Sechste Szene

[832] Felix, Julian und Sala.


FELIX. Herr von Sala! Sie haben mir etwas zu sagen?

SALA. Ja. – Guten Morgen, Julian ... Bleiben Sie, Julian. Es ist mir willkommen, daß ich einen Zeugen habe. Zu Felix. Sie sind entschlossen, die Expedition mitzumachen?

FELIX. Das bin ich.

SALA. Ich auch. Aber es wäre möglich, daß einer von uns von dem Entschlüsse abstehen wird.

FELIX. Herr von Sala ...?

SALA. Es wäre nicht in der Ordnung, könnte man finden, sich mit jemandem auf eine so weite Reise begeben, der einen vielleicht lieber totschösse, wenn er einen vollkommen kennte.

FELIX. Herr von Sala, wo ist meine Schwester?

SALA. Ich weiß es nicht. Ich weiß es nicht, wo sie in diesem Augenblicke ist. Gestern Abend, eh' Sie kamen, hat sie mich zum letztenmal verlassen.

FELIX. Herr von Sala –

SALA. Ihr Abschiedswort an mich war: Auf morgen. Sie sehen, daß ich heute früh allen Grund hatte, überrascht zu sein, als Sie bei mir erschienen. Erlauben Sie mir ferner, Ihnen zu sagen, daß ich gerade gestern Johanna bat, meine Frau zu werden, was sie lebhaft zu erschüttern schien. Diese Mitteilung mache ich Ihnen keineswegs, um etwas zu beschönigen. Denn in meiner Bitte lag nicht die Absicht, irgend ein Unrecht gut zu machen, sondern es war wahrscheinlich nur eine Laune – wie mancherlei anderes. Es handelt sich nur darum, daß Sie die Wahrheit erfahren. Ich stehe Ihnen also in jeder Weise zur Verfügung. – Das zu sagen, hielt ich für durchaus notwendig, ehe wir am Ende in den Fall kommen, zusammen in die Tiefen der Erde hinabzusteigen oder vielleicht unter einem Zelte zu schlafen.

FELIX nach einer langen Pause. Herr von Sala ... wir werden nicht unter einem Zelte schlafen.

SALA. Wie?

FELIX. So weit geht Ihre Reise nicht mehr.


Große Pause.


SALA. So ... Ich verstehe Sie. Sie sind dessen sicher?

FELIX. Vollkommen. – Pause.[833]

SALA. Johanna wußte es?

FELIX. Ja.

SALA. Ich danke Ihnen. – O, Sie können ruhig meine Hand nehmen. Die Angelegenheit ist ja so ritterlich geordnet als nur möglich. – Nun? ... Es ist nicht einmal üblich, die Hand demjenigen zu verweigern, der zu Boden liegt.

FELIX reicht ihm die Hand. Dann. Und wo mag sie sein?

SALA. Ich weiß es nicht.

FELIX. Machte sie keinerlei Andeutungen?

SALA. Keine.

FELIX. Aber haben Sie keine Vermutung? Hat sie vielleicht irgend welche Verbindung angeknüpft – im Ausland? Hat sie irgendwo Freundinnen oder Freunde, von denen mir nichts bekannt ist?

SALA. Nicht, daß ich wüßte.

FELIX. Glauben Sie, daß sie noch lebt?

SALA. Ich weiß nicht.

FELIX. Wollen Sie nicht mehr reden, Herr von Sala?

SALA. Ich kann nicht mehr reden. Ich habe jetzt nichts mehr zu sagen. Leben Sie wohl, reisen Sie glücklich. Grüßen Sie den Grafen Ronsky.

FELIX. Wir sehen einander doch nicht zum letztenmal?

SALA. Wer kann das wissen?

FELIX reicht ihm die Hand. Ich eile zu meinem Vater. Ich glaube mich verpflichtet, ihm mitzuteilen, was ich von Ihnen erfahren habe.

SALA nickt.

FELIX zu Julian. Adieu. Ab.


Quelle:
Arthur Schnitzler: Die Dramatischen Werke. Band 1, Frankfurt a.M. 1962, S. 832-834.
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