Dritte Szene

[800] Johanna, Felix, Sala. Doktor Reumann ist aufgetreten.


DOKTOR REUMANN. Für die, die dort liegen geblieben sind, wird sie groß genug gewesen sein, Ihre kleine Schlacht. Flüchtige Begrüßung, Händereichen, ohne daß das Gespräch unterbrochen wird.

SALA. Da mögen Sie wohl recht haben, Herr Doktor.

FELIX. Erlauben Sie, Herr von Sala, haben Sie nur im eigenen Namen gesprochen? Ist es ein plötzlicher Einfall – oder ist es mehr?

SALA. Ich spreche zwar nicht direkt im Auftrag von irgend jemand, aber nach einer Besprechung, die gestern im Ministerium des Äußern stattgefunden hat und der ich beigezogen war, halte ich mich für berechtigt, noch einiges hinzuzufügen. – O, es sind keine Geheimnisse. Sie haben ja wahrscheinlich gelesen, Felix, daß uns ein Herr vom Generalstab, einige Genie- und Artillerieoffiziere sozusagen in offiziöser Eigenschaft beigegeben werden. Nach den letzten Nachrichten aus Asien, die mir allerdings nicht ganz zuverlässig erscheinen, da sie über England zu uns gelangt sind, hat man sich entschlossen, sich der weitern Mitwirkung von einigen jüngern Truppenoffizieren zu versichern, was vorerst auf dem Weg privater Aufforderung geschehen soll.

FELIX. Und es bestünde eine Möglichkeit, daß ich –?

SALA. Gestatten Sie mir, mit dem Grafen Ronsky zu reden?

FELIX. Sie nannten dem Grafen meinen Namen?[800]

SALA. Ich habe die Erlaubnis, die Frage an Sie zu richten, ob Sie bereit wären, sich am sechsundzwanzigsten November mit uns in Genua einzuschiffen.

DOKTOR REUMANN. So bald schon gedenken Sie Wien zu verlassen?

SALA. Ja. Leicht. Warum sehen Sie mich so an, Herr Doktor? Dieser Blick ist ein wenig unvorsichtig gewesen.

DOKTOR REUMANN. Inwiefern?

SALA. Er sagt ungefähr: Abreisen magst du; aber ob du zurückkommen wirst, das ist eine recht zweifelhafte Sache.

DOKTOR REUMANN. Nun hören Sie, Herr von Sala, einer solchen Unternehmung gegenüber dürfte man auch einen solchen Zweifel laut werden lassen. Aber interessiert Sie denn das überhaupt, Herr von Sala, ob Sie wiederkommen werden oder nicht? Sie gehören doch nicht zu der Sorte Menschen, die ihre Angelegenheiten ordnen wollen?

SALA. Ach nein. Umsoweniger, als es in solchen Fällen doch immer die Angelegenheiten anderer sind, mit denen man sich überflüssigerweise beschäftigt. Und wenn es mich interessieren würde, wie es mit mir steht, so hätt' ich einen triftigeren Grund.

JOHANNA. Welchen?

SALA. Ich wünsche nicht um das Bewußtsein meiner letzten Tage betrogen zu werden.

DOKTOR REUMANN. Das ist ein Wunsch, mit dem Sie ziemlich vereinzelt dastehen dürften.

SALA. Jedenfalls wären Sie verpflichtet, Doktor, mir die absolute Wahrheit zu sagen, wenn ich Sie darum fragen sollte. Ich finde, man hat das Recht, sein Dasein vollkommen auszuleben, mit allen Wonnen und mit allen Schaudern, die darin verborgen liegen. So wie wir wahrscheinlich die Pflicht haben, jede gute Tat und jede Schurkerei zu begehen, die innerhalb unserer Fähigkeiten liegt ... Nein, Sie sollen mir meine Todesstunde nicht wegeskamotieren! Es wäre ein kleinlicher Standpunkt, meiner und Ihrer nicht würdig. – Nun Felix, am sechsundzwanzigsten November. Es sind sieben Wochen bis dahin! Was die Erledigung der Formalitäten anbelangt, brauchen Sie sich keinerlei Sorgen zu machen.

FELIX. Innerhalb welcher Frist muß ich mich entscheiden?

SALA. Es ist kein Anlaß, sich zu übereilen. Wann läuft Ihr Urlaub ab?[801]

FELIX. Morgen abend.

SALA. Sie werden sich wohl mit Ihrem Vater besprechen wollen.

FELIX. Mit meinem Vater – natürlich. – Aber jedenfalls bringe ich Ihnen morgen früh die Antwort, Herr von Sala.

SALA. Schön. Ich würde mich sehr freuen. Aber immerhin bedenken Sie: Ein Spaziergang ist es nicht. Also auf Wiedersehen. Adieu, Fräulein Johanna. Leben Sie wohl, Herr Doktor. Er geht ab.


Kurze Pause. Die Zurückbleibenden in einiger Bewegung.


JOHANNA erhebt sich. Ich gehe auf mein Zimmer. Adieu, Herr Doktor. Ab.


Quelle:
Arthur Schnitzler: Die Dramatischen Werke. Band 1, Frankfurt a.M. 1962, S. 800-802.
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