Jupiter und Semele

[378] Von des Olympos Donnerhöhe sah

Einst Jupiter die schöne Semele,

Wie sie im Thale Wiesenblümchen pflückte.

Sie lächelte im Rosenflor der Jugend,

Und Schönheit warf um sie den Silberschleier,

Aus Morgengold und Maienlicht gewebt.


Des Götterkönigs und des Menschenvaters

Von Liebe trunkne Seele fluthet auf,

Den Donnerkeil legt' er aus seiner Rechten,

Er streifte von sich ab die Götterhülle,

Die den Olymp mit Einem Wink erschüttert

Und unsre Erdax' knarren macht.

Als goldgelockter Jüngling kam er nun[378]

Und trat vor Semele im leichten Jägerkleide.

Doch Semele war tugendhaft; sie liebte

Den schönen Jüngling zwar; jedoch den Gürtel

Der Keuschheit ihr zu lösen, verstattet sie ihm nicht.

Doch leicht gewinnt ein Gott des Mädchens Herz.

Zeus bin ich, sprach der Menschgestaltete,

Mit Welten lohn' ich dir der Unschuld Opfer.


Viele süße Stunden flogen nun

In seiner Semele Umarmungen

Dem Gott der Götter goldgeschwingt,

Wie Himmelsfrühlinge, vorüber;

Die grollende Saturnia erfuhr's.

Die sann auf Rache. Weh' dir Semele!

Der Götter Königin ist deine Feindin!


Zu einer alten Base schrümpfte sich

Der hohen Juno Götterbild zusammen;

Durch Schmeicheleien und durch Trug gewann

Sie bald des offnen Mädchens Herz.

Zeus liebt mich! sprach sie. Die verstellte

Saturnia lacht hoch darob – Zeus meinst du?

Zeus liebe dich? sagt boshaft lächelnd sie:

Ha, ein Verführer

Will unter dieser Larve dir das Gold

Der Unschuld rauben. Mädchen, traue nicht.

Versuch' ihn, sag', er möge sich einmal

In seiner furchtbarn Majestät dir zeigen!

An seiner Erdenschwäche wirst du bald

Des eingeschleirten Gottes Trug erkennen.


Saturnia entfernte sich und ließ

Das zitternde Mädchen mit dem Dolche

Des Kummers in der hohen Halle stehen.


Und Zeus erschien in der gewohnten Hülle.

Du bist nicht aufgeräumt, o Semele!

Ich muß es wohl, denn du hast mich betrogen.[379]

Ein Gott? dich? – Ein Gott wärst du? o geh Betrüger,

Du bist ein erdgeschaffner Mensch, und ach,

Das Gold der Unschuld hast du mir geraubt.


Thränen perlten auf der Semele Gesicht.

Und Zeus begann zurückgebogen: Welche

Des Orkus Schoß entstiegne finstre Macht

Vergiftete mit diesem Argwohn dich?

Umzischen bleiche Eumeniden dich

Und sprützen dir Verdacht ins weiche Herz?

Ha, fordere Beweise! Zeus bin ich!

»Wirf diese Hülle ab und zeige dich

In deiner Gottheit furchtbarn Majestät! –«

O Semele! du forderst deinen Tod;

Doch sehen sollst du, daß ein Gott ich bin.


Im Schöpfertone sprach nun Jupiter:

Ein Regenbogen wölbe sich

Ums Haupt der Semele! –

Der Regenbogen schwand! –

»Du bist kein Gott; ein Zaubrer bist du nur!«

Erdbeben schüttere diesen Goldpalast

In allen Tiefen, so gebot der Gott! –

»Du bist kein Gott, ein Zaubrer bist du nur!«

Auf der Erde lagre sich Mitternacht!

Der Sturmwind heule!

Und Geister winseln dazwischen!

Es geschah. –

»Du bist kein Gott, ein Zaubrer bist du nur.«

Du ängstest nur mich armes Mädchen so.

In Silberschleier hüllt sie ihr Gesicht.

So sprich, was soll ich thun? Das Reich der Thiere,

Es gehe huldigend vorbei an Semele.

Gleich kam der trotzige Löwe!

Er schüttelte die goldne Mähn' und leckte

Den Fuß der Semele. Es kam

Der ernste Elephant und küßte ihr die Hand

Mit sammtnem Rüssel. Vor ihr ging

Mit schlauem Blick der Tiger stolz vorüber.[380]

Ihr stampfte der muthige Wieh'rer,

Das dünngeschenkelte Roß;

Ihr brüllte der Stier und schleuderte rücklings

Erdschollen gen Himmel.

Sein zackiges Geweih erhob vor ihr der Hirsch.

Der Affe gaukelte vor ihr, das Eichhorn putzte sich.

Ueber ihr schwebte der Adler

Mit verbreitetem Fittich. Ihr gluckte

Die Nachtigall; ihr girrte die Taube!

Umsonst, denn Semele sprach immer:

Du bist kein Gott, ein Zaubrer bist du nur!

Damit ich's glaube, zeige dich als Gott!


Ich will's, so brüllte Jupiter.

Da stand der Donnerer in seiner Schrecklichkeit!

Die Flammenarme streckt' er nach ihr aus.

Ach Semele zerfloß, wie Wachs zerschmilzt,

Wenn Sommergluth in allen Wesen brennt,

Ach so zerfloß sie in der glühenden Umarmung

Des Donnergotts und tropft' an seinen Seiten

Blutig herunter. –


Der Mensch von Erde konnte die Gottheit nicht

In ihrer Nacktheit tragen. Wie beschämt

Der Heiden Dichtung unsre Weisen?

Sie wollen den Jehovah ohne Hülle,

Nicht in der Menschheit Jesus Christus sehen.

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Gedichte. Leipzig [o.J.], S. 378-381.
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