Vorrede.

Als mein Vater vor einem Jahre dem Publikum den ersten Theil seines Lebens übergab; da dacht' ich nicht daran, daß ich die traurige Pflicht, seinen Nachlaß zu sammeln, so früh schon würde erfüllen müssen. Er hatte nur eben recht angefangen, die Wohnen der Freiheit und einer unabhängigen Muße nach einer zehnjährigen Prüfung zu kosten; er blikte so dankbar zum Himmel für Freuden, worauf er in den Tagen seiner Einsamkeit so oft Verzicht gethan; er hatte so manchen neuen Freund, so manchen theilnehmenden Leser gewonnen; trug noch so manchen schönen vaterländischen Entwurf in der Seele: als ihn im vorigen Herbst ein vorgeahndeter Tod im 52sten Jahre seines Lebens von allen seinen Aussichten und Hofnungen hinwegriß.

Ich lege hier seinen zahlreichen Freunden und Bekannten den zweiten Theil seines Lebens vor, der seinen[4] Aufenthalt in Augsburg und Ulm; seine Abentheuer mit Gaßner und den Jesuiten; seine Arretirung, und die beiden ersten Jahre seiner Gefangenschaft enthält. In dem manchfaltigen Verkehr mit Menschen aller Art, mit denen mich mein Schiksal schon in frühen Jahren zusammenbrachte, fand ich immer, daß man in Ansehung meines Vaters auf die Beantwortung der beiden Fragen am begierigsten war: »was eigentlich die wahre Ursache seiner langwierigen Gefangenschaft sei? und ob ihm seine religiosen Aeuserungen durchaus von Herzen gegangen?«

Ueber den ersten Punkt wird der Leser hier manchen wichtigen Fingerzeig,[5] über den zweiten – wenigstens nach meinem Gefühl, volle Befriedigung finden.

Daß der durch eine Virtuosen: Kaprise beleidigte kaiserliche Gesandte v. Ried die Hauptveranlassung zu seiner Arretirung gegeben; daß sich ein nahmhaftes Korpus von Pfaffen, und andern geheimen Feinden, die sich mündlich oder schriftlich von ihm beleidigt glaubten, hinter den Gesandten verstekt; daß dieser von seinem Hofe vornehmlich dadurch die Vollmacht zu seiner Festsezung ausgewirkt, daß er ihn bei Theresia als einen Religionsverächter, als einen leidenschaftlichen Novellisten angab, der Preussen auf Kosten Oestreichs zu erheben und[6] zu lobpreisen suche; daß endlich der Herzog von Wirtemberg aus mancherlei Gründen die Vollstrekung jener Vollmacht auf sich genommen – das alles sind Data, die der Leser mehr oder minder ausgeführt hier finden wird, und die wir unsern s. Freund öfters neugierigen Fremden erzählen hörten. Es ist hier weder der Ort noch die Zeit, mich über diese mißliche Sache näher zu erklären. So viel bleibt gewiß, daß mein Vater sein ganzes hartes Schiksal, gleich in der ersten Periode seiner Sinnesänderung, als eine gerechte und wohlverdiente Strafe – wenn nicht für politische oder gesezliche, – doch für seine moralischen Vergehungen ansah, und alle seine Leiden als Schikungen Gottes[7] zu seiner Bekehrung willig ertrug. Nie ist ihm bei, während, und nach seiner Gefangenschaft ein Verhör verstattet, oder der geringste offizielle Grund gegen ihn angeführt worden.

