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[230] Einen Vornlauff nennet man dieselbige Reime / in welchen die vordersten Letteren / wan sie zusammen gelesen werden / ein sonderlich Wort / oder Nahmen /oder Meinung machen / darauf das Gedicht / oder dessen Inhalt muß gerichtet und damit verwant sein. Es geschiehet aber der Vornlauf auf zweyerley weise; Erstlich / wan entweder nach Ordnung der Verse / der erste Buchstab einer jeden Zeil / von oben bis unten /wird zusammen gesetzet und gelesen; oder aber wan nur der vorderste Buchstab jedes Reimschlusses oder Strophen wird zusammen gelesen: Zum anderen geschiehet der Vornlauff / wan die anfänglichen Buchstaben aller Worter / so in dem Verse auf einander folgen / künnen zusammen gesetzet und gelesen werden. Es kan auch ein Vornlauff entweder oben- oder unterwerts / nach des Dichters Beliebung / sich anfangen. Folget zur anzeige[230]

Vornlauff

Darin die vordersten Buchstaben / JEsus / aus deuten.


I n der Welt einer ist allein /

E iner wird in dem Himmel sein

S o nur bleibt mein Wunsch und Begier'

V nd mein Trost und der Seelen Zier /

S eelig ist der jhn findt alhier.*


Anderes Vornlauff

So unterwerts zusammen gelesen wird.


S o ich leben soll wil ich stets mich üben /

V nd mit deinem Wort' / O mein lieber Gott /

T rachten stets nach dem / was seyn dein Gebot:

S o ich sterben soll / wil ich doch dich lieben /

I n dem Weltgezirk' ist doch nicht zufinden

R uh' und Sicherheit: Stetes Creutz und Noht

H ier alzeit regiert / bis uns frißt der Tod:

C reutz und Tod und Noht durch Gott kan verschwinden.*


Vornlauff

Darin die ersten Letteren aller Wörter in dem vordersten Verse gelesen werden / komt daraus Liebe.


Löwen-Igels Esels-Beeren-Elefantenkopf / †

In der Narrenpfanne wol gebraten und gesottẽ /

Aufgefressen / machet grosse Zunft und tolle rotten /

Da der klügste deñoch ist ein armer Gek uñ Tropf.*


(† Das ist / die vordersten Letteren von diesen Thiernahmen. Es künnen die Vornläuffe nach belieben gelenget / verkürtzet / von oben / von unten / von vorn[231] oder von hinten gelesen werden. Exempel allezeit herbeyzufügen wird unserem Werklein zulang.)

Quelle:
Justus Georg Schottel: Teutsche Vers- oder Reimkunst. Lüneburg 1656, S. 230-232.
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