Ahnung hätte, sähe sie anders aus. Woher sollte sie auch. Fassen Sie sich, Frau Genia!

FRAU MEINHOLD kommt. Guten Morgen.

ERNA. Guten Morgen, gnädige Frau.

GENIA. Sie sind es, Frau Meinhold? Ah ... Sie steht auf.

ERNA. Auf Wiedersehen!

FRAU MEINHOLD. Sie gehn schon? Hoffentlich bin ich es nicht, die Sie davontreibt?

ERNA. Durchaus nicht, gnädige Frau. Ich hatte mich gerade empfohlen. Adieu, Frau Genia. Ab.


[313] Genia, Frau Meinhold.


GENIA mit ungeheurer Selbstbeherrschung. Ich freue mich sehr. Sie wiederzusehn, Frau Meinhold. Es hat mir sehr leid getan, daß Sie gestern gefehlt haben.

FRAU MEINHOLD. Sie hatten ja größere Gesellschaft, da tu' ich nicht gern mit. Heute bin ich um so früher da, wie Sie sehn, Frau Genia.

GENIA. Es ist gar nicht so früh. Auf die Standuhr sehend. Richtig, erst zehn Uhr! Ich dachte, es müßte bald Mittag sein. Friedrich ist schon längst in die Stadt gefahren. Sie wissen ja, Frau Meinhold, er ist gestern angekommen.

FRAU MEINHOLD. Natürlich weiß ich das. Lächelnd. Otto hat mir ja abends seine Grüße überbracht.

GENIA. So. – Ihr Herr Sohn verläßt Sie schon heute ...?

FRAU MEINHOLD. Mein Herr Sohn ist sogar schon fort. Noch gestern mit dem letzten Zug ist er hineingefahren. Und heute abend fährt er nach Pola.

GENIA. Heute abend schon? Ah!

FRAU MEINHOLD. Sollten Sie das wirklich erst von mir erfahren?

GENIA. O, das wußt' ich wohl. Ich dachte mir aber, den heutigen Tag wollte er ganz seiner Mutter widmen.

FRAU MEINHOLD. Er hat heute in der Stadt noch eine Menge zu tun, so haben wir uns schon gestern abend adieu gesagt ... Es ist besser so.

GENIA. Gewiß ist das besser.

FRAU MEINHOLD. Können Sie sich denken, Frau Genia, wie mir das heute morgen war, als ich nun wieder so ganz allein in meiner Laube beim Frühstück saß. Nun ist mein kleines Haus mit einem Mal so leer ... wie ich's lange nicht gewohnt war. Ich bin nun eine Zeitlang doch recht verwöhnt gewesen – trotz allem. Und der Gedanke, daß er diesmal auf so lange fort ist und so weit, das macht das Haus noch leerer und trauriger. Drum bin ich lieber fortgegangen ...

GENIA. Ich versteh's.

FRAU MEINHOLD. Nicht mit der Absicht, Sie so früh zu stören, Frau Genia, das muß ich Ihnen gestehn. Durchaus nicht. Ich wollte einen Spaziergang machen ... einen einsamen Waldspaziergang. Und nun bin ich doch da. Weiß Gott, wie das kommt. Es muß mich wohl irgend was hergetrieben haben. Sieht sie lange an.[314]

GENIA erwidert ihren Blick. Ich danke Ihnen.

FRAU MEINHOLD. Danken Sie mir nicht. Ich hatte nur die Wahl, Ihnen sehr böse – oder sehr gut zu sein. Und als ich meine Wohnung verließ, war es noch lange nicht entschieden. Denn in diesen letzten Tagen, jetzt, da er fort ist, darf ich's Ihnen wohl sagen, Genia – ist mir manchmal recht bang gewesen ...

GENIA. Bang –?

