Zweite Szene

[783] Julian, Sala und Diener. Dann Irene Herms.


DIENER. Fräulein Herms fragt, ob der gnädige Herr zu sprechen sei.

JULIAN. Gewiß. Ich lasse bitten.

DIENER ab.

IRENE HERMS tritt ein. Sie ist etwa 43 Jahre alt, sieht aber jünger aus. Sie ist einfach und geschmackvoll gekleidet. Ihre Bewegungen sind lebendig, zuweilen von einer beinahe jugendlichen Hastigkeit. Ihr Haar ist dunkelblond und reich, die Augen heiter, manchmal gütig und leicht zu Tränen geneigt. Sie tritt lächelnd ein, nickt Sala freundlich zu und reicht Julian, der ihr entgegenging, mit einem beinahe glücklichen Gesichtsausdruck die Hand. Guten Abend. Na? Sie hat die Gewohnheit, dieses »Na« im fragend herzlichen Ton auszusprechen. Hab' ich also doch recht getan, mich noch ein paar Tage zu gedulden! Da hab' ich ihn ja wieder. Zu Sala. Wissen Sie, wie lang wir uns nicht gesehen haben?

JULIAN. Über drei Jahre.[783]

IRENE nickt nur. Jetzt erst läßt sie ihre Hand aus der seinen. Das ist in unserm ganzen Leben noch nicht vorgekommen. Dein letzter Brief ist auch schon zwei Monate alt. Ich sage »Brief«, um mich nicht zu blamieren: es war aber nur eine Ansichtskarte. Wo bist du nur überall herumgeflogen?

JULIAN. Setz' dich doch. Das wirst du alles erfahren. Willst du nicht den Hut ablegen? Du bleibst doch ein bißchen?

IRENE. Selbstverständlich. – Nein, wie du aussiehst! Zu Sala. Schön – nicht wahr? Ich hab's immer gewußt: Der graue Bart wird ihm sehr interessant stehen.

SALA. Jetzt werden Sie lauter angenehme Dinge zu hören bekommen. Ich muß mich nun leider entfernen.

IRENE. Hoffentlich vertreib' ich Sie nicht?

SALA. Was fällt Ihnen ein, Fräulein Herms!

IRENE. Sie gehen wohl zu Wegrats? – Was sagst du zu dem Unglück, Julian? Es ist furchtbar! Zu Sala. Bitte, grüßen Sie dort.

SALA. Ich gehe jetzt nicht hin, ich gehe nach Hause.

IRENE. Nach Hause? Das sagen Sie so einfach? Sie sollen ja jetzt ein Schloß bewohnen.

SALA. Nein, nichts weniger. Es ist ein bescheidenes Landhaus. Es wäre mir ein besonderes Vergnügen, Fräulein Herms, wenn Sie sich einmal persönlich davon überzeugen wollten. Mein Garten ist wirklich schön.

IRENE. Haben Sie auch Obstbäume und Gemüsepflanzen?

SALA. In dieser Hinsicht kann ich nur mit einem verirrten Kohlkopf und mit einem wilden Birnbaum dienen.

IRENE. Nun, wenn es meine Zeit noch erlaubt, so komm' ich wirklich einmal und schau' mir Ihre Villa an.

JULIAN. Willst du so bald wieder fort?

IRENE. Ja natürlich. Ich muß wieder nach Hause. Erst heut früh hab' ich einen Brief von meinem kleinen Neffen – er sehnt sich nach mir. Ein Fratz von fünf Jahren und sehnt sich auch schon. Was sagen Sie dazu?

SALA. Sie sehnen sich wohl auch schon zurück?

IRENE. Es ist nicht das. Aber ich fang' an, mich zu sehr an Wien zu gewöhnen. Wenn ich hier in den Straßen umherspaziere, da gibt es Erinnerungen auf Schritt und Tritt. – Denk' dir, wo ich gestern war, Julian. In der Wohnung, wo ich als Kind gelebt habe. Das war gar nicht so einfach, es wohnen jetzt fremde Leute drin. Ich bin aber doch in den Zimmern gewesen.[784]

SALA liebenswürdig ironisch. Wie haben Sie denn das angestellt, Fräulein Herms?

IRENE. Ich hab' mich unter einem Vorwand eingeschlichen. Ich hab' getan, als meint' ich, es wäre da ein Kabinett zu vermieten – für eine alleinstehende ältere Dame. Aber schließlich hab' ich so zu weinen angefangen, daß mich die Leute wahrscheinlich für närrisch gehalten haben. Und da hab' ich ihnen gesagt, warum ich eigentlich heraufgekommen bin. Ein Postbeamter wohnt jetzt drin, mit seiner Frau und zwei Kindern. Das eine war ein so lieber Kerl; es hat mit einer Eisenbahn gespielt, mit einer Lokomotive zum Aufziehen, und die ist mir immer über den Fuß gerannt ... Aber das wird Sie wahrscheinlich nicht sehr interessieren, Herr von Sala.

SALA. Daß Sie sich gerade unterbrechen, Fräulein Herms, wenn es am spannendsten wird! Ich hätte so gern noch weiter zugehört. Aber nun muß ich leider wirklich gehen. Grüß' Sie Gott, Julian. – Also, Fräulein Herms, ich rechne auf die Ehre Ihres Besuches. Geht ab.


Quelle:
Arthur Schnitzler: Die Dramatischen Werke. Band 1, Frankfurt a.M. 1962, S. 783-785.
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