VII.

[176] Das Genus Phaleucium kan auch gar wol in Teutscher Sprache stat haben und aufgebracht werden /diese:


– ∪ ∪ – ∪ – ∪ – ∪

Nun Gott / hertzlichen ich dir jetzund danke

Daß du gnädiglich wollen mich bewahren /

Daß kein Ungelük mir ist wiederfahren:

Ach hilf ferner auch / daß ich nimmer wanke

Von der Frömmigkeit rechten sichren Strassen:

Das mit Freuden und zittren ich dich ehre

Und mich allezeit nur zum Himmel kehre:

Auf dich HErr Gott wil ich mich verlassen.*


Oder etwas anders die Reimung versetzet / als:


1.


Du mein Vaterland / das du bist gewesen

Mit so mancherley Gaben angefüllet

Das der Himmel hat gleichsam auserlesen /

Hörch / wie grausamlich Mars in dir jetz brüllet /

Ach wenn seh' ich dich wiedrumb recht genesen.


2.


Ist dein' Herrligkeit denn so gar verschwunden /

Wie der flüchtige Dampf und Rauch vergehet;

Weil der Friede wird gantz nicht mehr gefunden

Und so manniches Kriegsheer in dir stehet /

So dich jåmmerlich queelen alle Stunden.


Herr Rist.


Diese Phaleutische Art kan auch also pasieren / daß die letzte Reimmaas ausgelassen werde / als:


– ∪ – ∪ ∪ – ∪ – ∪

Ob schon Ungelük lange bleibet

Und so ungewis ümher treibet /[176]

Dennoch sollen wir auf Gott sehen /

Er wird gnädiglich bey uns stehen. *


Oder auch / daß die Reimung nur Steigend sey / also:


– ∪ – ∪ ∪ – ∪ –


1.

Nun sich Himmel und Erd' erfreut

In der lieblichen Frülings-zeit /

Nun die Vögelein stimmen an

Das die Menschen ergetzen kan /


2.

Nun die Flüsse so sanft und fein

Wieder schleichen ins Meer hinein /

Nun der Winter sich legt zur ruh

Und die Hitze nimt täglich zu. etc.


Herr Rist.


Man kan die Phaleutischen arten also gebrauchen / daß die Verse ohne Abteilung der Sätze oder Reimschlüsse immer hingesetzet werden / oder auch Reimschlůsse darin nach beliebter länge oder kůrtze gemachet und geformet werden.

Quelle:
Justus Georg Schottel: Teutsche Vers- oder Reimkunst. Lüneburg 1656, S. 176-177.
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