FRAU MEINHOLD. Ich kenne ja meinen Sohn ... Und ich hab's ihm angesehn, wieviel er gelitten hat in dieser letzten Zeit. Er ist so gar nicht geschaffen ... in unwahren Beziehungen zu leben ... Ich hatte ... Angst um ihn ... Sie haben ihm so viel bedeutet, Genia! Mehr als sein Beruf, als seine Zukunft, als ich, als sein Leben. O Gott, was hab' ich alles gefürchtet. Und habe geschwiegen. Mußte schweigen. Und sogar begreifen mußt' ich's. Ich hab' es ja kommen gesehn, vom ersten Tag an, da Otto Ihr Haus betrat. In all meinem Groll, meiner Angst, meiner Eifersucht, mußte ich es doch begreifen. Sie waren ja so allein, Genia, und so schwer gekränkt ... durch lange Jahre! Auch wenn am Ende ein Schlechterer gekommen wäre als Otto – ich hätte es Ihnen nicht übelnehmen können. Und nun – da er fort ist, ist all mein Groll und meine Eifersucht dahin und ich frage mich nur: Wie wird sie es tragen? Sie – die ihn doch geliebt hat!

GENIA. Frau Meinhold, ich bin wahrhaftig so viel Teilnahme gar nicht wert. – Ich werde versuchen, ihn zu vergessen. Und es wird mir gelingen. Das ist gewiß, – so gewiß, als es ihm gelingen wird. Ich habe den festen Willen, ihn zu vergessen. Wie sehn Sie mich denn an, Frau Meinhold? Glauben Sie mir denn nicht? Sie müssen keine Angst haben. Es ist nichts verabredet zwischen uns. Ich schwör' es Ihnen ... Wir werden uns nicht einmal schreiben. Das steht fest.

FRAU MEINHOLD. Sie sind sehr gut, Genia.

GENIA. Ich bin nur – klug, Frau Meinhold. Nur klug ... Plötzlich bricht sie in ein heftiges Schluchzen aus. Sinkt mit dem Kopf auf den Tisch.

FRAU MEINHOLD. Genia, Genia. Sie streicht ihr über die Haare. Weinen Sie nicht. Genia! Es ist freilich ein geringer Trost, – aber wir werden es gemeinsam tragen, daß er fort ist ... Sie sehen ja doch, daß meine Wahl getroffen ist, und daß ich mich entschlossen habe, Sie ... nicht zu hassen. Kind, Kind, – beruhigen Sie sich doch. Wir wollen Freundinnen sein, Genia.[315] Es geht ja wohl nicht anders. Genia ... Genia!

GENIA. Frau Meinhold ... Sie faßt ihre Hand, als wollte sie sie küssen.

FRAU MEINHOLD. Finden Sie wirklich keinen andern Namen für mich? Ich bin seine Mutter.

GENIA schüttelt wild den Kopf. Nein, nein, nein, ich kann nicht mehr ...

FRAU MEINHOLD sieht sie lange an. Ich will Sie nun doch lieber allein lassen ... Leben Sie wohl. Aber wenn Sie des Alleinseins müde sind, – so kommen Sie zu mir. Sie finden mich immer bereit Sie zu empfangen. Adieu, Genia. –

FRIEDRICH von der Terrasse aus herein. Dunkler Paletot über dem schwarzen Gehrock. Schließt rasch den Paletot, spannt seine Züge.

GENIA starrt ihn wie fragend an.

FRIEDRICH lächelt starr ohne zu nicken. Zu Frau Meinhold in seiner lachend boshaften Art, die nun wie eine Maske wirkt. Küss' die Hand, gnädige Frau. Er nimmt ihre dargebotene Hand mit einem kaum bemerklichen Zögern. Wie geht's?

FRAU MEINHOLD. Danke. Schon so früh aus der Stadt zurück?

FRIEDRICH. Aus der Stadt? Nein. Ich fahre jetzt erst hinein. Ich hab' nur meinen Morgenspaziergang gemacht. Ein ... herrlicher Tag ...

FRAU MEINHOLD. Sie haben eine schöne Reise gehabt.

FRIEDRICH. Ja, sehr schön. Sehr schön. Ich bin höchst befriedigt. Gutes Wetter, interessante Menschen, was will man mehr.

FRAU MEINHOLD. Ja richtig, ich habe Ihnen einen Gruß zu bestellen.

FRIEDRICH. Einen Gruß? Mir?

FRAU MEINHOLD. Sie werden sich ein wenig wundern. Einen Gruß von Herrn von Aigner.

GENIA. Von Ihrem Gatten?

FRAU MEINHOLD. Ja, heute früh. Eh' ich von Hause fort ging, ist nämlich ein Brief von ihm gekommen, nach vielen, sehr vielen Jahren der erste. Und in wenig Tagen kommt er selbst. Eine Konferenz mit dem Minister, wie er schreibt.

FRIEDRICH. Ja, natürlich, wegen der neuen Bahn. Wird großartig werden, die neue Bahn. Übrigens wird er auch noch einmal Minister werden, Ihr Herr Gemahl. Überhaupt ein merkwürdiger Mensch, ein höchst merkwürdiger Mensch. Er hat noch eine große Zukunft.

FRAU MEINHOLD. Glauben Sie das wirklich?

FRIEDRICH. Warum denn nicht?[316]

FRAU MEINHOLD. Er spricht nämlich in dem Brief auch von seiner schwachen Gesundheit ...

FRIEDRICH. Schwache Gesundheit! ... Auf Felsen klettern kann er allerdings nicht mehr, aber Minister werden, das strengt ja weniger an. Und der Absturz ist weniger gefährlich. Er ist übrigens gar nicht krank. Er ist das Leben selbst. Der überlebt uns alle. Pardon, ich kann natürlich nur von mir sprechen, wir können ja alle immer nur von uns sprechen ... Lacht. Ein sehr interessanter Mensch ... wir haben viel miteinander geredt ... in den paar Tagen ... Ich hab' ihn gern.

FRAU MEINHOLD. Er scheint Sie auch sehr ins Herz geschlossen zu haben. Ja, es ist ein sonderbarer Brief. Rührend beinah. Und ein bißchen affektiert. Das wird er sich wohl nicht mehr abgewöhnen.

FRIEDRICH. Nein, das kaum mehr ...

FRAU MEINHOLD. Also auf Wiedersehn.

FRIEDRICH. Auf Wiedersehn, gnädige Frau. Und wenn Ihr Herr Gemahl hierher kommt, unser Haus ist natürlich ... Les amis de nos amis ... und so weiter ... Adieu, gnädige Frau.

GENIA begleitet sie ein paar Schritte.

FRAU MEINHOLD. Bleiben Sie doch, bleiben Sie doch, liebe Frau Genia. Auf Wiedersehn. Ab.

GENIA rasch zurück.


Genia, Friedrich.


FRIEDRICH stand regungslos.

GENIA. Nun? ... Alles ... gut –?

FRIEDRICH sieht sie an. Na ...! –

GENIA. Er ist verwundet?! Friedrich! ...

FRIEDRICH. Tot ist er!

GENIA. Friedrich, treib es nicht zu weit! Hier hört der Hohn auf.

FRIEDRICH. Er ist tot. Ich kann's nicht anders sagen.

GENIA. Friedrich, Friedrich ... Auf ihn zu, packt ihn bei den Schultern. Du hast ihn umgebracht, Friedrich ... Und – seiner Mutter die Hand gedrückt.

FRIEDRICH zuckt die Achseln. Ich habe nicht gewußt, daß sie da ... bei dir ist. Was hätt ich tun sollen?

GENIA. Tot ... tot! ... Plötzlich auf ihn zu. Mörder!

FRIEDRICH. Es war ein ehrlicher Kampf, ich bin kein Mörder.

GENIA. Warum, warum ...[317]

FRIEDRICH. Warum –? Offenbar ... hat's mir so beliebt.

GENIA. Es ist ja nicht wahr! Mach' dich nicht fürchterlicher als du bist. Du hast nicht wollen. Ein entsetzlicher Zufall war's! ... Du hast nicht wollen ... es ist nicht wahr ...

FRIEDRICH. In dem Augenblick, da er mir gegenübergestanden ist, da ist es wahr gewesen.

GENIA. Grauenhafter Mensch! Und hast seiner Mutter die Hand gedrückt. Hast ihn nicht einmal gehaßt und ihn doch umgebracht. Bösewicht, eitler, grauenhafter Bösewicht.

FRIEDRICH. So einfach ist das nicht. Hineinschaun in mich kannst du doch nicht. Kann keiner. Die arme Frau Meinhold tut mir leid. Auch mein guter, alter Herr von Aigner. Aber ich kann ihnen nicht helfen. Nein. Auch dir nicht. Und ihm nicht. Und mir. Es hat sein müssen.

GENIA. Müssen? –

FRIEDRICH. Wie er mir gegenübergestanden ist mit seinem frechen, jungen Blick, da hab' ich's gewußt ... er oder ich.

GENIA. Du lügst, er hätte dich nicht ... er nicht ...

FRIEDRICH. Du irrst dich. Es war auf Leben und Tod. Er wollte es so gut wie ich. Ich hab's in seinem Aug' gesehn, wie er in meinem. Er ... oder ich ...

ERNA UND MAUER aus dem Garten.

ERNA bleibt an der Tür stehen.

MAUER rasch zu Genia, drückt ihr die Hand.

FRIEDRICH. Ah, Mauer, du, schon da?

MAUER. Ich habe nichts weiter zu tun gehabt.

GENIA. Wo ist seine Leiche?

MAUER. Auf dem Weg.

GENIA. Wohin?

MAUER. In das Haus seiner Mutter.

GENIA. Weiß sie ... wer wird ihr ...?

MAUER. Es hat's noch keiner gewagt.

GENIA. Ich will es ihr sagen. Es ist meine Pflicht. Ich geh' zu ihr.

FRIEDRICH. Genia ... Einen Augenblick. Wenn du zurückkommst, bin ich kaum mehr da. Ich kann nicht von dir verlangen, daß du mir die Hand reichst, aber – wir sagen uns halt adieu.

GENIA sich erinnernd. Percy kommt. Noch in dieser Stunde.

FRIEDRICH. Percy? Den erwart' ich noch ... Dann ... die übrigen ... na ...

GENIA. Was hast du vor?[318]

FRIEDRICH. In die Stadt hinein. Das beste wird wohl sein, ich stell' mich selbst. Geschehn wird mir ja nichts. Ich hab' ja nur meine Ehre gerettet. Vielleicht daß sie mich gegen Kaution ... allerdings Fluchtverdacht ist vorhanden.

GENIA. Daran denkst du! Und der andere liegt erschossen –!

FRIEDRICH. Ja, der hat's freilich leichter als ich. Für den ist alles erledigt. Aber ich – ich bin auf der Welt. Und ich gedenke weiter zu leben ... Man muß sich entscheiden. Entweder – oder.

GENIA starrt ihn an. Aus ... Will gehen.

MAUER. Frau Genia ... Sie dürfen diesen Weg nicht allein gehn. Erlauben Sie mir, Sie zu begleiten.

GENIA nickt. Ich danke Ihnen. Kommen Sie.


Mauer und Genia ab.

Erna, Friedrich.


FRIEDRICH steht noch starr wie früher.

ERNA an der Türe, bewegungslos. Was wirst du tun?

FRIEDRICH. Wie immer es ausfällt, Verurteilung oder Freisprechung, selbstverständlich fort aus der Gegend ... aus dem Weltteil.

ERNA. Und – wo immer du hingehn willst, Friedrich, – ich folge dir.

FRIEDRICH. Danke. Wird nicht angenommen.

ERNA. Ich fühl' es stärker als je, Friedrich, wir gehören zusammen.

FRIEDRICH. Irrtum. Du stehst jetzt unter dem Eindruck dieser Sache. Wahrscheinlich imponiert's dir sogar, daß ich ... aber das ist Täuschung. Alles ist Täuschung. Nächstens schnapp' ich doch zusammen. Aus Erna, auch zwischen uns. Du bist zwanzig, du gehörst nicht zu mir.

ERNA immer auf demselben Platz. Du bist jünger als alle.

FRIEDRICH. Still! Ich weiß, was Jugend ist. Es ist noch keine Stunde her, da hab' ich sie glänzen gesehn und lachen in einem frechen, kalten Aug'. Ich weiß, was Jugend ist. – Und man kann doch nicht jeden ... Bleib, wo du bist, amüsier' dich gut und ...

ERNA lauscht. Ein Wagen.

FRIEDRICH bleibt starr. Percy.

ERNA jetzt etwas näher zu ihm. Glaube mir, Friedrich, ich liebe dich, ich gehöre dir.[319]

FRIEDRICH. Ich niemandem auf der Welt. Niemandem. Will auch nicht ...

KINDERSTIMME IM GARTEN. Mutter! Vater!

FRIEDRICH. Percy. Er wimmert einmal leise auf. Ja, Percy, ich komm' schon. Da bin ich. Rasch hinaus auf die Veranda.

ERNA bleibt stehen.


Vorhang.


Quelle:
Arthur Schnitzler: Die Dramatischen Werke. Band 2, Frankfurt a.M. 1962, S. 311-320.
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