XVIII.

[60] Eh ich mit dem Postwagen fortfahre, muß ich den Antheil noch preisen, den der warhaftig edle von Stetten an meinem Schiksal nahm. Er schikte mir seinen Bedienten nach, da ich schon vor den Thoren war, und ließ mich seiner Theilnahme und Unterstüzung versichern. Es war aber zu spät, um sie benuzen zu können. Ich habe nachher, so stark man in mich drang, feierliche Genugthuung zu fordern, die ganze Sache liegen lassen, wie sie lag, da ich zumal nicht gesonnen war, meinen Aufenthalt noch einmal in Augsburg zu suchen. Die Klippen schrekten mich. – Und nun saß ich im Postwagen, mit den Nachwehen der grausamen Trennung von meinen Augsburgischen Freunden belastet, und noch härter von dem Gedanken gepeinigt: welche rauhe Pfade die ewige Vorsehung (denn an dieser zweifelte[60] ich nie, selbst in der diksten Nacht meiner Verirrungen nie,) mich zu führen beschlossen habe. – Ich kannte Menschen von äußerst mittelmäßigen Fähigkeiten, die ihr gutes Fortkommen hatten, und in Ruh und Gemächlichkeit lebten; – und nur ich! nur ich stieß allenthalben an: konnte mit so mannichfaltigen Talenten mich nirgends lange erhalten, wurde von Provinz zu Provinz fortgestoßen, mußte mein Leben wie ein verschossener Vogel in steter Angst und Kümmernis zubringen, und wußte bald nicht mehr, wo mein Fuß ausruhen sollte. Alles war Fluth um mich, und nirgends eine Arche! Ich behielt indessen immer die Selbsterkenntniß, daß ich mich allein zum Urheber meiner Unfälle machte, und alle andre Menschen, selbst meine grimmigsten Hasser von der Schuld lossprach. »Wer heißt dich,« sprach ich zu mir selber, »die friedlichen Zirkel der Menschen durch dein Ungestüm stören!« – Solche Gedanken marterten mich, und zogen einen diken Schleier[61] über mein Angesicht. – Ein Preußischer Offizier, der neben mir saß, bemerkte es. – »Zum Dövel, man muß auch nicht immer den Kopp so hängen,« sagte er sehr treuherzig zu mir. Sie verloren viele gute »Freunde, wie ich gesehen habe; aber sie werden wieder andre finden. – Ich weiß, es thut weh, wenn man seine Kameraden verliert, – meine Liebsten sind mir zuweilen an der Seite todtgeschossen worden. Aber die Welt ist groß, sie hat der Menschen viele – gewiß gute Kerls, wenn man sie nur zu suchen weiß ...« Ich sprach vieles mit diesem braven Offizier, und entdekte mich ihm sogleich mit der grösten Vertraulichkeit: denn kein Mensch konnte zur schnellsten Brudertraulichkeit aufgelegter seyn, als ich es war. Er kannte mich bereits aus dem Rufe, und war erfreut mich bei sich zu haben. Diese Bekanntschaft gab mir wieder einigen Mut: denn ich ängstete mich als es Günzburg zugieng, weil ich durch die Gaßnerische und Jesuitische Geschichte[62] weit verschrieener unter den Katholiken war, als weiland der Bairische Hiesel. Als ich zu Günzburg in die Gaststube trat, fand ich ein ganzes Rudel dikwampiger Pfaffen um einen Tisch herumsizend bei'm Bierkrug. Eins meiner lezten Blätter, lag vor ihnen. – Man denke sich mein Schreken, als ich sie in ihrem Hottentottendialekt brüllen hörte: »Jezt hand mer den Galgenkerl, den Schubart! werden 'm wohl d' Zung rausschneiden, und da Käza lebendig verbrenna. Dann schreib, Hund!« So löhrten sie aus ihren diken Braunbierkehlen, und schlugen auf den Tisch, daß die Gläser klirrten. Nur Einer unter Allen, – der einem weltlichen Beamten glich, und unstreitig der Aufgeklärteste dieses robusten fanatischen Zirkels war – ließ mir noch einige Gerechtigkeit wiederfahren, und strengte alle Sprachorgane an, um diesem rohen Haufen begreiflich zu machen: daß mein nun leider mit mir eingekerkertes Blatt ihnen allerseits doch manche frohe[63] Stunde gewahrt; manches Nüzliche und Angenehme enthalten hätte; s.w. Er verwieß ihnen mitunter ihr liebloses allzustrenges Urtheil über mich. Aber seine bessernde Moral wurde bald von dem wildbrausenden Strome ihrer Lästerungen verschlungen. Der Wirth, – daß ich dieses sonderbare Gemälde ganz vollende – in dem nichts weniger als eine Sokratische Seele lag, staunte, und horchte dem Allem von ferne, in frommer Einfalt, mit weit aufgerißnem Maul und Augen zu. – Welch ein Willkomm für mich! Der Odem trat mir zurük, als ich auf diese Schlächtergruppe hinsah, die mich aus den vielen Portraits, die von mir umherliefen, so leicht erkennen konnten. Indessen sammelte ich mich bald, mischte mich mitten unter's Gelage, und schimpfte zehnmal ärger auf mich als sie; so daß sie meine Suade bald mit Lobsprüchen überhäuften. Die Nacht hindurch hatt' ich meinen treuen Pudel zum Wächter, den ich auf meine Brust legte. Mit dem grauenden[64] Morgen zog ich meine Strasse, und schüttelte mich, wie ein Geretteter am Ufer, als ich Günzburg auf dem Rüken hatte. Mein Preuße gab mir einen andern Namen, und so kam ich sicher aufs Ulmische Gebiet. Wie erweiterte sich mein Herz, als sich der ehrwürdige Münsterthurm aus blauen Düften enthüllte, und als ich endlich nach vielen schlaflosen und kummervollen Stunden in Ulm anlangte, woselbst ich bereits von einigen guten Freunden erwartet wurde. Mein Preußischer Begleiter trank eine Flasche Burgunder mit mir, klopfte mir mit Soldatischer Derbheit auf die Schulter, und sagte beim Abschied: »Herre, sind Sie man gut Preußisch, so wird Ihnen kein Teufel was thun!«[65]

Quelle:
Schubart, Christian Friedrich Daniel: Schubart’s Leben und Gesinnungen. Zweiter Theil, Stuttgart 1793, S. 60-66.
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