Ueber seine Bekehrung selbst verbreitet er sich in dieser Fortsezung so ausführlich, bezeichnet den allmählichen Uebergang vom Unglauben zum orthodoxen Kirchenglauben so deutlich; läßt uns so tiefe Blike in das innerste Getriebe seiner Seele thun, daß nun seine oft schwärmerischen Aeußerungen in den geistlichen Gedichten, und in der Chronik, wohl niemand mehr befremden werden. Ueberhaupt hat es mich immer gewundert, daß man den Uebergang vom Naturalismus zum [8] Mistizimus bei einem Manne so inkonsequent finden konnte, der schon in seinen frühesten Schriften z.B. seinen Todesgesängen, und sogar in den ältern Jahrgängen seiner Chronik einen so entschiedenen Hang zum Mistischen, zum Exaltirten und Uebernatürlichen verrieth. Man denke sich nun diesen Mann mitten aus den Strudeln eines dithirambischen Lebens in eine todte geschöpflose Einsamkeit versezt, wo er nichts als Trümmer der Vergangenheit vor sich hat; – man reiche ihm im quälendsten Durste nach Thätigkeit die heiligen Bücher, die Schriften eines Jakob Böhms, eines Hahns, Oetingers, Hollaz; man denke sich diese geistlichen Uebungen bei kärglicher Kost und hartem[9] Lager mehrere Jahre fortgesezt: was ist natürlicher, als daß ein solcher Mann seine Bahn verlieren, alle vorhergehende Ueberzeugungen verwerfen, und sich ganz einer Lehre hingeben wird, bei der die hervorstechendsten Kräfte seiner Seele so viel Beschäftigung finden, die seinem dichterischen Hange eine so weite Bahn öffnet, in der er endlich allein Beruhigung und Trost im Tode zu finden hoft?!

Nichts war bei Durchlesung und Zubereitung dieses zweiten Theils trauriger und niederschlagender für mich, als die sichtbare, unaufhaltsame, dem gefangnen Unglüklichen selbst so schwer auffallende Abnahme seiner physischen[10] und geistigen Kräfte. »Mein Gedächtnis« (schrieb er i.J. 1780, da er mehrere Freiheit erhalten hatte, an mich) »hatte damals so nachgelassen, meine Fantasie war so spröde und düster; mein Herz so gepreßt und erschöpft; mein Verstand so furchtsam, mein Gesichtskreis so schwül und enge, daß ich mich selbst nicht mehr kannte, und bittere fürchterliche Thränen über den Nachlaß meiner Seelenkräfte weinte ... Der Dampf meines Kerkers – denn keine Luft konnte durchstreichen – fraß meine Brust an, senkte tödtliche Mattigkeit in meine Glieder, und spannte alle Triebfedern meines Körpers ab. Mit ihm schrumpfte auch meine Seele immer trauriger zusammen ... O wie wahr, wie unglaublich[11] wahr, und drükend ist die Abhängigkeit der Seele vom Körper! ... Seit dem hab ich mich zwar durch die freie himmlische Luft, und bessere Kost wieder etwas erholt; werde aber nie – nie den ehmaligen Schwung und Zusammenklang meiner geistigen Kräfte wieder erhalten: und das ist die beweinenswürdigste Seite meines Schikfals!« Auch für mich war sie es.

Durch meine theure Mutter und andere Freunde, hoffe ich in den Stand gesezt zu werden, diese Geschichte bis zum Tode ihres Verfassers in dem dritten und lezten Bande gegenwärtiger Biographie vollenden zu können. Da er nie ein Diarium hielt, und das Wenige, was er über[12] die acht folgenden Jahre seiner Gefangenschaft im Kalender aufgezeichnet hatte, meist verloren ging; da ich selbst von meiner ganzen Familie gerade am wenigsten um ihn war: so müßte mein feurigster Wunsch, das Publikum zu befriedigen, diesen ungünstigen Umständen unterliegen, wenn ich nicht sicher auf eine solche Beihülfe rechnen dürfte. In dieser mir eignen Fortsezung, die so bald es mir möglich werden wird, erscheinen solle gedenke ich sodann manches widersprechende Urtheil über diesen Karakter zu vereinigen, oder niederzuschlagen, und meine eigene Meinung mit all der Freimüthigkeit herauszusagen, die mich in keiner Lage meines Lebens, und bei keinem Gegenstande[13] meines Nachdenkens verlassen wird.


Ostermesse 1792.

Ludwig Schubart.[14]

Quelle:
Schubart, Christian Friedrich Daniel: Schubart’s Leben und Gesinnungen. Zweiter Theil, Stuttgart 1793.
Lizenz:
Kategorien: