XVII.

»Wohin Kerl?« – ia, so dacht' ich, und die Welt lag weit offen vor mir, wie weiland vor Thomas Jones, als er seines Vaters Haus und Junker Westerns Burg verließ. Ich fuhr auf dem Postwagen, auf dem ein rundköpfiger und wanstiger Franziskaner saß. Der fieng gleich an in seiner Salzburger Hanswurstsprache die baierischen Schulreformen erbärmlich zu epanorthosiren. Er nannte Lori, Collmann, Braun, und alle, die sich mit[1] dem Schulwesen abgaben, geradenwegs – Lutheraner, welches Wort bei ihm den Innbegriff aller Kezereien zu bedeuten schien. Da er es zu grob machte; so erwachte ich aus meiner dumpfen, zweifelvollen Schwermuth, begann lateinisch mit dem Franziskaner zu sprechen, und bewies ihm nach allen rhetorischen Figuren, welch ein hohlköpfiger und bigotter Pfaff er sey. – »Etiam hæreticus! Etiam hæreticus!« polterte der Pfaff wie ein kalekut'scher Hahn, und rükte mit seinem breiten Gesäße im Postwagen so grimmig hin und her, daß ich fürchten mußte, umgeworfen zu werden. Ich stieg also aus, und sagte mit Ernst: »Zu ihrer Religion gehöre ich nicht, Herr Pater; aber zu einer von welcher Sie und Ihre Brüder noch vieles zu lernen haben. – Gott bekehre Sie!« – So sprang ich aus dem Postwagen, und der Pfaffe machte mir eine große Faust nach, und sprach über mich ein greuliches Anathema, das mich aber, Gottlob! in Ewigkeit nicht treffen kann.[2]

Da stand ich nun wieder, schlug mich mit der Faust an die Stirne, seufzte mein verzweifeltes Wohin? und gieng so vorwärts. Der Himmel wölbte sich freundlich umher, aber ich achtete nicht sein blaues Woogenspiel. Die Lüfte Gottes wehten; aber mich kühlten sie nicht. Denn ich war damals sehr betrübt, und fühlte das Schrekliche, so aufs Ungewisse in der Welt herum zu irren. Endlich strekte sich das weite Lechfeld vor mir aus, und ich sah die Thürme Augusta's aus blauen Düften sich enthüllen, und im Abendgolde schimmern. Ich kam nach Augsburg, und trat bei einem Bierwirthe am Mühlenberglein ab, der ein weitläufiger Anverwandter von mir war. Ich schrieb sogleich an meine Gattinn nach Geißlingen, und that ihr meinen Entschluß kund – nach Stokholm zu gehen, und dort unter Gustavs Szepter mein Leben hinzubringen.[3]

Indessen wollt' ich mich etwas mit Kleidung versehen; denn ich war in diesem Stüke ein wahrer Cyniker. Meine Freunde mußten mich immer erinnern, wenn Kleid und Wäsche zu altern anfieng. Zudem hatt' ich das Unglük, daß mir mein einziges Kleid, das ich besaß, bald, nachdem ich in Augsburg anlangte, gestohlen wurde – »der Kerl hat's vielleicht noch nöthiger als du« dacht' ich, und vergaß meinen Verlust gar bald. Mein Leichtsinn dachte wie der Starkglaubige: »Seht die Lilien an! sie arbeiten und spinnen nicht, und Gott kleidet sie doch!« – Ich hatte auch nie lange Mangel an Bedürfnissen. Die Menschen, o die guten Menschen, – sie sind viel, viel besser, als der poltrende Sittenrichter wähnt, – bemerkten meine Sorglosigkeit und unterstüzten mich, sobald sie sahen, daß mir was gebrach, – »gebt ihm, was er will, er behalt doch sein Uebriges nicht!« so sagten die guten Menschen, und ich hatte wenig Mangel und oft Fülle. Ueber das war ich[4] schon so zur Genügsamkeit gestimmt, daß ich eben so gern im Bierhause mit einigen Kreuzern zu Tische saß, als im schallenden Gasthofe an der reichsten Tafel. Doch dieß Alles war nicht Tugend, sondern – Liederlichkeit, die mich bald in die Pfüzen des Pöbels iagte, bald ins heitere Licht gebildeter Gesellschaften stellte. –

Mein Wirthshaus war die Herberge der Weber, die seit Fuggers Zeiten in Augsburg die zahlreichsten und gewerbsamsten Handwerker sind. Dieß waren nun fürs erste nebst andern Bürgern, die Abends zum Bier kamen, meine Gesellschafter. Ich theilte mich ihnen mit und machte bald gros Aufsehen unter ihnen. Wenn die Meisterschaft der Weber zusammen kam und mit feierlichem Ernste, in großen schwarzen Röcken und langen weissen Krägen vor der Bundeslade saß; da luden sie mich zum traulichen Gastmahle und weideten sich an meinem Hellauf, wie ich mich an ihrer urdeutschen[5] Biderherzlichkeit. Ich habe als Dichter unter den niedern Ständen weit mehr gelernt, als unter den höhern; denn iene stehen näher am Quell der Natur. Man könnte die schönste Idylle verhunzen, wenn man einen schimmernden Modemann und ein flittergoldnes Modeweib drinn aufführen wollte. Geßner wäre in einer fürstlichen Residenz das nicht geworden, was er zu Zürich geworden ist.

Ich gieng also gern mit gemeinen Leuten um, und thu es noch; eingedenk des grosen Tages, wo der Richter nicht fragen wird: »warst du vornehm?« sondern: »warst du gut?«

Bald nach meiner Ankunft in Augsburg kam mir auch ein Mensch nach, den ich in München zu meiner Bedienung brauchte, ein Kerl, der vor Liederlichkeit hätte auseinander fallen sollen. Er war Schneider, Soldat, Laufer, falscher Spieler,[6] Tagdieb, Schmarozer und Windbeutel im höchsten Grade. Der zog mich zu München fast aus; nahm mir Stiefel, Wäsche und Alles vor den Augen weg. Solch ein Auswürfling bot mir wieder seine Dienste an, und ich hatte keine anzunehmen, war selbst bereit, für Dach und Lebensunterhalt zu dienen. Da schoß er weg von mir, wie ein Raubvogel. Und siehe da der elende Kerl machte hernach im Spiel sein Glück, daß er Tausende erwarb, sich ein Gut kaufte und sich's nun vom Raube herrlich wohl seyn läßt. Vor solchen Karakteren hatt' ich iederzeit den grösten Abscheu.

In Augsburg gefiel es mir immer sehr wohl. Ein sehr gefälliger Freund, den ich noch von Geißlingen her kannte, suchte mich zu bereden, daselbst zu bleiben: aber ich hatte der schlechten Aussichten wegen wenig Lust dazu. Buchhändler Stage bat mich, ihm was Gangbares zu schreiben; aber ich schlug es ihm ab. Mein Weib[7] schrieb mir, und bat mich wehmüthig, sie nicht zu verlassen, nicht so in die Weite hinaus zu irren, sondern in der Nähe zu bleiben. Dieß wirkte mehr, als alle Beredungen meiner neuen Freunde; und ich entschloß mich zu bleiben, und einen Roman zu schreiben, den ich schon lange, beinahe ganz ausgebohren, im Kopf herumtrug. Blizschnell schrieb ich einige Bogen nieder, dachte aber gar bald, wie langweilig dies Geschäft für mich und den Verleger werden müßte: Es war also nur wie eine Episode, daß ich ihm vorschlug, statt seines gescheiterten Schwäbischen Journals, ihm eine deutsche Chronik zu schreiben, und den Zirkelbogen etwas weiter zu ziehen, als in gedachter Zeitschrift. Ich fieng an, mit aller schuldigen Ehrfurcht vor dem Publikum – denn ich glaube nicht, daß iemals ein Schriftsteller ehrfurchtsvollere Begriffe von seinem Publikum gehabt hat, als ich von dem meinigen – die ersten Blätter zu schreiben. Meine Absicht war erst auf [8] Augsburg und Baiern, dann auf alle die von mir bereiften Gegenden, und endlich auf ganz Deutschland gerichtet. Der Beifall war weit größer, als ich ihn unter den Umständen, in denen ich schrieb, erwarten konnte. Der Verlag stieg von Hundert zu Hunderten, ungeachtet ich selbst mit meiner Chronik am wenigsten zufrieden war. Ich schrieb sie – oder vielmehr diktirte sie im Wirthshause, beim Bierkrug und einer Pfeife Tabak, mit keinen Subsidien, als meiner Erfahrung und dem Bischen Wiz versehen, womit mich Mutter Natur beschenkt hatte. Wenn ich mehr Muße gehabt hätte, oder mich nicht so gerne in Zerstreuungen verloren hätte, so wär' ich traun! kein übler Zeitungsschreiber worden. Ich hatte Feuer, wußte wie die Menschen zu greiffen waren, wußte meine Muttersprache zu schreiben, besser, als man es in dasigen Gegenden gewohnt war, und hatte nicht selten Anwandlungen von brittischer oder liskov'scher Laune. Aber der Mangel an Klugheit, der[9] sich in meinem ganzen Leben, so wie in meinen Schriften äusserte, die ungewöhnliche Freiheit, die ich mir in einem Lande voll ängstlichen Zwangs anmaßen wollte, und die kühne oft wilde Schreibart, konnten meiner Chronik keine lange Dauer versprechen. Auch brachte meine Situazion und Herzensstellung so auffallende Ungleichheiten in dies Blatt, daß die Ausländer glaubten, ich hätte zuweilen einen sehr dürftigen Handlanger. Heute schien mein Blat ein Glutstrom, das nächstemal ein Schneehügel zu seyn. Aber, ich selbst war so. Die Schrift ist des Autors Bild im Kleinen – sein treues Porträt im polirten Stahlknopfe. Wenn Ausschweifungen, oder heimlicher Gram meine Nerven abspannte; so sanken die Gedanken mattherzig und kraftlos, wie Pfeile vom ungespannten Bogen zu meinen Füßen nieder.

O wie wahr ists, daß ein Schriftsteller ohne Tugend und Ordnung, wenn er auch die schönsten Anlagen hat, kaum etwas mehr[10] gewinnen kann, als den erniedrigenden Seufzer des mitleidigen Publikums: »Schade für den Mann!« –

Kein Gewerb konnte für einen Menschen, wie ich war, zu einer Zeit wo die Priester- und Fürstengewalt gegen iedes Freiheitsgefühl anbraußte, und in einer Stadt, die unter allen deutschen Städten, einen so feurigen Kopf, wie der meinige war, am wenigsten dulden konnte, gefährlicher seyn, als das Gewerb eines Zeitungsschreibers. Vor Fürsten, auch wenn sie Bösewichter sind, den Fuchsschwanz streichen, kühle Galatäge, Jagden, Musterungen, iedes gnädige Kopfnikken und matte Zeichen des Menschengefühls mit einer Doppelzunge austrompeten, iedem Hofhunde einen Bükling machen, den Parteigeist desienigen Orts, wo man schreibt, nie beleidigen, den Kaffeehäusern was zum lachen, und dem Pöbel was zu räsonniren geben; – auf der andern Seite die Partheien des Parnassus genau kennen, und da[11] entweder im trägen Gleichgewichte bleiben oder muthig mitkämpfen: – das waren Geseze, die für mich zu hoch und rund waren und für die ich weder Geduld noch Klugheit hatte. Ich stieß daher tausendmal gegen sie an. Daher hat auch die Chronik mir und dem Verleger unermeßbaren Verdruß und endlich mir selber das harte Gefängniß zugezogen, in dem ich so manches Jahr reiche Gelegenheit hatte, meine Thorheiten zu beweinen.

Die ersten Blätter wurden in Augsburg gedrukt; da ich aber am Schluße meiner Anzeige sagte: »Und nun werf' ich mit ienem Deutschen, als er London verließ, meinen Huth in die Höhe, und spreche: O England, von deiner Laune und Freiheit nur diesen Huth voll!« so stand der damalige, nun selige Burgermeister von Kuhn im Senat auf und perorirte: »Es hat sich ein Vagabund hereingeschlichen, der begehrt für sein heilloses Blatt einen Huth voll Englischer[12] Freiheit: – Nicht eine Nußschaale voll soll er haben.« – Und hiemit wurde der Druk in Augsburg untersagt, und das Blatt bei Wagnern in Ulm gedrukt.

Inzwischen eröffnete mir meine Chronik den Eintritt allenthalben, und ich wurde bald so bekannt, daß Kinder auf der Straße mich zu nennen wußten. Aber eben diese weite Bekanntschaft war ein hundertaugiges Lauren auf alle meine Gänge, Tritte, Worte, Geberden, Werke. Und da ich sehr unvorsichtig war; so gab ich meinen Laurern unzähliche Blößen, mich zu stoßen oder zu fangen.

Aber auch dieß kümmerte mich wenig: »Lebt wie ihr wollt, laßt mich nur auch leben wie ich will!« – So dacht' ich, und so lebt' ich auch. Diese schlüpfrige Lage abgerechnet, hab' ich doch in Augsburg eins der schönsten Jahre meines Lebens verlebt. Obgleich die dasige Lebensart, dem, der in geräuschvollen Residenzen erzogen ist,[13] abgeschmakt, kleinstädtisch und tod vorkommt, so war es doch schon reichsstädtische Luft, die mich anwehte, und die mir an Leib und Seele immer die zuträglichste schien. So weit der alte Karakter der geraden und freien Vindelizier versunken ist; so zeigt er doch noch einige unverwischte Züge in Augsburgs iezigen Bewohnern, die alle Steifigkeit, Zähe des Wizes, Armuth des feinen Geschmaks, Unkenntniß der polirtern Sitte zu vergüten scheinen. Ein Augsburger, der mich in seinen Schuz nimmt, hält sein Wort so gut, als ein Engländer oder Schweizer. Wenn ein Augsburger Mezger seine gewaltige Faust auf den Tisch schlägt, daß die Biergläser klirren, und sagt: »Den möcht' ich sehen, der dich antastet!« – so bin ich mächtig beschüzt. Gleicher Sinn, nur etwas gebändigter, herrscht auch in den höhern Ständen, sonderlich unter der biderherzigen Kaufmannschaft. Man muß aber diese braven Reichsstadter nicht nach den Zügen beurtheilen, die sie in öffentlichen[14] Versammlungen zu verrathen scheinen; im Hauskleide die Männer, im Schlafroke, im schmuklosen Gewand die Weiber, zwischen verschwiegenen Wänden muß man sie sehen, und ihr Vertrauen durch Kopf und Herzthaten zu gewinnen wissen; so wird man bald die herrlichsten deutschen Menschenmassen, bidermännische Patrizier, edelmüthige Kaufleute, forschende Weise, fühlende Künstler, brave Bürger, sittsame Mädchen und einfältige gute Hausmütter antreffen, die mehr werth sind, als die flittergoldnen Menschenbilder an so manchem Hofe, die nichts weiter thun, als rauschen und blenden. Die meisten heutigen Urtheile über die Reichsstädter kommen mir nicht gescheider vor, als des französischen Tanzmeisters Marcell Urtheil über den großen Lord Chatam: »Kann der Mann was taugen, der ein schlechtes Menuet tanzt?«

Alles Schiefe, Widerwärtige, Dumpfe, Steife und Unangenehme, was den Fremden[15] beim ersten Anblik in Augsburg anekelt; kommt von der Parität her, diesem zweiköpfigen Ungeheuer, das aus zween Rachen bellt, aus zween Schlünden giftiges Mißtrauen in die Gemüther haucht, und sie zur freien, offnen Freude gänzlich unfähig zu machen scheint. Es war mir anfangs ungewöhnlich fremd, wenn ich in Gesellschaften von beiden Religionsverwandten, wo ich nach meiner Gewohnheit in freie Urtheile über mancherlei vorkommende Gegenstände ausbrach, mehrmals von einem lutherischen Freunde auf die Zehen getretten wurde, der mir dadurch fühlbar zu erkennen geben wollte, daß Katholiken zugegen wären. Blik, Ton und Rede zeugt daher bei den Augsburgern von einer so ängstlichen, mißtrauischen und blöden Herzensstellung, daß michs wundert, wie ein freier Mann in Bier- und Weinhäußern in und außer der Stadt, sich einem so qualenden Zwange blos stellen mag. Rom, – ich nehme die weitgreifende katholische Welt für ihr Gebiet an – hat wohl[16] die alte Macht verloren, aber doch immer noch die alte Staatskunst beibehalten: »Wer sich widersezt, den verfolge! rotte aus mit Feuer oder Schwerd! mit Gift, oder jener feinen Politik, die härter und langsamer tödtet, als Aqua tofana. Wer sich aber unterwirft, dem erweise Gnade!!« – Dieser Maxime zufolge hat der Protestant, wo er blos geduldet wird, mehr wahre Freiheit, als in Ländern und Städten, wo er seine Rechte mit herrschsüchtigen Feinden theilen soll. Kunst, Geschiklichkeit, Gewerbsamkeit, Kunstfleiß, Aufklärung und Schönheit der Sitten zeichnet die Lutheraner in Augsburg so merklich vor ihren Mitbürgern den Katholiken aus, daß man nirgends mehr als hier die Wohlthat der Reformazion kennen lernt. Und doch behaupten die Katholiken einen so augenscheinlichen politischen Vorzug über die Lutheraner, daß man ohne ihre Unterstüzung in Augsburg ohnmöglich fortkommen kann. Wenn es so fortgeht, so wird der päbstliche Hecht die lutherischen[17] Grundeln bald verschlungen haben. »Im 19ten Jahrhundert ist vielleicht ganz Augsburg katholisch;« eine Weissagung, die man ohne delfisehen Dreifuß, von den vorliegenden Aspekten abziehen kann. Man schauert, wenn man am Palmtage eine sogenannte Kontrovers- oder Eselspredigt hört. Was der niedrigste Pöbel bei Saufgelagen ausschäumt, Possen, Zoten, Lästerungen; Provinzialunsinn, Bauern, oder vielmehr Hanswurstsprache hört man hier auf der Kanzel. Pater Merz, ein damals hochgefeirter Name, und nachmals selbst vom Pabste zum polemischen Klopffechter eingeweiht, ein Mann, der etwas bessers thun konnte, als seine Feder in die Pfüze der unchristlichen Streitsucht tauchen, war zu meiner Zeit, das Orakel der Katholiken. Er kleidete Sophistereien in erträgliches Deutsch ein, und dieß ist das Glimpflichste, was man von diesem Gladiator sagen kann. Durch solche Einheizer wird die Gluth in Pöbelseelen immer unterhalten,[18] und nur Ein Windstoß, so wird sie Flamme werden, und den ruhigen Lutheraner verzehren.1

Die evangelischen Geistlichen führen hier das sittsamste Leben, besuchen und trösten ihre Beichtkinder in der Stille, predigen ohne zu rumoren, und verdienen durch ihr sanftes Betragen die kleine, von Wekherlin zu scharf geahndete Ehre wohl, in Kupfer gestochen und als Helglein, wie man sagt, in die Gesangbücher ihrer Beichtkinder gelegt zu werden. Sie hatten zwar zu meiner Zeit keine Bruker, Urlsperger2 und Grafe mehr, aber doch noch immer Männer, die ihrem Amte Ehre machten.[19] Rektor Mertens wurde frühe mein Freund. An seiner Seite sah ich die dasige Stadtbibliothek, die sonderlich einige von Rißke zum Theil benuzte sehr kostbare griechische Handschriften hat. Der Eifer dieses Mannes für Litteratur und Erziehungswesen verdient den Dank seiner Stadt und den Beifall seiner Zeitgenossen. Seine reiche Gelehrsamkeit und schöne Gaben erheben ihn zum Rang der Bertholins, Ehinger, Wolfe und andrer wichtigen Männer seiner Vaterstadt. Das Augsburgische Gymnasium hat ihm beinahe seinen iezigen Flor allein zu danken. Man darf es mir glauben, daß ich auch hier meiner Neigung folgte, und die edlen Männer dieser Stadt aufsuchte, auch mich herzlich freute, so oft meine Wünschelruthe über dem Golde einer deutschen Biederseele zukte. Unter diesen Seelen verdient Paul von Stetten vorzüglich genannt zu werden. Seine schönen Schriften, womit er unser Vaterland unterrichtet und ergözt, sind nur schwache Gipsabdrüke[20] eines tausendmal schönern Stempels. Er ist ein Fluß, der still und tief in seinem Bette fleußt, die Felder seiner Vaterstadt wässert und befruchtet, und nie braußt, als wenn sich ihm hartnäkiger Frevel und die Klippe des Wahns entgegen sezt. Sein ruhiger Karakter macht ihn zum Gefühl der Schönheit und Wahrheit vorzüglich geschikt, und giebt seinen Beurtheilungen über die Werke des Geistes viel Bestimmtheit und Richtigkeit. Sein Auge für die schönen Künste ist gesalbt und scharfblikend; doch scheint er die Grazie des Kleinen leichter zu bemerken, als das Göttliche des Großen. Sein Herzenskarakter stellt ihn auf die goldne Linie der Sanftmüthigen, von denen Christus das Haupt und Johannes sein Nachfolger ist. Daher kommt die Stille, Herzensgüte, Freundschaft und Wohlwollen, die im sanftesten Lichte sein Antliz verklären. Er ist noch eine Zierde seiner Stadt. Seine und überhaupt des ganzen Stettenschen Hauses vaterländische Thaten haben ihnen schon längstens[21] einen ansehnlichen Plaz im Bildersaale der Augsburgischen Patrioten erworben. Auch ich hatte ihrer stillen und lauten Unterstüzung manches Gute zu danken.3

So verschrieen diese Stadt ist wegen des merklichen Heruntersinkens von ihrem alten Glanze, sonderlich wegen der Abnahme des reinen Künstlergeschmaks, so sind doch noch einige ziemlich helle Spuren davon anzutreffen.4

Der so große unternehmende Geist Schülen's, der tausend Hände in Arbeit sezt und durch geschmakvolle Pracht die vornehmsten Fremden zur Bewunderung reizt,[22] die ansehnliche Kaufmannschaft, worunter noch Manche den Glanz des alten Reichthums ausstrahlen, so viele Juwelire, Sile berarbeiter und Künstler von aller Art, didurch ihren kostbaren Vorrath, durch Erfindung und Geschmak laut genug zeugen, daß noch Spuren des alten Geistes in ihnen glänzen; geben dem denkenden Fremdling reichen Stoff zur Unterhaltung, und sonderlich zur patriotischen Anmerkung, was der Deutsche vermag, er werde unterstüzt oder nicht, er sei frei oder ein Sklave.

Einer meiner wärmsten Freunde war Stein, dessen Orgeln, Flügel, Fortepiano's, Klaviere und sonderlich die grose Erfindung[23] der Melodika ihm längst einen angesehenen Rang unter den deutschen Erfindern und Verbesserern musikalischer Kunstwerke erworben haben. Ich habe seine meisterhafte Orgel in der Barfüßer Kirche mehrmalen mit Entzüken gespielt. Wie unnachahmlich rein gestimmt! Welche schlaue Verbergung der den Orgeln so natürlichen Gebrechen! Welche liebliche Register! Welch ein brausender, diker, die zahlreichste Festgemeinde tragender, durchschneidender Baß! – Man kann nichts hinreissenderes hören, als eine mit andern Instrumenten begleitete Orgelsonate, oder auch ein Konzert auf dieser Orgel vorgetragen. Auch hört' ich in dieser Kirche den schönsten, übereinstimmendsten Choralgesang, der so mächtig die ganze Seele faßt, und sie an ihre Unsterblichkeit mahnt. Das wahre kirchliche Pathos, die Enharmonie der alten Griechen, das Psalmengeiauchz der Chöre Assaphs, die unbeschreibliche Vielfachheit in Einem, ist allein noch in unserm Choralgesange einigermaßen[24] übrig. Ich und Stein, dessen musikalischer Geschmak vortrefflich ist, lauschten oft über die Blumengeländer der Orgel hinunter, und tranken die Töne der Gemeinde auf. »O« sprach ich oft in der Begeisterung zu ihm: »wann schmilzt einmal ein deutscher Assaph alles Große, Schöne und Edle der heutigen Musik, alle Vollkommenheiten der blasenden Instrumente, den schneidenden Zinken und die Hallposaune ia nicht zu vergessen, die Kraft der Orgel und aller Saiteninstrumente, mit diesen himmlischen Tönen der Gemeinde zusammen, und bildet daraus das fürchterliche Ganze, das ich immer in meiner Seele herumtrage und nirgends dargestellt finde!« – »So mags im Himmel zugehen,« sagte Stein,5 die Gluth dieses Gedanken fühlend, »auf dieser Welt wirst Du nur Theile dieses idealischen Ganzen finden.«[25] Da deklamirt' ich ihm die himmlischen Strofen unsers ersten Sängers, der, obgleich kein Tonkünstler von Profession, doch all dieß fühlte, ahndete:


– – – – – O es weiß der

Nicht, was es ist, sich verlieren in der Wonne!

Wer die Religion, begleitet

Von der geweihten Musik,


Und von des Psalms heiligem Flug, nicht gehört hat;

Sanft nicht gebebt, wenn die Schaaren in dem Tempel

Feirend sangen! und, ward dieß Meer still,

Chöre vom Himmel herab!


– – – – – Ach ich höre

Christengesang! ... Mit des Herzens

Einfalt vereint sich die Einfalt des Gesanges!

Und mehr Hoheit, als alle Welt hat,

Hebt sie gen Himmel empor.


Oben beginnt jezo der Psalm, den die Chöre

Singen, Musik, als ob kunstlos aus der Seele

Schnell sie strömte. So leiten Meister

Sie doch in Ufern daher.


Kraftvoll und tief dringt sie ins Herz; sie verachtet

Alles, was uns bis zur Thräne nicht erhebet;

Was nicht füllet den Geist mit Schauer;

Oder mit himmlischem Ernst.[26]


Himmlischer Ernst tönet herab mit des Festes

Hohem Gesang! Prophezeihung und Erfüllung!

Wechseln Chöre, mit Chören; Gnade!

Singen sie dann und Gericht!


Länger nun nicht, länger nicht mehr; die Gemeine

Sinket dahin, auf ihr Antliz zum Altare!

Hell vom Kelche des Bundes; eilt, eilt!

Strömt in der Chöre Triumph!


Ruhet dereinst dort mein Gebein, an der Tempel

Einem mein Staub; wo der Chorpsalm den Gemeinen

Tönt; so bebet mein Grab, und lichter

Blühet die Blume darauf,


Wenn, an dem Tag, als aus dem Felsen der Todte

Strahlte, der Preis in dem Jubel sich ihm nachschwingt;

Denn ich hör' es, und Auferstehung!

Lispelt ein Laut aus der Gruft.


»Das ist herrlich,« sagte Stein; »Du sollst doch nächstens was hören, das Dir gefallen soll!« Am Charfreitag holte mich Stein ab, und gieng mit mir ins Dom. Die Priester mit einigen Chorknaben sangen da das erhabene Miserere von Allegri und[27] einen Psalm nur mit einem Rükpositive begleitet, so trefflich, so in die Einheit Einer Himmelsempfindung verflößt, so in der vollen vierstimmigen Kraft und mit so auf der Herzenswage abgewogenen Tönen, daß ich Opern- und Kammerstil, alle Schnörkel, Läufe, Vorschläge, Kadenzen, und all den asiatischen Schmuk der neuesten Tonkunst darüber vergaß. Noch hallt es in meiner Seele nach, so mächtig drang es ein. – Abends wurde auf einem schönen von Freunden der Tonkunst erbauten Musiksaale ein Oratorium von Seifert aufgeführt. Obgleich die Ausführung besser seyn sollte; so fühlt' ich doch den Geist des trefflichen Komponisten tief in der Seele. – Seifert, er ist gestorben und die Palme des Nachruhms weht auf seinem Grabe – verräth zwar Grauns und Bachs Schule; aber sein eignes Genie gab ihm gewisse Eigenthümlichkeiten, welche selbst seine grosen Lehrer an ihm schäzten. Herzblut träufen seine Töne; hätte er über ein groses Orchester,[28] das sein Geist heischte, zu gebieten gehabt: so würden wir Meisterstüke vom ersten Range von ihm aufzuweisen haben. Ramlers Ino ist gewiß nicht besser gesezt worden, als es Seifert that. Das Spielende seiner Muse ist ihr nicht natürlich, sondern Gefälligkeit gegen das Publikum, das im Schlitten fahren will, ohne Schellen. Doch ich habe von diesem großen Meister das Nöthige bereits in der Chronik gesagt, und Stetten hat ihm ein Denkmal gesezt, das zur Nacheiferung für iunge Künstler bereits gedrukt ist.

Unter den vielen Virtuosen, die sich zu meiner Zeit in Augsburg hören ließen, waren einige, die diesen Namen verdienten: als der treffliche Geiger la Motte, der grose Hautboist Besozi, ein eben so groser, nur etwas bizarrer Theorist, der damalige starke Trompeter Weigel, und der süße Baritonist Lidl. – Der iezige Musikdirektor Graf weiß den Charakter seines Herzens[29] – das Schwermüthigschöne – auch seinen Kompositionen einzudrüken. Er hat ein paar Kantaten von mir trefflich in Musik gesezt. Fast kann ich mirs nicht verzeihen, daß ich diese Gattung von Dichtkunst, zu der ich gar viel Geschik hatte, nicht ausgebildet habe. Ich kannte die Eigenschaften des musikalischen Dichters, mehr aus der Erfahrung, als aus Krausens schönem Buche über die musikalische Poesie.6 Daher sezten die Musiker meine Verse sehr gern und leicht in Musik. In diesem Theile der Dichtkunst findet der Deutsche noch vieles zu thun. Die wahre geistliche Kantate ist beinah noch unbearbeitet, wie schon Herder und Göthe bemerkt haben. Freilich keinen Dryden, keine Ceziliaoden, haben wir; aber doch köstliche Oratorien von Niemaier und Sangstüke von Kosegarten.[30]

Unter meinen Freunden nenn' ich mit einer Anwandlung von Stolz Branders Namen, dessen Gesicht schon den grosen Mechaniker ankündigt, den Deutschland – selbst das stolze Britannien an ihm bewundert. Die Einfalt seines Lebens und die Bescheidenheit, womit er von seinen Erfindungen und grosen Bekanntschaften, worunter Könige und Fürsten sind, sprach, gab erst seinem Genie den wahren Werth. Ein Kästner und Lambert haben das Gewicht dieses Mannes bereits entschieden, und gezeigt, daß Brander mehr als Dollond sei.7 Lohn' und ermuntere den Deutschen; so wird er alles vermögen! –

Einige Originalzeichnungen von Nilson, die schönen Kopien in Sandstichen von Haid, verschiedene Stüke von Herz, der sich nur zu sehr durch seine fantastischen Kunstproiekte prostituirte, die meisten Medallien[31] von Bükle und die geschmakvollen Arbeiten der Gold- und Silberarbeiter – verdienen als die lezten Odemzüge der sterbenden Kunst in Augsburg bemerkt zu werden. Daß die Reichsstädte in allem so sichtbar herunter sinken, ist eine Folge der untergehenden Freiheit in Deutschland. Wien und Berlin, München und Mannheim, Dresden, Leipzig, und wenig andre Fürstenstädte sind eben soviel Riesenarme, die die Reichthümer und Künste der Reichsstädte an sich reißen, um sie auf diese Art ohne Schwerdtschlag von sich abhängig zu machen. Die treflichsten Köpfe sind Reichsstädter, aber so bald sie sich fühlen; so wandern sie in eine Fürstenstadt, um Brod und Ehre zu erwerben. Es kam kein Jahrhundert mehr anstehen; so müssen sich die Reichsstädte, um nicht ganz zu Grunde zu gehen, dem Kaiser, oder sonst einem mächtigen Fürsten von selbst unterwerfen.8 Die elende ökonomische[32] Verfassung, die eingerißnen schweren Misbräuche, die schimpfliche Furcht vor angränzenden Fürsten, Bischöfen oder Königen, der immer tiefer herabsinkende Geist aller Republikaner, ihre eigne kleine Denkungsart von sich selbst, indem auch unter ihnen der ehrenvolle Name eines Reichsbürgers beinahe lächerlich geworden ist – und tausend Haupt- und Nebenursachen weissagen eine ganz nah bevorstehende Veränderung der Reichsstädte.9 Die Bürger scheinen eine solche Katastrofe zu vermuthen, und leben meist, wie Leute die alles aufzehren, damit der Feind nichts mehr bei ihnen finde. Geh du, beobachtender Fremdling, an welchem Tage, zu welcher Stunde du willst auf die Spazierpläze, in die Lust- und Wirthshäuser[33] der Reichsstädter, du wirst sie von allen Arten Menschen angefüllt finden. Ich traf oft schon mit dem grauenden Tag Leute auf den sieben Tischen, einem ungemein reizenden Waldbusen bei Augsburg, oder auf dem Ablaß beim Kaffee, Wein oder Bier an, die in wahrer Herzenstraulichkeit alle zeitliche Sorgen zu vergessen, und nur dem geräuschlosen Vergnügen zu leben schienen. Nirgends werden die Sonn- und Feiertage, mit ihren angehängten blauen Montägen, die Geburts- und Namensfeste, Tauf-Hochzeit- und Leichenschmäuse, die Aderläsen – und noch unzählich andere oft lächerliche Anlässe zum Faullenzen und Schwelgen, genauer beobachtet, benuzt, ergriffen, als hier und in mehreren andern Reichsstädten. Alles hat zwar die Miene des Wohlstandes und der äuserlichen Ehrbarkeit; man scheint sich verabredet zu haben, ia nicht eines plözlichen und jähen Todes zu sterben, sondern langsam und bedächtlich mit Zählung iedes Pulsschlags ins Grab des Verderbens zu[34] taumeln; – inzwischen ist es doch Schwelgerei, die der billigste Gesezgeber für die unheilbarste Seuche des Staats hält. – Ich schweige, mit patriotischer Betrübnis meiner Seele, denn ich liebe die Reichsstädte, und darunter die hohe Augusta vorzüglich. – Wohl mir, daß ich es nicht erlebe, wenn ein künftiger deutscher Scipio auf den Trümmern der deutschen Republiken weint! –

Die beständige Thätigkeit, in der ich mich herumtrieb, ein auf alle Seiten gewandter Blik, die häufigen Gelegenheiten zum Verdienst für mich, die ermunternde Liebe meiner Freunde, machten mir Augsburg immer angenehmer; ia ich fühlte wieder ein Analogon von Ruhe meines Herzens, ie mehr ich mich der Ordnung und allgemeinen Brauchbarkeit näherte. Nirgends war ich beschäftigter als hier. Ich gab Lektionen auf dem Fortepiano, und hatte das Glük in kurzer Zeit ein paar tüchtige Subiekte zu[35] bilden, die sich öffentlich mit Beifall hören ließen. Ich spielte auf Orgeln, Flügeln und Klavieren allenthalben mit Beifall; ich gab Vorlesungen über die schönen Wissenschaften und Künste, hatte gelehrte und Künstlerversammlungen in meinem Hause, las die neusten Schriften und Partituren, benuzte Gemählde, Kupferstiche, Holzschnitte, Medaillen, Handzeichnungen, Gebäude – Manufakturen, Bibliotheken, Kunstsäle, gab Fremden Besuch, nahm Besuch, und schrieb dabei meine Chronik mit immer wachsendem Beifall fort; – machte auch Vorreden, Einleitungen zu andern Werken, Gelegenheits- und andere Gedichte häufig, bald gut bald schlecht, nachdem meine Seele gestimmt war. Einige junge Kaufleute baten mich um eine für sie begreifliche Encyklopädie; ich entsprach ihrem Ansuchen. Man schrieb mir das Gesagte halb und links verstanden nach, und ein Buchhändler in Münster gab es zerstükelt, planlos, iämmerlich gestaltet, voller Knabenschnizer, mit vielen von fremder[36] Hand eingeschalteten Anmerkungen heraus, nachdem ich schon gefangen war.10 Ich hielt es für eine wahre Kreuzigung meines Fleisches, als ich dieß Todengerippe in meinem Kerker zu Gesicht bekam. – Meine Absicht war, ein Handbuch für alle Künstler zu schreiben – für Mahler, Kupferstecher, Bildhauer, Stein- und Stahlschneider, Baumeister, Tonkünstler, Schauspieler und Tänzer; wo sie alle für ihre Kunst nöthige wissenschaftliche Vorbereitungen finden sollten, als: Fabel und Altertumslehre, kurze Geschichte ihrer Kunst, Philosophie der Kunst, (wohin ich die Physiognomik, Pathognomik, aesthetische Grundsäze von Schönheit, Harmonie, moralischem Sinne des Künstlers, Genie, Wiz, Laune, Licht und Schatten,[37] Originalität, und Nachahmung, und die Grundsäze der Erfindungskunst rechnete;) vom Kostume oder dem Ueblichen – und dergleichen Dinge mehr, die der wahre Künstler wissen soll und muß. Aber mein nachheriges Schiksal in Augsburg hat diesen Plan verstürmt, den ich nun einem andern fähigen Kopfe – etwa meinem lieben Junker zur Ausarbeitung empfehle.11

Einer meiner hervorstechendsten Karakterzüge war es, daß ich nichts für mich allein behalten konnte, es sei Geld oder Wonnegefühl über eine schöne Naturszene, über ein Kunststük, oder ein trefliches Buch. Ich mußte mitteilen, oder bersten. Wenn ich vom Luginsland12 aus, die schöne[38] Gegend um Augsburg mit trunknem Auge maß, wenn ich eine neue schöne Komposition vor mir liegen hatte, oder wenn ich in meinen Lieblingen las; so drang ich mit feurigem Ungestüm auf den blikenden, oder horchenden Freund, und ruhte nicht, bis er mir Beifall zuglühte, oder wie ein Pagodenkopf zuwakelte. Daher entstanden die Lesestunden, die ich zu Augsburg in Privathäusern und öffentlichen Sälen anstellte, und damit eine merkliche Revolution im Geschmake veranlaßte. Ich las anfangs die neusten Stüke von Göthe, Lenz, Leisewiz, und die Gedichte aus den Musenalmanachen mit eingestreuten Erklärungen vor, und da ich großen Beifall erhielt; so wählte ich Klopstoks Messias, um an einem wichtigen Beispiel zu sehen, ob sich die Odeen der Alten auch auf deutschen Boden verpflanzen ließen, und ob ein Rhapsode auch unter[39] uns sein Glük machen würde. Mein Odeum war der schöne Musiksaal auf dem Bekenhause, und da ich nebst einer natürlichen Anlage zum Vorlesen, mich von Jugend auf darin übte, auch meinen Autor fast auswendig wußte: so war ich kein schlechter Rhapsode. Der Erfolg war über meine Erwartung groß. Mit iedem neuen Gesange vermehrten sich meine Zuhörer; der Messias wurde reissend aufgekauft; man saß in feierlicher Stille um meinen Lesestuhl her; Menschengefühle erwachten, so wie sie der Geist des Dichters wekte. Man schaurte, weinte, staunte, und ich sah's mit dem süßesten Freudengefühl im Herzen, wie offen die deutsche Seele für iedes Schöne, Große und Erhabene sei, wenn man sie aufmerksam zu machen weiß. Eine große, wahre Bemerkung fiel mir gleich schwer aufs Herz: wo wenig Kultur ist, wird Klopstok viel mehr goutirt, als wo viel Kultur ist. Der gröste Lobspruch für den Dichter, denn er hat dieß mit dem Geiste des Christentums[40] selbst gemein, der in einfältigen kindlichen Herzen leichter Eingang findet, als in vollgefüllten satten, und ekeln Seelen, denen man vorher ein Vomitiv geben muß, eh' sie zur Ertragung der starken Naturkost wieder fähig werden.

Klopstok fand in Augsburg allenthalben Bewunderer, unter Katholiken und Lutheranern, Edlen und Unedlen, Männern und Weibern. Man wiederholte den abgelesenen Gesang zu Hause, fragte mich über schwere Stellen,13 und fühlte nicht selten die Kraft[41] seines hohen Genius. Der richtigste Beweis, daß es noch sehr viele unverdorbene[42] Seelen hier gebe. Eine Erfahrung hab' ich mehrmals angestellt, daß vom achten Gesang[43] an der Strom der Empfindung und des Beifalls etwas zu stoken schien. Man verlangte die Hinausführung des Messias zum Tode mit anzusehen, um daran herzlichen Antheil nehmen zu können. Der Katholike sonderlich paßte auf die vielen Hinfälle Jesu unter der Kreuzeslast, und auf die Episode der Veronika; aber statt dessen nimmt ihn der Dichter mit unter den feirenden Kreis der Engel auf dem Todeshügel, und läßt ihn Gesänge und Reden der Engel, und gestorb'ner Heiligen hören. So schön diese auch einzeln sind, so beinahe wirkungslos glitschen sie am Herzen ab, wenn sie im Fortgang der Handlung auch vom sorgfältigsten Rhapsoden gelesen werden. Die Messiade ist eine Piramide, unten breit und sichtbar, in der Mitte von Gewölk umflossen, und oben, wo sie sich zuspizt, nur noch durch ein künstliches Sehrohr sichtbar. – Man fühlt es, daß der Verfasser unter der Arbeit seinen Plan verändert, und am Ende, sonderlich in den Triumphgesängen[44] etwas gekünstelt habe. Daher sind die Empfindungen des Hörers beim Vorlesen so wandelbar – wie Fieberstöße, mit Hiz und Frost abwechselnd, und gleichen nicht immer der gemäsigten Lebenswärme eines Gefunden. Auch fielen meine Zuhörer öfters mehr auf die Bewunderung des Dichters, als auf die Größe und Wichtigkeit des behandelten Gegenstandes, der doch das eigne Interesse des Dichters, wie das Universum einen Lichtstral verschlungen haben sollte. – Doch meine Seele ist im Augenblik, da ich dieses schreibe, zu trübe, als daß ich mich über einen so wichtigen Gegenstand weiter ausbreiten könnte. Genug, wenn ich noch hinzuseze, daß ich aus einer achtundzwanzigiährigen Erfahrung die Würkungen der Messiade auf mich und andere, vielleicht mehr, als irgend iemand in Deutschland kenne, und ihren moralischen und poetischen Werth, sonderlich ihren großen Einfluß auf die Veredlung der deutschen Sprache so anschauend als möglich erkannt habe. Bei allen Fehlern, die[45] dieß unsterbliche Werk würklich hat, ist bei unserer gegenwärtigen Kleinheitssucht, die alle Herzen täglich mehr verengt, schwerlich etwas größeres und besseres zu erwarten. Unsre besten inngen Dichter, die Zedern oder Eichen pflanzen könnten, sind zufrieden, alliährlich ein Blümchen zu den Musenalmanachen geliefert zu haben, und von irgend einem Modenäslein beschnupft worden zu seyn. – O Schande – ihr nennt euch Barden, Minnesänger; aber Knaben, Toilettenpuppen seid ihr!! – Du aber Klopstok, leb wohl! ich hoffe dich dorten zu sehen, von Schlaken gesäubert, und deiner Freundschaft würdiger, als hier! –

So viele Geschäfte, die mir alle reichlich bezalt wurden, hätten mir das bequemste Leben verschaffen können, wenn ich die Kunst zu leben baß verstanden hätte. Es war zwar Labsal für mein Herz, daß ich meine arme Familie wieder unterstüzen konnte; inzwischen schwebt' ich doch immer noch[46] mit einem Fuß' in der Luft. Ich begieng gleich Anfangs die Unvorsichtigkeit, (eine Furie, die mich immer geisselte) den gefallenen Jesuiter-Orden anzugreifen,14 der[47] nichts weniger als todt, sondern nur ein gefallener Riese war, der alles, was sich ihm zu dreist näherte, mit der Faust niederriß, und nicht selten in freier Luft zermalmte ... Ein Stein zu meinem Kerkergewölbe! – Gleich darauf mischt' ich mich in Gaßners Sache; – der zweite Stein zu meinem Kerkergewölbe! –

Man hat es in Berlin15 an mir geahndet, daß ich so thöricht seyn, und mitten unter Vertheidigern des Wahnsinns, den Wahnsinnigen antasten könnte: und man[48] hatte recht. Auch nach meinen gegenwärtigen Grundsäzen bin ich fest überzeugt, daß Gaßner der Mann nicht war – nicht seyn konnte, der die unglaubige Welt von dem Einfluß und der Gewalt der Dämonen auf den Menschen überführen sollte. Sein Leben und seine Schriften, die theatralische Buffongestalt seiner Exorzismen, die unzählichen meist unglüklichen Versuche, wodurch er sein Ansehen selbst im abergläubischen Ellwang verlor; – und mehr als all dieß, das ganz und gar Schriftwidrige in seinem Verfahren überführen mich noch iezt, daß der[49] ganze Gaßnerische Lerm eine Schwaben sehr entehrende Komödie war. Aber alle diese Ueberzeugung berechtigte mich doch nicht, diesen Mann mit unaufhörlichen Spöttereien zu neken, und mir dadurch selbst Lavaters Misfallen zuzuziehen. Da sich die Jesuiten, Gott weiß warum? der Gaßnerischen Sache annahmen; so vermehrte sich ihr Haß gegen mich, der nun schon heimlich in Nachstellungen, öffentlich in Anklagen bei der Augsburgischen Obrigkeit, und endlich in Schriften und Verfolgungen bis in die Gruft meines Kerkers hinein ausbrach. Meine Sicherheit nahm in Augsburg mit iedem Tage ab. Wohlmeinende Freunde mußten mich des Nachts begleiten, um mich vor den Anfällen der Jesuiterschüler zu schüzen, die mir an allen Eken und Winkeln aufpaßten.16[50] Der wahre Gedanke, »der Jesuiter-Orden hätte der Wahrheit mehr geschadet als genuzt,« und das Lob des unsterblichen Ganganelli, das ich häufig in meiner Chronik ausstreute, zog mir sogar eine gerichtliche Ahndung und Bestrafung zu. Da ich aber selbst von den verständigsten Katholiken gelobt und ermuntert wurde, in meinem Eifer fortzufahren; so glaubte ich immer noch fest genug zu sizen. Einige der wichtigsten Männer von katholischer Seite waren mir sehr geneigt, und gaben mir oft heimliche Aufträge, die sie gut bezahlten.

Ich habe nicht selten an der Seite eines weisen Katholiken die rasenden Aufzüge der Jesuiterschüler verlacht, die öffentlich in den lächerlichsten Simbolen die ganze Grammatik,[51] Rhetorik, Logik, und Metaphysik – und zur Abwechslung auch eine Garküche vorstellten. Da tritt bald ein Jüngling als Vokativus, als Enallage, als Syllogismus, als Monas, – und bald darauf als Bratwurst, oder Kalbsschlegel auf. Ein Aufzug, der Unsinn und nicht komisches Salz verräth. Vielleicht würde ein deutscher Shakespear eine solche Szene benuzen können – wie ich denn überhaupt den deutschen dramatischen Dichtern und Romanschreibern rathen möchte, die katholischen Provinzen Deutschlands fleißiger zu bereisen, wenn sie ia Originale und lebendige Karrikaturen finden wollen. Auch ihr komisches Salzlager würden sie dadurch ungemein vermehren; denn hier ist das Komische zu Haus. Der Lutheraner lächelt, der Katholik aber schlägt hohe Herzenslache auf. – Wie überall, so fand ich auch hier die edelsten Seelen oft mitten im Gedränge des abergläubischen Pompes. Eine der schönsten Stunden bracht' ich bei den sogenannten Englischen Nonnen[52] zu, die hier sehr viel Freiheit haben. Die Aebtissinn war damals eine deutsche Gräfinn mit Reizen geschmükt, die man sehr ungern unterm Schleier verblühen sah. Sie spielte das Klavier sehr artig, sang ungemein schön, meist deutsche Stüke, hatte deutsche, französische und englische Belesenheit, und sprach von allem was sie wußte, mit so liebenswürdiger Naivetät, daß sie alle Herzen gewann. Sie erwies mir viel Ehre, und nie werd' ich diese reizende und zugleich so liebreich sittsame Priorinn vergessen können.

Mitten unter diesen glänzenden Bekanntschaften (darf ich auch ein Veilchen auf dein Grab pflanzen, edler Stiftsherr Bassi?) war der Boden unterminirt, auf dem ich stand, – mit Pulver gefüllt – und schon wurde die Lunte geschwungen, welche die Mine entzünden, und mich armen Pilgrim in die Luft sprengen sollte. Ich saß an einem ruhigen Abend unter einem Chor trauter und bewährter Freunde. Ein[53] fremder Kavalier besuchte mich. Ich spielte einige Fantasien auf meinem Steinischen Klavier mit Empfindung. Vertraulichkeit und helle Freundschaft leuchteten alle Gesichter herunter. So arg ich war, so brütete ich doch nichts Böses gegen irgend einen Menschen in der Welt. Dieß machte mich sicher, denn ich maß alle Menschen nach mir. – Plözlich wurde mein Haus von Soldaten umstellt; einige drangen die Treppen herauf; ein Abgeordneter vom regierenden Bürgermeister Katholischer Seits, trat ins Zimmer, und kündigte mir Arrest an. Zugleich nahm er alle meine schriftliche Sachen hinweg, versiegelte meine armselige Haabschaft, und wollte sogar den Anwesenden die Taschen aussuchen. Der Kavalier sezte sich in sehr derben Ausdrüken gegen eine so unverschämte Zumutung, nahm Abschied und ging mit der ganzen Gesellschaft weg. Ich blieb allein – bei einigen Soldaten, die mich im Zimmer bewachten; die übrigen waren an die Treppen und Hausthür[54] gepflanzt. Ein alter ehrlicher Kerl, den ich zur Bedienung angenommen hatte, wurde in die Eisen geschleppt, und wegen meiner, wie in ein peinliches Examen genommen. Meine Freunde, die eine ansehnliche Partei bildeten, machten Lerm, und die ganze Stadt kam in Bewegung. Noch in der Nacht drängte sich der Eisenberg, an dem ich wohnte, von Menschen an, die alle den Tag erwarteten, um einen Verbrecher der schreklichsten Art vorführen zu sehen. Denn man gab mir im Unsinn des ersten Lerms die teuflischesten Dinge Schuld. Die Kaufleute evangelischer Seits, waren die ersten, die sich meiner annahmen. Sie brachten mir durchs Fenster einige Burgunderflaschen zu. Nach einer schlaflosen Nacht kam mein Verleger zu mir, der für seinen Autor bereits einen harten Kampf gekämpft, und die Freiheit erhalten hatte, daß man mich besuchen dürfte. – Und nun stand mein Tisch in einem Augenblik voll von Speisen und Trank, die mir meine Freunde[55] zutrugen; und in alle Taschen wurde mir Geld gestekt. Nichts war mir rührender, als der Anblik eines vierzehniährigen Klavierschülers von treflicher Anlage, der mich besuchte, sein Geschenk auf den Tisch legte, sich plözlich wandte, kein Wort sprach, einige gebrochne Töne aus dem Klavier herausängstete und – laut zu weinen anfieng. Ich drükte ihn fest an mein Herz, den blühenden, gefühlvollen Jüngling, nezte seine Stirne mit meinen Thranen, und nahm Abschied von ihm.17

Meine Partei schwoll immer mehr an: die Häupter des protestantischen Senats sezten sich offenbar gegen ein so gewaltsames Verfahren, und drangen darauf, mir sogleich meine Freiheit wieder zu geben. Dieß geschah; doch wurd' ich vorher noch zum Bürgermeister von Rhem unter einer[56] Flut von Pöbel geführt, der mir ohne Umstände ankündigte: daß ich sogleich auf Befehl der hohen Obrigkeit die Stadt zu räumen hätte. »Und mein Verbrechen, Ihr Gnaden?« – Wir handeln nicht ohne Ursache, und das mag Ihnen genug seyn. –

Und nun hatt' ich abermals meinen derben Abschied, nicht geschrieben, sondern herausgezürnt – den Abschied von einer Stadt, die ich liebte, und in der ich mein Leben zu beschließen wünschte. Kein Wunder wärs, wenn so plözliche, tobende Umschwünge meines Schiksals, – dieß beständige Hin- und Herzerren von Ehre und Schande; diese Fülle, diese Armut, diese gemachten und zerrissenen Freundschafts-Bündnisse, dieß Schweben zwischen Himmel und Erde, zwischen Luft und Wasser, zwischen Gott und Verzweiflung, – ia wenn dieß alles mich rasend gemacht hätte. Ich war kaum zu Hause angelangt; so standen meine lieben Freunde um mich her, alle[57] stumm, alle den bangen Abschied im Busen tragend; alle mit schimmerndem Blik, und Mitleid verkündender Wange auf mich hinblikend. – »Was wollt ihr von mir, Ihr Lieben? – Ich bin ein elender Kerl! – Werde geiagt von einem Orte zum andern – und« – – O das Herz sprang mir und die lüftende Thräne stürzte in schnellen Tropfen nieder. Ich schlug mich vor die Stirne: »So gute Seelen verlassen!« das wars, was ich sprach, und meine Wange troknete nicht, solang ich noch in Augsburg war. In einigen fliegenden Minuten – Tod lag in einer ieden – nahm ich Abschied von allen meinen Lieben – auch von dir, theurer Mertens! – und zog, von einer diken Schaar meiner Vertrautesten begleitet, zum Thore hinaus, um auf dem nächsten Dorfe den Postwagen zu besteigen. Das weite Gefild lag voll tiefen Schnees, den meine Freunde mit mir durchwateten, um sich noch einmal mit mir zu lezen. Tiefer rührte mich nichts, als einer[58] meiner Zuhörer, der mir nachfuhr, und Burgunder in seinem Wagen hatte, den er mir und seinen Freunden weihen wollte; aber der Wagen ward umgeworfen, und mein Freund brach den Arm. – O wie unwürdig war ich, von so vielen edlen, guten, gefühlvollen Seelen geliebt zu werden. Segne sie, Gott, mit deinem besten Segen! Ich umarmte alle meine Brüder mit lautem Schluchzen, und nahm Abschied – Abschied! ein abscheuliches Wort, wenn kein andres Leben wäre.

1

So war es damals. Hat sich doch seitdem gar vieles verändert. Verträglichkeit und weise Duldung verbreitet sich auch in Augsburg. Was gehen uns die Nachtvögel an, die Finsterniß und Trümmer lieben:?

2

Noch lebt des alten Urlspergers Sohn ein erleuchteter Gottesgelehrter.

3

Ein wenig Patrizierstolz ist doch in den Schriften des guten Stetten nicht zu verkennen.

4

Es stäuben da doch immer noch Funken von Kunstanlagen, und Augusta hat gewiß nicht den gallichten Tadel im Schwäbischen Lexikon verdient. Ueberhaupt hat das Heruntersinken Augsburgs mit andern deutschen Reichsstädten einerlei Ursachen. Nicht allein Fehler in der Regierung, – Leviathan Aristokratismus, vor dem die kleinern Fische des Meers zittern, – sondern auch Luxus und zum Theil Trägheit der Bürgerschaft, – meist aber die Nähe gewaltiger Fürsten, die so manche Reichsstädte mit den Fluthen ihrer Macht umbrausen, wie der Ozean die Inseln, – tragen bisher die Schuld der sichtbaren Abnahme so mancher Reichsstädte.

5

Er wird nun seines Glaubens leben; denn er ist wenige Wochen nach meinem s. Vater auch hinübergegangen in jene bessere Welten. Sein Ruhm wird bei der Jezt- und Nachwelt nie sterben.

D.H.

6

Das für unsere Zeiten wieder aufgelegt werden, und mit mehreren deutschen Beispielen, an denen wir iezt reicher sind, als damals, bereichert werden sollte.

7

Nur Herschel überflog ihn hernach.

8

Könnte aber auch nach den Zeichen der iezigen Zeit wohl ganz anderst ausfallen; ia, Stollbergs Idee von allgemeiner Freiheit in Deutschland könnte früher realisirt werden, als im 20sten Jahrhundert.

9

Hamburg und Frankfurt halten sich doch immer hoch oben, weil da mehr Bürgergeist, als Patrizierstolz herrscht.

10

Die Herrn Rezensenten wußten dieß; und doch fielen einige von ihnen, besonders der in der allgemeinen deutschen Bibliothek so unbarmherzig über den armen Gefangenen her, als ob er die Schrift selbst mit der nüchternsten Besonnenheit ins Publikum gegeben hätte.

D.H.

11

Gedachter Grundriß der schönen Wissenschaften ist hernach von dem Professor Hißmann in Göttingen sehr gut umgearbeitet worden. Man las auch, und liest noch auf einigen Akademien darüber.

12

Luegin's Land; oder nach der Etymologie: Schau naus in's Land, ein herrlicher Ausblik auf dem Augsburger Walle.

13

Das stürmende Getümmel zu Ende des 16. Gesangs bei der Höllenfart Christi, hab' ich aller Sorgfalt ungeachtet, nie so deklamiren können, daß es den gehofften Eindruk bei den Lesern machte. Ich bewundre die Gewissenhaftigkeit des Dichters, mit der er an der Geschichte hieng, die von der Höllenfart nichts sagt, als: – »er zeigte sich den Teufeln zum Schreken.« – Aber dieß blose Zeigen, dieß Nichtsprechen, hat Leser und Hörer, soviel ich deren kenne, nie ganz befriedigt. Zudem stehen die schwarzen Farben ohne Lichtblike, so dik aufeinander, daß kein Auge dieß Chaos lange aushalten kann. Die gedrängte Sprache, die kühnen Vorstellungen, die gigantischen Bilder – Trümmer, wie im Donner niedergeworfen; machen einem die Deklamation so sauer, daß ich immer Brustschmerzen bekam, so oft ich diese Stelle deklamirte.

Zum Beispiel will ich Jünglingen, die sich in der Deklamation üben wollen, nur folgende Stelle hieher sezen; (ich wollte wetten, daß sie manche Männer nicht lesen können):

– – »weit, da er kommen höret, sahe

Jesus, da schwebt' in der Wonn' hinaus in die Schöpfung, eilte

Abdiel wieder zur Pforte der Hölle, rufe' es dem andern

Hüter, eröffnete wankendes Ungestüms, daß die Riegel

Klangen hinab, und die Angeln ins ewige Grab.«

Stürmende Eile herrscht in dieser Stelle, und doch mußte sie, nach meiner Empfindung folgende Schattirungen durch die Deklamation bekommen:

Weit – bis Jesus – ernst, feirlich, staunend. Um deutlich zu werden gibt man dem Worte weit einen scharfen Ton, macht eine kleine Pause, und fällt bei den Worten: da er kommen s.f. beinah um eine Quart. Die Wörter: hörete, sahe, werden langsam ausgesprochen, und das darauf folgende Jesus sehr feierlich. – Da bis Schöpfung – etwas geschwind piu allegro – schwebend, ohne Tonfall.

Eilte bis eröffnete – geflügelt schnell: versteht sich der deutlichen Aussprache, und Bemerkung der Abschnitte unbeschadet. Da von dem Worte Abdiel die Deutlichkeit der ganzen Stelle abhängt; so muß es stärker und erhobner, als alle übrigen Worte deklamirt werden.

Wankendes Ungestüms – bis Grabdescrescendo, diminuendo der Stimme, und Hinschweben vom Fluge des Presto, bis zum feierlichen Gange des Maestoso.

Auf diese Art getraut' ich mir über die dunkelste Stelle Licht und Deutlichkeit zu verbreiten. Gäb' es Noten für die Deklamation; so wollt' ich mich noch deutlicher über dieß Thema ausdrüken. Aber es gibt leider keine, und es wäre doch möglich, sie zu finden.

14

Sie nahmen besonders folgenden Artikel so hoch auf:

»Die Zahl der Freunde und Vertheidiger des Jesuiterordens vermindert sich täglich. Die Partei der Großen und der Verständigen ist gegen sie. Daß hie und da katholischer Pöbel noch einen Seufzer für sie zum Himmel schikt, macht's nicht aus. Die Welt sieht nun einstimmig ein, daß die Verdienste dieses Ordens nicht so groß gewesen, als man anfangs glaubte. Die Katholischen machen nun die herrlichsten Erziehungsanstalten ohne Beistand der Jesuiten, und wir Protestanten haben schon längst in allen Theilen der Wissenschaften Meister aufzuweisen, ohne unsre Weisheit aus den Schulen oder Schriften der Jesuiten geholt zu haben. In der Mathematik und Physik hatten sie einige sehr gute und brauchbare Männer; in allen andern Wissenschaften aber würd' es schädlich seyn, ihre Grundsäze fortzupflanzen. Ihre Theologie ist ein weitläufiges scholastisches Gewirre, was das Herz nicht besserr, und den Verstand mit unnüzen Subtilitäten anfüllt. Ihre Methode, die Philosophie zu lehren, ist steif und geistlos. Schwimmt auch hie und da eine große Leibnizische Idee in ihren Systemen; so erstiken sie sie wieder in ihrem eigenen Wuste. Ihre Moral ist verderblich und dem Staate nachtheilig, und in den schönen Wissenschaften haben sie kaum etwas mehr gethan, als – gefallt!«

Jahrgang 1775 p. 106.

Man darf in unsern neusten Schriften über diesen Orden nicht lange blättern, um diese Wahrheiten noch weit stärker ausgedrükt zu finden.

D.H.

15

Der Artikel in der Chronik hierüber, der soviel Geschrei erregte, lautet also:

»Der Pfarrer Gaßner zu Klösterte fährt fort, den dummen Schwabenpöbel zu blenden. Er heilt Hökker, Kröpfe, Epilepsien – nicht durch Arzneien, sondern blos durchs Auflegen seiner hohepriesterlichen Hand. Kürzlich hat er ein herrliches Buch herausgegeben, wie man dem Teufel widerstehen soll, wenn er in Menschen und Häusern rumort. Und da giebts noch tausend Menschen um mich her, die an diese Narrheiten glauben. – Heiliger Sokrates, erbarme dich meiner! Mann hören wir doch einmal auf, Schwabenstreiche zu machen?«

Jahrgang 1774 p. 589.

16

Damals hatte mich mein seliger Vater als neunjährigen Knaben zu sich gerufen, und schikte mich zu dem würdigen Rektor Meriens, in die Schule. – Ich schlief mit ihm in einem Bette. Die Jesuiterhuben trieben ihre Wut so weit, daß sie Nachts Fauststeine zu unsern Fenstern herein warfen, und uns nöthigten, unter der Bettstatt zu übernachten, um nicht todtgeworfen zu werden.

D.H.

17

Er ist iezt einer der ersten Flügelspieler in Italien.

Quelle:
Schubart, Christian Friedrich Daniel: Schubart’s Leben und Gesinnungen. Zweiter Theil, Stuttgart 1793, S. 1-60.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Droste-Hülshoff, Annette von

Ledwina

Ledwina

Im Alter von 13 Jahren begann Annette von Droste-Hülshoff die Arbeit an dieser zarten, sinnlichen Novelle. Mit 28 legt sie sie zur Seite und lässt die Geschichte um Krankheit, Versehrung und Sterblichkeit unvollendet.

48 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon